Ungeplantes Ende
Pelamis, ein effizientes Wellenenergie-Kraftwerk, wird verschrottet. Rückschlag für eine vielversprechende Technologie
Im Juli 2017 machte der Orkney Islands Council einen bemerkenswerten Kauf publik: Er hatte einen mittlerweile überflüssig gewordenen Pelamis-Apparat für die symbolische Summe von einem Pfund Sterling gekauft. Es handelt sich dabei um ein Gerät der zweiten Generation, das eigentlich für die Gewinnung von Energie aus dem Ozean gebaut wurde, 180 Meter lang und 1350 Tonnen schwer. Pelamis war der erste schwimmende Wellenenergie-Wandler für das offene Meer, der tatsächlich Energie in Stromnetze an Land einspeiste. Der Deal ist nach Auskünften der Verwaltung der schottischen Inselgruppe mit einer Barzahlung von 47 000 Pfund Sterling verknüpft, die die Verschrottung der Stahlkonstruktion abdecken soll. Die Behörde würde jedoch eine andere Nutzungsform bevorzugen. Die Möglichkeiten dafür werden gerade geprüft, etwa eine Verwendung als Wellenbrecher.
Das Unternehmen Pelamis Wave Power war 2014 in Insolvenz gegangen, nachdem es nicht gelungen war, zusätzliche Fördergelder zur Weiterentwicklung der Technologie einzuwerben. Das Pelamis-Erbe wurde seitdem vom European Marine Energy Center (EMEC) verwaltet. Nun hat man es an den Orkney Islands Council veräußert. Noch lebt am EMEC die Hoffnung, dass man eines Tages zurückblickt und erkennt, was die obsolete Blechschlange wirklich ist: ein Meilenstein in der Geschichte der Wellenenergie-Industrie.
2009 hatte Pelamis Wave Power bereits das bis dahin weltgrößte und erste kommerzielle Wellenprojekt eingestellt, den Wellenpark vor dem portugiesischen Aguçadora. Der Zusammenbruch des australischen Mehrheitseigners Babcock & Brown im Verlauf der Finanzkrise hatte zum Ende des Projekts geführt.
2013 kündigte der deutsche Stromriese E.ON seinen Ausstieg aus einem gemeinsamen Projekt auf den Orkneys an. Ursprünglich war vor der schottischen Küste ein Wellenpark mit 66 Pelamis-Aggregaten geplant. Bei Pelamis Wave Power hieß es zu dieser Zeit noch, dass der Rückzug die geplante Stromerzeugung im kommerziellen Maßstab nicht beeinträchtigen würde.
In der Branche galt Pelamis Wave Power zum Zeitpunkt der Insolvenz als das Unternehmen mit der weltweit modernsten Wellenenergie-Technologie. Unabhängige Berater hatten noch kurz vor der Insolvenz die führende Position bestätigt, Vorhersagen einer rentablen Zukunft inklusive. Doch die Zukunftsprognosen der Wellenenergie-Branche mussten immer wieder nach unten korrigiert werden.
Der Schwerpunkt aktueller Arbeiten ist auf Gezeitenprojekte konzentriert. Zwar liegt der Energiegehalt bei Meereswellen mindestens eine Größenordnung über der von Gezeitenströmungen, doch haben die Erfahrungen der vergangenen Dekade auch die Probleme beim Betrieb unter den extremen Bedingungen des offenen Meeres vor Augen geführt.
Zum Beispiel in den Vereinigten Staaten. Vor der Küste Oregons sank 2007 die zwei Millionen US-Dollar teure AquaBuOY, der Betreiber Finavera Renewables wechselte daraufhin in die Windenergie-Branche.
2014 zogen die Entwickler von Ocean Power Technologies den Stecker bei der Projektierung des ersten großen Wellenenergie-Vorhabens der USA. Das ursprüngliche Ziel: 100 busgroße Bojen sollten die Energie der Wellen vor Oregon anzapfen. Doch Finanz-, Organisations- und Zeitprobleme wuchsen den Wellenkraftwerkern über den Kopf.
