Komplex, umstritten, widersprüchlich - die Reparationsfrage

Für Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner ist das Kapitel deutscher Entschädigungen für die NS-Gräuel keineswegs erledigt

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Streit wird erbittert geführt, die Summen, um die es geht, sind enorm und die Belastung für die deutsch-griechischen Beziehungen ist nicht zu bemessen. Der Begriff »Reparation« ist zum Reizwort nicht nur in politischen Debatten zwischen Berlin und Athen geworden, sondern auch unter Historikern. Wie es dazu kam, erklären Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner in der Dokumentation zu ihrem jüngsten Forschungsprojekt. In »Reparationsschuld - Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa« legen der Historiker und der Politikwissenschaftler dar, welche zentrale Rolle die Entschädigungsfrage im 20. Jahrhundert gespielt hat - und dass die Aufarbeitung dieses Kapitels der jüngeren Geschichte längst noch nicht geschlossen gehört.

Denn während Deutschland und seine Bundesregierungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges versuchten, die nach der Potsdamer Konferenz vorgesehenen Schadensersatzleistungen zu verweigern, beharrte das griechische Pendant mal mehr, mal weniger intensiv auf Entschädigungen für die Besatzung und Ausplünderung Griechenlands durch Nazi-Deutschland zwischen 1941 und 1945.

Die Autoren machen keinen Hehl daraus, dass das Thema ihrer Arbeit »äußerst komplex, umstritten und widersprüchlich« ist. Roth und Rübner geht es eben nicht darum, sich an Kollegen wie Heinz A. Richter abzuarbeiten, die zuweilen die Auffassung vertreten, Griechenland schulde den NS-Verbrechern bzw. seinem Nachfolgestaat einige Tausend Goldpfund. Zentraler Streitpunkt der jüngsten Publikationen sind die Besatzungskosten und die dabei von den Nazis selbst ausgemachte Restschuld gegenüber Griechenland in Höhe von 476 Millionen Reichsmark. Die griechische Seite und linke Historiker wie Roth sprechen von einer »Zwangsanleihe«, für die Bundesrepublik sind derlei Ansprüche schlicht verwirkt.

»Die Auseinandersetzung mit dem Reparationsproblem ist zeitraubend, desillusionierend und schreckenerregend«, schreiben Roth und Rübner gleich zu Beginn. Sich dennoch darauf einzulassen und weiterzulesen, ist äußerst erkenntnisfördernd. Denn die Autoren führen gut in die die Weltkriege überdauernde Entschädigungspolitik ein. Das gelingt nicht zuletzt wegen der Vielzahl an Dokumenten, die in die Arbeit eingeflossen und der Abhandlung beigefügt sind. 1000 Verträge, Statistiken, Gutachten und Verschlusssachen haben Roth und Rübner recherchiert, 100 ausgewählte laden in dem »Arbeitsbuch« zum Selbststudium ein. Sie machen die verdichteten Ergebnisse in den einzelnen Kapiteln leichter nachvollziehbar.

Dazu gehört zunächst eine Analyse der Irrtümer des Versailler Vertrags und der Entwicklung völkerrechtlicher Grundlagen zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsschutz. Ebenso gehen die Autoren auf die Fehleinschätzungen der Westalliierten nach dem Zweiten Weltkrieg ein, die Deutschland den Weg bereiteten, längst nicht für alle materiellen und humanitären Folgen der kriegerischen Handlungen aufzukommen.

Um zu verstehen, für welches Ausmaß an Zerstörung das NS-Regime zur Verantwortung gezogen werden sollte, führen die Autoren eine Fallstudie zu Griechenland an. Danach haben die Nazis versucht, alles aus dem Mittelmeerstaat herauszuholen, was ihnen nützlich erschien: von Kriegsgerät über Rohstoffe aus dem Bergbau und Tabak bis hin zu Olivenöl sowie Geld- und Goldreserven.

