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In Kasai kehrt keine Ruhe ein

Die gewalttätigen Konflikte in der Hochburg der kongolesischen Opposition sind ein Symptom für das ganze Land

  • Kani Kalonji
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Horror scheint in der kongolesischen Provinz Kasai der Normalzustand zu sein: Eine Aufklärungsmission von UN und kongolesischer Armee hat 38 neue Massengräber im Zentrum des Landes entdeckt. Damit liege die Zahl solcher Gräber in der Kasai-Region bei mindestens 80, berichtete dieser Tage der französische Auslandssender RFI. Als Urheber kommen Rebellen oder Soldaten der kongolesischen Armee in Frage.

Die Gewalt in den drei Kasai-Provinzen hat laut UN grauenhafte Ausmaße angenommen. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte wirft Kongos Regierung vor, eine Miliz bewaffnet zu haben, die gezielt Angehörige bestimmter Volksgruppen überfalle. Überlebende berichteten demnach von brutalsten Massakern, bei denen Zweijährigen die Gliedmaßen abgehackt und Schwangeren Föten aus dem Leib geschnitten worden seien. Andere Opfer seien lebendig angezündet worden. Die Zahl der Toten schätzt die katholische Kirche im Kongo auf mehr als 3400 seit Beginn der Kämpfe im August.

»Die Situation in der Demokratischen Republik Kongo stellt eine Bedrohung für die Stabilität, den Wohlstand und den Frieden in der ganzen Region der Großen Seen, sogar in Afrika in seiner Gesamtheit dar.« So lautete die pathetische Wortwahl des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan, der sich zusammen mit mehreren ehemaligen afrikanischen Staatschefs Mitte Juni dieses Jahres an die Öffentlichkeit wandten. Ihre Botschaft: Appell für einen friedlichen und demokratischen Übergangs in der DR Kongo.

Zwei Millionen intern Vertriebene wurden in den Kasai-Provinzen und in der Provinz Tanganyika gezählt. Das haben die gemeinsame Mission der beiden UN-Organisationen Welternährungsprogramm (WFP) und Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) Ende Juni mitgeteilt. Insgesamt gibt es 3,8 Millionen Binnenvertriebene in dem 80 Millionen Einwohner zählenden Land - ein historischer Höchststand und eine Verdopplung innerhalb eines Jahres. »Die Lage ist unerhört, erschütternd und düster. Es werden humanitäre Nothilfeaktionen in Erwägung gezogen«, so der Interims-Vertreter der FAO, Alexis Bonte.

Vor der Gewalt im Kasai-Gebiet sind rund 30 000 Menschen auch ins benachbarte Land Angola geflohen. Sie kommen dort in der angrenzenden Provinz Lunda-Norte an. Viele, darunter Frauen, Kinder, ältere Menschen, befinden sich in prekärem Gesundheitszustand und haben mehrere Tage Fußmarsch bis zur Grenze hinter sich.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte macht die Miliz »Bana Mura« für viele Verbrechen verantwortlich. Die Milizionäre der Bana Mura stammen in ihrer großen Mehrheit aus der Provinz Katanga. Als Spezialtruppe dient sie dem Schutz von Präsident Joseph Kabila und dessen Gütern quer durch das Land.

Nach vielen Verhandlungen im Hintergrund wurde schließlich bekannt, dass die UN keine eigenständige Mission für eine internationale Ermittlung über die Gewalttaten in den Kasai-Provinzen in Kongo starten wird. Stattdessen wurde lediglich die Entsendung von Experten in Zusammenarbeit mit der kongolesischen Regierung in einer Resolution genannt, die auch Massentötungen, Folter und Vergewaltigungen verurteilt, die von allen beteiligten Konfliktparteien begangen würden. Die Experten werden danach ihre Schlussfolgerungen den kongolesischen Justizbehörden übergeben; und der Hohe Kommissar der UN für Menschenrechte wird in einem Jahr bei der 38. Sitzungsperiode des Menschenrechtsrats einen Bericht vorstellen.

Diese Beschlusslage des UN-Menschenrechtsrates kommt der Regierung von Joseph Kabila entgegen. Er erhielt in Genf Unterstützung durch die Afrika-Gruppe, bestehend aus Burundi, Togo, Botswana, Sudan, Mosambik, Algerien und Ägypten. Die Position der europäischen Länder, die wie auch die kongolesische Bürgerrechtsbewegung Lucha (»Kampf für Veränderung«) für eine internationale von den kongolesischen Behörden unabhängige Ermittlung plädierten, konnte sich nicht durchsetzen.

Im Kasai-Gebiet treffen drei Gewalten aufeinander: der Staat, die katholische Kirche und die traditionellen Häuptlingschaften. Seit 2015 ist ein neues Gesetz zum Status der traditionellen Häuptlinge in Kraft getreten. Es sieht die Vergütung der Häuptlinge und die Veröffentlichung einer Verordnung zur Anerkennung jedes einzelnen Häuptlings vor. Das Regime von Präsident Joseph Kabila wird beschuldigt, dieses neue Gesetz zu politischen Zwecken benutzt zu haben, um die Kontrolle über die Kasai-Provinzen zu festigen. Nach der Kolonialzeit hatte kein einziges Regime, weder das von Mobutu (1965-1997) noch das von Laurent-Désiré Kabila (1997-2001) die traditionelle Gewalt im Raum des Kasai-Gebiet angetastet.

Jean-Prince Mpandi, Träger des Häuptlingstitels »Kamuina Nsapu« gehörte zu denen, die das Regime von Präsident Kabila aus dem Weg schaffen wollte, indem es ihm die von dem neuen Gesetz vorgeschriebene Anerkennung verweigerte. Das Regime setzt in solchen Fällen dann eigene regierungstreue Personen künstlich als Häuptling ein. Kamuina Nsapu herrschte über einen Zusammenschluss von Dörfern in der Provinz Kasai-Central,

Kamuina Nsapu versuchte sich zu wehren. Er hielt politische Reden, fand regen Zulauf, auch überregional, da seine Worte bei der verelendeten, vom Staat »vergessenen« Bevölkerung Widerhall fanden. Immer wieder sprach er davon, er sei nicht bereit, das Land seiner Vorfahren zu verkaufen ... Er wurde im August 2016 von Regierungstruppen ermordet. Der Funke, der zum Brand im Kasai-Gebiet wurde. Seine Anhänger führen seither einen Rachefeldzug gegen die Regierung und ihre Vertreter: Soldaten, Polizisten, Beamte. Und die Regierung schlägt zurück und offenbar geht sie auch gegen Zivilisten vor, die sie verdächtigt, mit der Kamuina-Nsapu-Miliz zusammenzuarbeiten.

Mit Verweis auf die Unsicherheit hat Wahlkommissionschef Corneille Nangaa inzwischen die eigentlich 2016 fälligen Wahlen, die auf 2017 verschoben wurden, auf frühestens 2018 verschoben. Neuer Zündstoff für alle Konflikte in Kongo. Am Samstag legte eine Allianz aus Oppositionsparteien einen mehrstufigen Aktionsplan vor. Er soll Kabila zur Ausschreibung von Neuwahlen zwingen.

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