An der US-Ostküste ist Verdant Power auch nach 15 Jahren Entwicklung und Millionen US-Dollar Fördergeldern noch nicht über das Demonstrationsstadium eines Gezeitenkraftwerks am East River in New York hinausgekommen.
Als ein Hauptproblem vieler Projekte entpuppte sich die Überführung vom Demonstrationsprojekt in ein vorkommerzielles Stadium. Dieser Schritt erwies sich oft als viel kostenintensiver und zeitaufwendiger, als sich das die meisten Unternehmen und Investoren träumen ließen.
Seit 2006 hatte eine Vielzahl von Start-ups die Aufmerksamkeit der Medien und das Interesse von Investoren auf sich gezogen, darunter eine Reihe von Projekten abenteuerlichster Natur. Dann brach die Finanzkrise über die Branche herein, die nicht nur das Ende für viele unausgegorene Projekte bedeutete, sondern auch ernsthafte Vorhaben in Bedrängnis brachte. Einschneidend für europäische Projekte: das Nachlassen des Vertrauens in die Eurozone. Krisengebeutelte Regierungen kürzten in der Folge ihre Finanzierungshilfen für erneuerbare Energien.
Als ebenfalls einschneidend zeigte sich die Neubewertung der Reserven fossiler Brennstoffe, die durch das Schiefergasfieber in den USA angeschoben wurde. Dazu kam die geringe Wirkung des Handels mit CO2-Emissionsrechten.
Einige industrielle Schwergewichte hatten trotzdem einen Einstieg in die Energiegewinnung aus dem Meer versucht. Siemens beispielsweise hatte 2012 die Mehrheit bei Marine Current Turbines (MCT) übernommen, dem Konstrukteur der SeaGen-Gezeitenstromturbine, die als Erfolgsstory galt. Die erste Testeinheit war 2008 im nordirischen Strangford Lough installiert worden. Die Turbine diente als Forschungs- und Designplattform und wurde mittlerweile abgebaut. Ein anderes, von Siemens Voith Hydro ausgeführtes Pilotprojekt, das in eine Hafenmole eingelassene 300-Kilowatt-Wellenkraftwerk im baskischen Mutriku, feierte im vergangenen Jahr sein fünfjähriges Betriebsjubiläum. Es liefert Energie für 100 Haushalte und ist gleichzeitig Testzentrum für neue Turbinendesigns und Steuersysteme.
Andere Projekte, die überlebten, sind ebenfalls noch im Pilotstadium, wie etwa der WaveRoller vor dem portugiesischen Peniche. Die Finanzierung stammt nach wie vor größtenteils aus Förderprogrammen. Andere hoffnungsvoll gestartete Projekte dümpeln wegen chronischer Klammheit vor sich hin, wie etwa das Wellenkraftwerk Pico auf den Azoren.
Und doch gibt es eine Reihe von Projekten, die versuchen, ihre Wandler zur Marktreife zu führen. Einige von ihnen werden auch am EMEC auf Herz und Nieren geprüft. In Schottland sieht man sich trotz der Rückschläge gut positioniert: Gesegnet mit über zehn Prozent von Europas Wellenenergie-Potenzial und dem Know-how einiger der führenden Innovatoren und Unternehmen der Branche fühlt man sich nach wie vor in der Lage, Wellenenergie kommerziell in Strom zu verwandeln.
Ende Juni 2017 bekam das EMEC einen Besuch von einer Delegation der Europäischen Kommission. Die Besucher wollten sich aktuelle Projekte ansehen, die am EMEC-Standort Billia Croo getestet werden: Wello Penguin, OpenHydro und Tocardo. Tocardo zum Beispiel hat bereits Gezeitenturbinen im niederländischen Oosterschelde-Sperrwerk installiert, die eine Leistung von 1,25 Megawatt haben und Strom für 1000 Haushalte liefern sollen. Dieses Projekt soll im Falle positiver Betriebserfahrungen ausgebaut werden.
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