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Wer an etwas glaubte, wurde erschossen

Die Ausstellung »Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in West- und Ostdeutschland«

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Heute mögen so manchem in der alten Bundesrepublik Aufgewachsenen die beginnenden 80er Jahre als goldenes Zeitalter erscheinen: Arbeitslosengeld, sichere Rente, Karottenhosen, pastellfarbene Sakkos, Frühling in Hirn und Hose. Dabei werden die dunklen Seiten dieser Ära gern verdrängt: Atomangst, Tschernobyl, Waldsterben, Aids, Rüstungswettlauf, Saurer Regen, Kalter Krieg, bleierne Zeit, »Dirty Dancing«. Die Adjektive zeigten schon die tatsächliche gesellschaftliche Gesamtstimmung an: sauer, kalt, bleiern, schmutzig.

Als im Westen 1976 der allgemeine ökonomische Niedergang sichtbar wurde und die britischen Sex Pistols »Anarchy in the U.K.« forderten, herrschte auch in der DDR, dem zweiten deutschen Staat, nicht gerade Partystimmung: Der in der Vergangenheit nicht unbedingt als Experte für Dissidenz und Popkultur hervorgetretene Erich Honecker wurde Nachfolger des gegenüber jeglichen Kulturerzeugnissen, die auch nur den leisesten Ruch des Subversiven oder Befreienden verströmten, noch weniger aufgeschlossenen Walter Ulbricht (»Mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen«).

Eine vielversprechende Zeit für das Entstehen widerständiger Kunst brach also an, auch in der Bundesrepublik, wo der Pfälzer Helmut Kohl, die personifizierte Provinztristesse, sich anschickte, den ehemaligen NS-Wehrmachtsleutnant Helmut Schmidt als Bundeskanzler abzulösen.

Das damals von der Schlagersängerin Nicole mit viel Schmalz und unter Akustikgitarrenbegleitung gesungene Lied »Ein bisschen Frieden« wurde vor 35 Jahren aufgenommen, ulkigerweise am selben Tag des Jahres 1982 wie das heute leider weitaus weniger bekannte Musikstück »Ein bisschen Krieg« von der Postpunk-Gruppe Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF): »Ein bisschen, ein bisschen / Wir kennen ihn noch nicht / Ein bisschen, wir kennen ihn noch nicht / Wir wollen in den Krieg / Wir kennen ihn noch nicht / Für uns den größten, den besten / So dreckig wie noch nie / Wir wollen in den Krieg, wir wollen in den Krieg / Ein bisschen. Ein bisschen Krieg / Für uns.«

DAF formulierte mittels repetitivem Gestammel, stoischem Marschierschlagzeug und monotonem Synthesizergedaddel eine Kampfansage an den Schlagermorast der BRD der 70er Jahre und die von diesem repräsentierte Scheinidylle. Auch unter musikästhetischen Gesichtspunkten stellte dies einen Angriff auf den volkstümelnden und sentimentalen Schlager dar, dessen gesellschaftliche Funktion die Sedierung einer Bevölkerung war, die ihre Angst verdrängen und ihr Glück in der vermeintlichen Heilen Welt zwischen Wohnzimmerschrankwand, Glotze und Ado-Gardinen (»die mit dem Goldrand«) sehen sollte. »Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude / Ein bisschen Wärme, das wünsch’ ich mir / Ein bisschen Frieden, ein bisschen Träumen / Und dass die Menschen nicht so oft weinen« (Nicole): Im Kern war das sowohl die Agenda der deutschen Friedensbewegung als auch die Wahlpropaganda der im darauffolgenden Jahr, 1983, von der bundesdeutschen Bevölkerung an die Macht gewählten CDU/CSU.

Die einen, die Jungen und Nichteinverstandenen, sich Ende der Siebziger formierend, kamen aus den Kellern und wandten sich vehement gegen die Lüge vom aus dem Nichts erstandenen sauberen und wirtschaftlich erfolgreichen BRD-Staat und das kleinbürgerliche Gartenzwerg- und Zipfelmützenglück, das Helmut Kohl seinerzeit gern fortwährend mit einem seiner Lieblingsbegriffe (»Zuversicht«) belegte. Die anderen, die Älteren und Einverstandenen, wollten am Zipfelmützenglück unbedingt festhalten und klammerten sich an eine offizielle Kultur, die sich seit den Tagen Vico Torrianis und Peter Alexanders kaum verändert hatte.

In Westberlin, Hamburg und Düsseldorf entstanden Bands wie Fehlfarben, Palais Schaumburg oder die Einstürzenden Neubauten. Doch auch in der DDR regte sich vielseitiger Widerstand von Nichteinverstandenen, wie die zurzeit in Dresden zu sehende Ausstellung »Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in West- und Ostdeutschland« zeigt.

