Schab mich ab!

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ein Schnitzel ist ein Schnitzel ist ein Schnitzel.« Dieser berühmte Satz, geprägt von der US-amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Steinpilz, lässt erahnen, dass es mit dem Schnitzel im Grunde kaum anders ist als mit der modernen Literatur: Man erkennt am besten an der Form, ob das Ergebnis gelungen ist.

Und wie der Stil der Wiederholung und Variation die literarischen Avantgarden der Nachkriegszeit kennzeichnet, so sind auch Wiederholung und Variation zentrale Momente in der Geschichte des Schnitzels: Essen kann man eigentlich immer eines (Wiederholung), vorausgesetzt es ist nicht schlampig und achtlos, sondern liebevoll und abwechslungsreich zubereitet (Variation). Vom Bewährten sollte jedoch nicht abgewichen werden: Kalbfleisch, Panade, Zitrone, Erdäpfelsalat (Essig/Öl). Das gibt es so beim »Mitterhofer«.

Der »Mitterhofer« in Kreuzberg ist eine Location, die man früher, als 17-Jährige das Wort noch kannten, wohl ein »Wirtshaus« genannt hätte, d.h. ein Ort, an dem gut gegessen und ausgewählten alkoholischen Getränken zugesprochen wird. Und zwar wohlgemerkt ohne dass dabei dem Gast mit konfektionierter Hupfdohlenmusik die Gehörgänge verseucht werden und ohne dass auf einem mutwillig neben den Gästen angebrachten Flachbildschirm ein Fußballspiel zu sehen ist, das von einem offenbar der deutschen Sprache unkundigen Geistesgestörten kommentiert wird. Die in vielen Lokalen sonst übliche Dauerbeschallung mit den »größten Hits der 70er, 80er und 90er Jahre« ist hier erfreulicherweise abgestellt. Und auch wer meint, er müsse beim Essen fortwährend in eine Glotze starren, muss dies wohl zuhause tun. Statt Rundumberieselung gibt es Schlichtheit: Holztische, Holzstühle, eine Holztheke. Unglaublich eigentlich, dass man derlei heute noch findet. Was es erfreulicherweise nicht gibt: Monoblockstühle, Plastiktinnef, affektierter Designquatsch. Die einzige Störung der Konversation kommt von den beiden Elendsgestalten am Tisch nebenan, einer Art Immobilienmafia in Paarform. Er: »Hier kann man noch deutlich was holen in dieser Ecke.« Sie: »Erst das Gesocks loswerden, das drinsitzt.«

Doch das hier ausgeschenkte, in süddeutschen Gegenden gebraute Bier (das diese Bezeichnung tatsächlich verdient, also kein in Berlin hergestelltes »Bier« ist) wird in formschönen bayerischen Krügen serviert. Und beim Schnitzel klebt die Panade nicht wie getrockneter Kleister auf dem Fleisch, sondern hat eine Konsistenz, in der Knusprigkeit und zarte Feuchtigkeit eine zunächst paradox scheinende, doch tatsächlich harmonische Einheit bilden: Beinahe löst die Panade sich an einigen Stellen von der geplätteten Fleischmasse und doch kann sie erkennbar nicht ganz von ihr lassen, sondern schmiegt sich sanft an sie. Ganz so, als wolle die perfekte Symbiose aus Ei und Semmelbrösel, eines der großen vom Menschen geschaffenen Kunstwerke, dem Esser mitteilen: »Ich bin die Attraktion, Schätzchen! Schab mich ab! Zerbeiß mich! Iss mich auf! Und lass den dummen Fleischklumpen liegen!« So gefällt mir das.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -