Stamokap! Stamokap?
Das Kapital und die Politik: Über eine Theorie, die mehr als nur drolliger Restbestand der westlinken Geschichte ist
Was Hannover, Lenin und der Kapitalismus miteinander zu schaffen haben? Die Antwort auf die Frage liegt auf der Hand: Stamokap! So kann man es nun jedenfalls in Kommentaren zur Autokrise, zu den Verflechtungen von niedersächsischen Landesregierungen mit dem VW-Konzern, zum Gebaren der ganzen Industrie gegenüber dem und im Staat lesen.
Immer größere ökonomische Macht weniger Konzerne, wachsende Indienstnahme der staatlichen Institutionen! »Wir haben uns auf eine Weise an diese Zustände gewöhnt, die gefährlich ist«, warnt Holger Schmale in der »Frankfurter Rundschau« - und weiter: »In den 1970er und 1980er Jahren wurde in der SPD über die marxistische Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus, kurz Stamokap, diskutiert. Diese Theorie ist ein wenig in Vergessenheit geraten, zu Unrecht, möchte man sagen.«
Nun, erstens ist das die Frage und zweitens wurde nicht nur in jener Zeit und in der Sozialdemokratie über den SMK diskutiert, sondern auch früher schon und in der DDR, wo allerdings niemand Stamokap sagte.
Das war in der Bundesrepublik anders und wer schon etwas älter ist, mag sich an Auseinandersetzungen bei den Jusos erinnern. Oder daran, dass in großen Blättern wie der »Zeit« damals unter Überschriften wie »Die Monopole entmachten« ausführliche Interviews »über die umstrittene Stamokap-Theorie« erschienen.
Nur eine vage Erinnerung, den Osten vergessend
Zu jener Zeit war Gero von Randow noch in der SDAJ unterwegs, der Jugendorganisation der DKP, in der die Theorie vom Staatsmonopolistischen Kapitalismus - kurz: SMK - auch »Gültigkeit« hatte. Im Unterschied zu damals nennt sich von Randow heute »liberaler Stamokap-Kritiker« und fordert in eben jener »Zeit« den Verkauf der Landesanteile Niedersachsens als Mittel gegen zu viel Konzerneinfluss in der Politik. Dazu zitiert er den Außenminister, welcher es als »völlig normal« verteidigt hat, dass ein Ministerpräsident eine Erklärung seiner Regierung dem Cheflobbyisten eben dieses Unternehmens vorlegt - und weiter: »Wenn aber Sigmar Gabriel recht hat, dann hatten die Linken der sechziger und siebziger Jahre ebenfalls recht, die vom ›staatsmonopolistischen Kapitalismus‹ sprachen.«
Nochmal: Erstens ist das die Frage und zweitens wurde nicht nur in der nämlichen Zeit und nicht nur im Westen über den Stamokap gesprochen. Es scheint, als sei nur eine vage Erinnerung von der Stamokap-Theorie vorhanden. Ein drolliger Restbestand linker Geschichte, aus dem auch noch die östlichen Teile herausgefallen sind.
Klingt nach Weltanschauungsgemurkse von früher
Es gibt wohl Gründe dafür, und die haben wenig mit der stets auch unter Linken umstritten gewesenen SMK-Theorie zu tun. Ob im »Kritischen Wörterbuch des Marxismus« Anfang der 1980er Jahre die Rede davon war, dass die Analyse des Stamokap »etliche Schwierigkeiten« aufwerfe, weil es schon über die Grundbegriffe »innerhalb der verschiedenen Strömungen des Marxismus« keine »einheitliche Auffassung« gab, wen interessiert das heute schon. Dennoch wird gern in Politikerporträts von Olaf Scholz oder Hans-Ulrich Klose daran erinnert, dass beide Stamokap-Anhänger waren - und später Hamburger Regierungschefs. Der SMK-Bezug ist hier lediglich leere Illustration. Hinzu kommt, dass bis in die kritische Sozialwissenschaft hinein lange niemand gern von »Kapitalismus« sprach. Das hatte natürlich Folgen für einen Begriff, der durch das Adjektiv »staatsmonopolistisch« auch noch nach dem Weltanschauungsgemurkse von früher klang.
Aber was sagt beides über den Gehalt der Stamokap-Theorie aus?
