Die Gallier im Kohledorf geben nicht auf
Sachsen: Die letzten Bewohner des kleinen Pödelwitz widersetzen sich der Abbaggerung
Wer nach Pödelwitz kommt, fällt auf. Besucher werden argwöhnisch von einem Wachmann beäugt, der seine Runden durch das Dorf dreht: vorbei an Häusern mit blinden Scheiben und an Gärten, in denen nur noch das Unkraut sprießt. Der sächsische Ort südlich von Leipzig, der zu besten Zeiten 140 Einwohner hatte, ist verwaist. Er wartet, dass die Bagger kommen.
Thilo Kraneiß wartet nicht; er freut sich an der Stille. »Herrlich«, sagt er, »die Ruhe! Ein Traum.« Der 50-Jährige genießt im Hof seines Hauses den Feierabend. Er ist einer der letzten im Ort. »30 Leute leben noch hier«, sagt er. Einige davon sind auf dem Sprung. »Nur drei Familien«, sagt Sylvia Werner, »haben sich noch nicht für eine Umsiedlung entschieden.«
Der Gewinnung von Braunkohle sind vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Revier südlich von Leipzig zahlreiche Dörfer zum Opfer gefallen – Auflistungen nennen bis zu 120 Ortsnamen.
Zwischen 1930 und 1998 wurden allein für den Tagebau Profen und seine Vorläufer 18 Orte ganz oder teilweise »devastiert«, wie der Fachbegriff lautet; der Tagebau Espenhain nötigte die Einwohner von 20 Dörfern und Ortsteilen zum Wegzug. Zu ihnen gehörte der Ort Magdeborn. An die dortige Kirche erinnert seit dem Jahr 2010 eine Installation namens »Vineta«, die auf dem Störmthaler See schwimmt – einem der zahlreichen Tagebauseen, die in ausgekohlten oder aufgegebenen Gruben entstanden sind, während anderswo weiter Kohle gefördert wird. hla
Werner ist Sprecherin des Braunkohleförderers Mibrag, der den Tagebau »Vereinigtes Schleenhain« betreibt und Pödelwitz abräumen will. Unter dem Ort liegen 11,4 Millionen Tonnen Kohle; genug, um das Kraftwerk Lippendorf ein Jahr lang zu befeuern. Zunächst sahen die Planungen vor, dass die Bagger am Rand des Dorfes vorbei schrammen. Das aber wäre, wie eindringlich gewarnt wurde, mit viel Dreck und Krach verbunden gewesen. Die meisten im Dorf hatten darauf keine Lust. 90 Prozent der damals 130 Pödelwitzer hätten sich 2009 für eine Umsiedlung ausgesprochen, sagt Werner. Ein Vertrag wurde geschlossen, Entschädigungen gezahlt; die Mibrag kaufte Häuser und Grundstücke. Etliche Umsiedler wohnen heute in dem eigens errichteten Wohngebiet »Pödelwitzer Bogen« im Nachbarort Groitzsch.
Kraneiß lebt weiter im Dorf. Der Inhaber einer Metallbaufirma ist nicht hier geboren. Seine Eltern stammen aus Droßdorf, dass sie vor 35 Jahren verlassen mussten - wegen der Kohle. Kraneiß’ Frau wuchs in Heuersdorf auf, das ebenfalls den Baggern weichen musste. Die Kirche, in der beide heirateten, wurde von der Mibrag mit viel Brimborium nach Borna umgesetzt; der Ort selbst ist seit 2010 weg. »Ich habe so eine Umsiedlung einmal durch«, sagt Kraneiß, »und mir geschworen: Nicht noch einmal.«
Also harrt er aus - und widersetzt sich. Er gehört zu einer kleinen Bürgerinitiative. Unterstützt wird sie von Umweltverbänden. Im Frühjahr etwa pflanzten Aktivisten 1000 Osterglocken. Andere mauerten Löcher wieder zu, die im Zuge archäologischer Untersuchungen in verlassene Häuser gerissen worden waren. Die Aktion sorgte für Berichte aus Pödelwitz - dem, wie der MDR formulierte, »traurigsten Dorf Sachsens«.
Kraneiß hält das Attribut für verfehlt. »Unsinn«, sagt er: »Wir stecken den Kopf nicht in den Sand.« Im Juli lud man zum Dorffest. Auf dem Anger wurde ein Basketballkorb aufgestellt - Motto: »Der Kohle einen Korb geben«. Es gab Kuchen und einen Film über zerstörerischen Bergbau in Kolumbien. Oft begrüßt Kraneiß auch Besucher: Schüler aus Norddeutschland, Unternehmer aus Leipzig. Er führt sie an den Rand des Tagebaus; dann zeigt er ihnen die reichhaltige Natur und die Kirche, die das älteste Gebäude in dem 700 Jahre alten Ort ist und wo noch immer regelmäßig Gottesdienste stattfinden. Kraneiß ist der Kurator der Kirche, die, sagt er, innen saniert werden müsste. Allerdings, fügt er hinzu, »überlassen wir das den Neu-Pödelwitzern«. Hat man richtig verstanden? Ja, sagt Kraneiß: »Den Menschen, die in unser Dorf ziehen, wenn es dem Tagebau von der Schippe gesprungen ist.«
Kraneiß glaubt an die Rettung - und das, obwohl sich die Schlinge zuzieht: Die Mibrag trifft Vorbereitungen, um Pödelwitz auch offiziell zur Kohlegewinnung in Anspruch nehmen zu können. Noch ist der Ort im Betriebsplan des Tagebaus nicht enthalten. Die Ortslage sei jedoch als »Vorbehaltsgebiet zur Rohstoffgewinnung« ausgewiesen, sagt Werner. Derzeit laufe eine Umweltverträglichkeitsprüfung; danach werde beim Oberbergamt eine Erweiterung des Betriebsplans beantragt. 2026 würde der Tagebau das Dorf erreichen.
Zugleich spielt der Lauf der Dinge den Widerständlern um Kraneiß in die Hände. Deutschland hat das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet und muss den Ausstoß von Treibhausgasen schon bis 2030 um 55 Prozent reduzieren. Experten ist klar, dass das ohne Abkehr von der Braunkohle nicht klappt. Zudem hat das Garzweiler-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die Rechte vom Tagebau bedrohter Bürger gestärkt. Solange Klagen gegen eine Räumung anhängig seien, dürften keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, sagt Kraneiß. Die Bürger von Heuersdorf seien noch vor Sachsens Verfassungsgericht gescheitert: »Wir hätten heute bessere Karten - und wir würden bis zum Europäischen Gerichtshof gehen.«
Noch gibt es kein Papier, gegen das geklagt werden kann. Noch gibt es nur viel Ungewissheit. Er habe damit kein Problem, beteuert Kraneiß. »Ich lebe hier so, als würde es immer weitergehen«, sagt er - und fügt an: »Wir haben viel vor hier im Ort.«
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