»Es gab Folter«
Italienische Polizei räumt erstmals offiziell Mitschuld an Gewalt bei G8-Gipfel ein
Die Polizei in Italien hat erstmals offiziell eine Mitschuld an der Polizeigewalt gegen Demonstranten am Rande des G8-Gipfels in Genua 2001 eingeräumt. »Ich sage klar und deutlich, dass es Folter gab«, sagte der italienische Polizeichef Franco Gabrielli am Mittwoch der Tageszeitung »La Repubblica«.
Gabrielli sprach über die damaligen Vorfälle, einen Monat nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Italien zum zweiten Mal wegen des brutalen Vorgehens der Polizisten verurteilt hatte. Seit Anfang Juli gilt Folter in dem Land zudem als Straftatbestand.
Gabrielli nannte das Sicherheitskonzept des Gipfels der großen Industrienationen im Jahr 2001 »eine Katastrophe«, betonte aber auch, dass sich bei der Polizei in Italien seitdem viel geändert habe, wie der relativ friedliche Ablauf der EU- und G7-Treffen in diesem Jahr gezeigt habe.
Das dreitägige Gipfeltreffen im Juli 2001 wurde von großen Protesten begleitet. Bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden etwa 500 Menschen verletzt und der Demonstrant Carlo Giuliani erschossen. Im Zentrum des Polizeieinsatzes und seiner rechtlichen Folgen stand die Erstürmung der Diaz-Schule. 93 Demonstranten waren festgenommen und über 60 verletzt worden. Ein italienischer Gerichtshof hatte diesen Einsatz später als »reine Gewaltexplosion« bezeichnet, »die gegenüber der ganzen Welt das Land diskreditiert hat«.
Konterkariert wird Gabriellis Eingeständnis indes von einer anderen Nachricht. Einige aufgrund des Einsatzes in der Diaz-Schule verurteilte Polizeileiter dürfen wieder in den Dienst eintreten. Das berichtete am Dienstag ebenfalls »La Repubblica«. Fünf Jahre hatte für sie ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Ämter gegolten. 2012 waren die Polizisten vom Kassationsgerichtshof wegen Urkundenfälschung und Fälschung von Beweismitteln verurteilt worden. Sie hatten das Polizeiprotokoll, wonach in der Schule zwei Molotowcocktails gefunden worden seien, bestätigt. Später stellte sich heraus, dass die Flaschen von der Polizei in die Schule gebracht und als Rechtfertigung für den Gewalteinsatz präsentiert worden waren.
Zu den Polizeifunktionären, die ihre Uniform bald wieder tragen dürfen, zählt auch der ehemalige Vize-Quästor, Pietro Troiani, der für die Einfuhr der Molotowcocktails in die Schule schuldig gesprochen worden war. Andere haben mittlerweile eine Blitzkarriere außerhalb der Polizei gemacht. Gilberto Caldarozzi, Leiter der Zentralen Operativ Service in Genua, arbeitet zum Beispiel seit einigen Jahren beim größten italienischen Technologieunternehmer Finemccanica als Sicherheitsberater. Angestellt wurde er vom heutigen Konzern-Präsident Gianni De Gennaro, dem ehemaligem Polizeichef beim G8-Gipfel.
»Darüber sind wir nicht erstaunt, sondern wegen der demokratischen Lage Italiens entmutigt«, kommentierten Vittorio Agnoletto und Lorenzo Guadagnucci, Vorsitzende des von den Opfern der Polizeigewalt gegründeten Komitees »Wahrheit und Gerechtigkeit für Genua«, gegenüber »La Repubblica«.
Das jährliche Erinnern an den Tod Giulianis in Genua am 20. Juli - es steht an diesem Donnerstag unter besonderen Vorzeichen. Mit dpa
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