Im Osten setzte man sich, meist im Kollektiv und auch nicht selten in Kellern, bevorzugt mit einer eigenwilligen Version von Free Jazz zur Wehr, den man mit Gedichten und Experimentalfilmprojektionen versetzte. Klang, Bild und Bewegung, so meinte man, gelte es zu verschmelzen. Auch die fragwürdigen Disziplinen Experimentaltanz, Körperbemalung und Action Painting wurden von einigen im DDR-Untergrund wiederbelebt.

Oder man fand, wie 1983 in Halle geschehen, einen Pfarrer, der bereit war, unter seiner Obhut das erste illegale DDR-Punk-Festival stattfinden zu lassen. Allerdings nicht als das, was es tatsächlich war, sondern wohlgemerkt als »evangelischen Jugendabend«. Die Liste der Namen der seinerzeit aufgetretenen Bands liest sich nicht unbedingt wie ein uneingeschränktes Bekenntnis zur »Heimat DDR« (Honecker): Namenlos, Größenwahn, Planlos, Wutanfall, Restbestand. Eines der schönsten Gedichte des 1990 früh verstorbenen Ostberliner Aktionskünstlers Matthias Baader Holst lautet wie folgt: »wir soffen und rauchten und waren unglücklich / unsere kinder zeugten wir stets im stehn / immer zwischen 7 und 10 / so vergingen unsere tage / wer an etwas glaubte wurde erschossen.«

Der Dichter Michael Rom, Sänger der Dresdner Punkband Zwitschermaschine, schrieb 1983 Folgendes: »Unsere Lippen / sind / stumm über den / Abgründen / Die Worte die wir / sprechen / sind wie Abfall / in unsere Seele.« Es dürfte außer Frage stehen, dass der für seine legendäre Verkniffenheit bekannte Cordhütchensozialismus von Honecker & Co., der ja zuweilen dazu neigte, selbst schlechte halbexistenzialistische Studentenlyrik im Ruckzuckverfahren zu staatsgefährdender Hetze zu adeln, solche nicht gerade fröhlich den Sozialismus preisenden Verse nicht goutierte.

Im Westen, wo sicherer und vielseitiger mit Stilmitteln wie Witz, Ironie oder subversiver Affirmation hantiert wurde, gaben sich die Postpunk-Künstler wie Martin Kippenberger oder das Kollektiv Die Tödliche Doris als smarte Bürgerschrecks. Von der bestenfalls als dröge und moralisierend wahrgenommenen und bloß »inhaltistischen« (Rainald Goetz) Ästhetik der Achtundsechziger und Hippies hielt man sich bewusst fern. Auf der Innenhülle einer Schallplatte der Band Freiwillige Selbstkontrolle (Motto: »Heute Disco, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie«) aus dem Jahr 1981 findet sich ein Text, der auch als Absage an Naturkitsch, Utopieseligkeit und Politromantik verstanden werden muss: »Der Hippie gehört nach eigenen Angaben und auch nach unserer Beobachtung der Modernen Welt in keiner Weise an. In seiner schwärmerischen Veranlagung ist der Hippie immer auf der Suche nach Gemütlichkeit und Nostalgie.« Stattdessen sah man sich als Kommentator der Gegenwart: Beton, Plastik, Glitter und ein gepflegter Nihilismus, das war das neue Ding.

Im Osten gab es Bands wie Schleim-Keim (»Komm gib mir deine Hand / Wir wollen zusammen verrecken«) oder AG Geige, die - wie im Westen die Düsseldorfer von Der Plan - in selbstgeschneiderten surrealistisch wirkenden Masken und Bühnenkostümen auftraten.

Die Exponate in der Ausstellung, deren Dokumentationszeitraum bis in die frühen Neunziger reicht, sind ganz unterschiedlicher Natur und Herkunft: Gedichte, Fotos, Gemälde, Video- und Super-8-Kurzfilme, experimentelle Zeitschriften (»Mode & Verzweiflung«), im Geheimen produzierte Musikkassetten und unabhängige Schallplattenproduktionen. Zu den eindrucksvollsten Ausstellungsstücken dürften die selbstgebauten Instrumente des Jazz-, Industrial- und New-Wave-Kollektivs Ornament & Verbrechen gehören: ein aus dem Auspuff eines Schwalbe-Mopeds gefertigtes Saxofon (»VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Ernst Thälmann«) oder eine aus einem Gartenschlauch gebastelte Gummiklarinette.

Ein in der Schau zu sehendes Motiv allerdings wiederholt sich. Ob West oder Ost, die Fotos ähneln sich häufig in frappanter Weise: Junge Menschen in schwarzen Lederjacken und mit die Bereitschaft zur Unangepasstheit signalisierenden Frisuren posieren zwischen grauen Mietskasernen. Oder stehen, ein Bier in den Händen haltend, übellaunig unter Neonleuchtröhren vor wahlweise kahlen oder liebevoll beschmierten Betonwänden herum, dabei einen eleganten Chic der Tristesse und des Verfalls kultivierend.

»›Geniale Dilletanten‹. Subkultur der 1980er Jahre in West- und Ostdeutschland«, bis zum 19. November im Albertinum, Tzschirnerplatz 2, Dresden.

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