Mehr als nur ein Pfeifen im Wald

Die denkmalgeschützten Wohnbauten in der Karl-Marx-Allee stoßen zunehmend bei Investoren auf Interesse

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer in Berlin eine günstige Mietwohnung sucht, hat in der Innenstadt ein ernstes Problem. Als vergleichsweise preiswert galten lange Zeit die »Stalin-Bauten« aus den 1950er-Jahren in der Karl-Marx-Allee. Das könnte sich bald schon ändern, denn die einst als »Prachtboulevard« bespöttelte Straße in Friedrichshain gilt mittlerweile als hip. Binnen zehn Jahren sind die Kaltmieten pro Quadratmeter von 6,20 auf 8,20 Euro gestiegen. Wohnungen und ganze Wohnblöcke, schon vor Jahren privatisiert, werden modernisiert und auf dem Immobilienmarkt angeboten. Alteingesessene Mieter sind in Sorge, über kurz oder lang ihre Bleibe einzubüßen.

Alarmsignale kamen etwa von Mietern aus dem Block F gleich am Frankfurter Tor, der in den 1990er Jahren privatisiert worden war. Ende Juni hatte die »Berliner Zeitung« über erschrockene Mieter in Hausnummer 138 berichtet, die Post von der Maklerfirma Predac erhalten hätten. Darin sei ein Ehepaar, wie die Zeitung schrieb, über die Pläne der »Eigentümergesellschaft« informiert worden, »die Aufteilung der Immobilie in Eigentumswohnungen vorzunehmen«.

Viele Mieter leben seit Jahrzehnten in ihren Wohnungen, die Fluktuation war nicht allzu groß. Wird eine Wohnung frei, findet sich rasch ein Nachmieter, doch als besonders schick galt die frühere Stalinallee bisher nicht. Mit ihrem an Sowjetboulevards erinnernden »Zuckerbäckerstil« hat das kaum zu tun. Die denkmalgeschützten Bauten zwischen Strausberger Platz und Proskauer Straße sind seit der aufwendigen Sanierung nach 1990 meist in gutem Zustand. Doch die Gegend ist laut und stickig wegen des ewigen Autoverkehrs auf der vierspurigen Ausfallstraße. Die Wege im Kiez sind lang.

Das Wohnen an der wichtigsten Straße, die als Teil der heutigen Bundesstraße B 1 vom Berliner Stadtzentrum in Richtung Frankfurt (Oder) führt, verlangte schon immer Nehmerqualitäten. Im 18. Jahrhundert als Heerstraße ausgebaut, war die Reichsstraße 1 zentrale Ost-West-Achse. 1945 lag die dichte Bebauung entlang der Frankfurter Allee in Lichtenberg mit Mietshäusern und Fabriken in Trümmern. Gerade hier wollte die SED-Führung ihre Vorstellungen von einem neuen, menschenwürdigeren Wohnen demonstrieren. Zum 70. Geburtstag von UdSSR-Staats- und Parteichef Josef Stalin wurde die Frankfurter Allee am 1. Dezember 1949 in Stalinallee umbenannt. Bei der Bebauung wurde ab 1951 ein eher repräsentativer, historistischer Stil durchgesetzt. Die Wohnungen, viele wurden an »verdiente Werktätige« und an Erbauer vergeben, waren für frühe DDR-Verhältnisse bei niedrigen Mieten geradezu luxuriös mit Fernheizung, fließendem Warmwasser und Bädern ausgestattet.

Experten haben auch den architektonischen Wert dieser »ersten sozialistischen Straße auf deutschem Boden« erkannt. Als eines »der größten städtebaulichen Projekte Berlins« hat der italienische Architekt Aldo Rossi die spätere Karl-Marx-Allee gewürdigt, sie sei der »letzte große europäische Boulevard, der gebaut wurde«. Heute strebt Berlin nach dem UNESCO-Weltkulturerbetitel für die städtebaulichen Gegensatzpaare »Karl-Marx-Allee« (Ost) und Hansaviertel (West).

Die Immobilienbranche ist längst hellwach. Das Portal »Immobilienscout24« etwa wirbt mit der exzellenten Lage für entsprechende Wohn- und Gewerbeobjekte: »Die Karl-Marx-Allee, der wohl monumentalste Straßenzug Berlins, ist einzigartig in Europa. Zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor in direkter Nähe zum Alexanderplatz, dem Boxhagener Platz und dem Volkspark Friedrichshain erstrahlt die Karl-Marx-Allee im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.«

Die Predac Immobilien Management hat viel vor im Quartier. Auf ihrer Webseite gibt sie Auskunft: »Ankauf, Modernisierung und Revitalisierung von 14 denkmalgeschützten Gebäudeblöcken mit historischer Bedeutung mit mehr als 160 000 qm Wohn- und 30 000 qm Gewerbeflächen« sowie deren Weiterverkauf an Großanleger und Privatanleger. Aktuell seien 2500 modernisierte Miet- und Eigentumswohnungen, über 160 Büros, Galerien, Restaurants und Ladengeschäfte sowie acht Gebäudekomplexe verkauft.

Nicolas Herrmann vom Berliner Predac-Büro antwortet auf eine nd-Anfrage: »Der heutige Eigentümer, ein Immobilienfonds, der vor ca. 20 Jahren die Immobilie Block F-Süd mit ihren 84 Wohnungen erworben und saniert hat, hat uns mit dem Verkauf der Immobilie beauftragt. Die Immobilie besteht überwiegend aus 2 und 3 Zimmerwohnungen.« Kaufinteressierten Mietern werde die eigene Wohnung »zu einem reduzierten Preis und ohne zusätzliche Maklercourtage« angeboten. Er versichert: »Der Verkauf der Wohnung hat keine direkte Auswirkung auf das Mietverhältnis, in welchem sich der Mieter derzeit befindet (›Kauf bricht nicht Miete‹).« Und Herrmann fügt hinzu: »Es ist weder unsere Absicht, alteingesessene Mieter aus dem Stadtteil zu verdrängen, noch lassen dies die gesetzlichen Regelungen zu.« Hauptzielgruppe beim Verkauf einer vermieteten Eigentumswohnung sei »daher der Kaufinteressent, der kein unmittelbares Interesse daran hat, die erworbene vermietete Wohnung selbst zu nutzen und daher am Bestand eines intakten Mietverhältnisses interessiert ist.«

Der Stadtbezirk versteht die Sorgen der Mieter vor Verdrängung. Bisher hätten sich aber nur wenige Bewohner aus der Karl-Marx-Allee gemeldet. »Für Kündigungen gelten ganz enge Rahmenbedingungen«, teilt das Bezirksamt mit. »Nach BGB kann in der Regel nur bei Eigenbedarf gekündigt werden. Hier hat Berlin die Frist auf zehn Jahre verlängert.« Man unterstütze die Mieter in ihren Zivilrechten. »Das tun wir, indem wir die offene Mieterberatung beauftragt haben, die Rechtsberatung und Unterstützung anbietet.« Es sei wichtig, dass die Mieter dem Druck nicht nachgeben, der aus einem Verkauf entstehe.

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