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Klimaschutz: »Vier verlorene Jahre drohen«

Der schwarz-rote Koalitionsvertrag bringt für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zu wenig

Klimaaktivisten stehen bei einer Pressekonferenz der Parteivorsitzenden von Union und SPD zur Vorstellung des Koalitionsvertrages vor dem Paul-Löbe-Haus.
Klimaaktivisten stehen bei einer Pressekonferenz der Parteivorsitzenden von Union und SPD zur Vorstellung des Koalitionsvertrages vor dem Paul-Löbe-Haus.

Mit Sorgen blicken Umweltorganisationen und Sozialverbände auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD. Bei Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit orientiere sich das kommende schwarz-rote Bündnis nicht am Notwendigen, obwohl der Vertrag unter der Überschrift »Verantwortung für Deutschland« steht, so die Kritik. Neben einigen Lichtblicken enthielten die Pläne zahlreiche Rückschritte und neue Schlupflöcher, sagt Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz. Zu dem breiten Bündnis von mehr als 150 zivilgesellschaftlichen Organisationen gehören Umweltverbände wie BUND und WWF, aber auch der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Gewerkschaft Verdi. »Uns könnten vier verlorene Jahre drohen«, so Langkamp auf einer Pressekonferenz am Montag in Berlin.

Beim Klimaschutz drängt die Zeit. Zusätzliche Maßnahmen sind erforderlich, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht. »Das Ziel für 2030 ist zwar in greifbarer Nähe«, erläutert Veit Bürger vom Öko-Institut. »Doch für die Jahre danach gilt das nicht.« Und es gilt auch nicht für die Bereiche Gebäude und Verkehr. »Hier werden die Ziele krachend verfehlt«, warnt Bürger. In diesen beiden Sektoren droht Deutschland laut Umweltbundeamt sein verfügbares Klimabudget bis 2030 um mehr als 220 Millionen Tonnen CO2 zu überziehen. Dann würden auf EU-Ebene hohe Strafzahlungen fällig werden.

Besonders besorgt die Umweltverbände deshalb der Plan der Merz-Koalition, das Heizungsgesetz abzuschaffen. »Wenn die Kernpflicht des Gebäudeenergiegesetzes fällt, Heizungsanlagen mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien zu betreiben, dann schaffen wir die Ziele nicht«, sagt Veit Bürger. Es reiche nicht, Förderprogramme und Informationen zum klimafreundlicheren Heizen anzubieten, das zeige die Erfahrung. Nötig seien klare Vorgaben, um die Wärmewende voranzubringen. Und von Förderprogrammen profitieren laut Studien aktuell vor allem besserverdienende Haushalte.

Klarheit vermissen die Verbände auch bei klimapolitisch sinnvollen Plänen, wie dem Ausbau erneuerbarer Energien. Laut Verena Graichen vom BUND ist es zwar positiv, dass im Koalitionsvertrag auch von Mieterstrom, Bürgerenergie und Energy Sharing die Rede sei. Doch die konkrete Ausgestaltung bleibe unklar. »Unsere Befürchtung ist, die Energiewende wird auf das Nötigste zurückgefahren.«

Auf einen sozial ausgewogenen Klimaschutz drang Katja Kipping, Geschäftsführerin des Paritätischen Gesamtverbands. Die von Union und SPD geplante Senkung der Stromsteuer solle aber nicht sozial gestaffelt erfolgen, sondern erfolge nach dem Prinzip Gießkanne. Kipping begrüßte den Beschluss für den Fortbestand des Deutschlandtickets, forderte aber bundesweit einheitliche Ermäßigungen für Einkommensschwache, um hier die aktuelle »Wohnort-Lotterie« zu beenden. Sie schlug ein »Deutschlandticket Sozial« zum Preis von 25 Euro für Bezieher von Sozialleistungen vor.

Aus Sicht der Klima-Allianz bleibt der Verkehrsbereich das zweite große Sorgenkind beim Klimaschutz. »Es ist ein Rückschritt, dass die Pendlerpauschale angehoben wird«, kritisiert Stefanie Langkamp. Die rückwirkende Erhöhung zum 1. Januar ab dem ersten Kilometer auf 38 Cent koste 1,3 Milliarden Euro zusätzlich und sei nicht sozial ausgewogen, da vor allem Menschen mit höherem Einkommen profitieren. Gleiches gelte für die geplante steuerliche Begünstigung von E-Dienstwagen, die 100 000 Euro kosten.

»Für die Verkehrswende würde es viele Spielräume geben, doch sie werden nicht proaktiv genutzt«, sagt Langkamp. Und zählt auf: Der Bundesverkehrswegeplan wird unverändert fortgeführt, es fehlt ein Ziel für die Verlagerung von Gütern auf die Schiene, die Verdopplung der Fahrgastzahlen der Bahn wird nicht mehr als Ziel genannt, für den geplanten Modernisierungspakt für den ÖPNV ist die Finanzierung unklar.

Ob Schwarz-Rot es mit dem Klimaschutz wirklich ernst meint, daran haben die Verbände generell Zweifel. Sorgen bereitet ihnen zudem ein Vorhaben, das sie selber betrifft: Schwarz-Rot will das Verbandsklagerecht einschränken und auf »tatsächliche Betroffenheit« ausrichten. Das würde die Möglichkeiten der Organisationen stark beschneiden. Die Klima-Allianz appelliert deshalb an die Koalitionäre: »Suchen Sie das Gespräch mit der Zivilgesellschaft.«

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