Die »ruinöse Praxis« des NS-Regimes führte rasch zur Zerstörung der materiellen Grundlagen der griechischen Ökonomie. Während der ersten Krise nach Beginn der deutschen Besatzung im Winter 1941/42 verhungerten bereits 70 000 Menschen. Als sich die Bevölkerung gegen die umfassende Ausplünderung wehrte, setzte das NS-Regime zusätzlich auf Massaker und Geiselmorde. Auch Zwangsarbeit und die Vernichtung der Juden insbesondere in Thessaloniki werden von Roth und Rübner beleuchtet.

Dass die von den Nazis ausgehende Vernichtung und Verwüstung im Zweiten Weltkrieg weitaus größere Dimensionen annehmen würde als noch im Ersten hatten alle Beteiligten früh erkannt. So wurde schon ab 1942 die Frage von Entschädigungen diskutiert. Einigkeit herrschte darin, dass Nachkriegs-Deutschland nie für alle Schäden würde aufkommen können. Der hereinbrechende Kalte Krieg führte jedoch schon 1945 zu einer von ersten Beschlüssen divergierenden Reparationspolitik, unter der insbesondere kleine Länder wie Luxemburg, Jugoslawien und eben auch Griechenland litten. Die Westalliierten sicherten sich in Form von Demontage und der Kontrolle des Ruhrgebiets ihre Ansprüche, die Sowjetunion erklärte 1953 ihren Verzicht auf weitere Reparationen.

Schon wenige Jahre nach Kriegsende wurde Deutschland im Londoner Schuldenabkommen von 1953 ein Moratorium zugestanden. Griechenland versuchte weiter, seine Ansprüche geltend zu machen, die es 1945 auf 10,5 Milliarden Dollar (nach dem Wechselkurs von 1938) bezifferte. Der nun vorherrschenden Abwehrhaltung der westdeutschen Ministerialbürokratie und Eliten stellen Roth und Rübner detailliert die Bemühungen der griechischen Seite entgegen, die vom Moratorium ausgenommenen Entschädigungen zu erlangen. Die Bundesrepublik ging in der Folge zu bilateralen Abkommen über, auch Griechenland schloss 1960 einen sogenannten Wiedergutmachungsvertrag mit Bonn und erhielt mit 115 Millionen DM doch nur einen Bruchteil der Kriegsschulden. Kurz zuvor wurde deutschen Kriegsverbrechern eine Generalamnestie gewährt.

Athen pochte weiter auf eine endgültige Klärung im Rahmen eines Friedensvertrags. Als solchen wollte Deutschland den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 nicht gelten lassen - für Roth und Rübner einzig, um die Reparationsfrage zu umgehen. Ähnlich sahen dies Opfer und Hinterbliebene von NS-Massakern wie in Distomo. Sie klagten sich durch alle Instanzen in Griechenland, bekamen sogar Entschädigungen zugesprochen, bis heute aber nie einen Cent gezahlt.

Im August 2016 hat das griechische Parlament seinen lange erwarteten Bericht über ausstehende Reparationen fertiggestellt. Knapp 270 Milliarden Euro werden darin für die Gräuel des NS-Regimes gefordert. Auch Rübner und Roth haben nachgerechnet: Knapp vier Fünftel der deutschen Reparationsschuld seien noch offen. Deutschland müsste mindestens 306 Milliarden Euro zahlen. »An eine vollständige Begleichung [...] wird wohl kaum zu denken sein«, schreiben die Autoren, in jedem Fall bedürfe es jedoch einer abschließenden Reparationskonferenz.

Die Bundesregierung ist bislang nicht auf diesen oder andere Lösungsvorschläge eingegangen. Daran konnte auch die SYRIZA-geführte Regierung nichts ändern. Dabei wäre, konstatieren die Autoren, eine Einigung auch mit Blick auf die Entwicklung der europäischen Integration mehr als erstrebenswert.

Karl Heinz Roth/Hartmut Rübner: Reparationsschuld - Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa. Metropol Verlag, 645 S., geb., 29,90 €.

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