Angefangen hat alles mit Rudolf Hilferding, die Wurzeln reichen weiter zurück, eigentlich bis Marx und Engels. 1910 setzt sich Hilferding in »Das Finanzkapital« mit wachsender Monopolisierung des Kapitals auseinander. Lenin prägte um 1917 herum den Begriff »staatsmonopolistischer Kapitalismus«, den er als letzte Phase im historischen Finale betrachtete - der Stamokap als allerletzte Weiterentwicklung des faulenden, parasitären Imperialismus. Wenige große Konzerne verwachsen mit den staatlichen Organen, daraus resultiere eine alles durchdringende politisch-ökonomische Herrschaftsstruktur mit allen möglichen Folgen.
Die Rolle der DDR-Ökonomen
Unter der Knute des Stalinismus stand die Theorie nicht hoch im Kurs. Erst einige Zeit nach dem Tod des Diktators kam die Debatte wieder in Gang. Ab Mitte der 1960er Jahre waren es Ökonomen aus der DDR, die mit »Imperialismus heute« oder »Zur Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus« weithin rezipierte Bücher zum Stamokap beisteuerten. Politisch war der Weg dafür 1960 freigemacht worden - durch eine Erklärung der Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau, welche die SMK-Theorie zur Folie machte, durch die man den Niedergang des kapitalistischen Weltsystems beobachten wollte.
Hierin liegt wohl einerseits die Anziehungskraft des Konzepts: Es bedient eine unter Linken ohnehin verbreitete Sehnsucht nach dem möglichst raschen Zusammenbrechen des Kapitalismus. Zugleich wurde daraus eine der Schwachstellen: Statt aus seiner allerletzten Fäulnisphase gesetzmäßig ins sozialistische Shangri-La überzuleiten, blieb 1989 erst einmal der Kapitalismus übrig.
Damals anspruchsvolle Debatte, heute meist Theorielosigkeit
Mit dem Stamokap war zuvor eine politische Praxisorientierung verbunden worden, die auf »breite, antimonopolistische Bündnisse« orientierte. Das sorgte vor allem in der Bundesrepublik für Debatten - und Parteiausschlüsse. Jusos, die unter der Stamokap-Fahne eine Kooperation mit der DKP befürworteten, bekamen Ärger, etwa der damalige Verbandschef Klaus Uwe Benneter. Er durfte dann später in die SPD zurück. Aber dass in den 1970er und 1980er Jahren überhaupt eine theoretisch durchaus anspruchsvolle Strategiedebatte über den »Thesenstreit um Stamokap« (so der Titel eines Rowohlt-Bändchens) lief, mag man sich heute im Lichte der Theorielosigkeit vieler linker Politikkonzepte kaum noch vorstellen.
Dann kam die Wende. Die stets den machtpolitischen Vorgaben der »führenden Partei« unterworfene und oft am Dogmatismus krankende wissenschaftliche Kapitalismusanalyse war im Osten von einem auf den anderen Tag passé. Im Westen war Stamokap ein Begriff geworden, der vor allem an alte Zeiten erinnerte. Erst im Zuge der Finanzkrise ab 2007 konnte man in einschlägigen Zeitschriften dann wieder von der »Rückkehr des Stamokap« lesen.
Marxistische Kritik an der Stamokap-Theorie
In kleineren Zirkeln hatte eine Debatte überlebt, in der es durchaus auch museale Motive oder bloße Vergangenheitsverteidigung gab - in der aber ebenso die Schwächen des Konzepts und seine aktuellen Potenziale abgewogen wurden. Dabei konnte an frühere Zweifel angeknüpft werden, etwa darüber, »inwieweit es sich bei der Verflechtung von Staat und Monopolkapital und den daraus abgeleiteten Antagonismen tatsächlich um den heute bestimmenden Mechanismus des Kapitalismus handelt«, so der frühere Juso-Vize Uwe Kremer.
Damit kam auch wieder jene Kritik zur Sprache, die es auch aus marxistischer Theorietradition am Stamokap-Modell stets gegeben hatte, etwa was die Rolle der Wertgesetzlichkeit anging. Schon der verwendete Begriff des Staates galt vielen linken Kritikern der SMK-Theorie als unzureichend, wie unter Verweis auf Antonio Gramsci eingewandt wurde.
Ist also heute nichts übrig außer einem Schlagwort für das politische Feuilleton? Das kann man nicht sagen, es sind zuletzt sogar wieder Bücher über den Stamokap erschienen, zum »Basiswissen Stamokap« etwa (Papy Rossa Verlag) oder zur Frage, ob es sich um einen »ideologischen Kampfbegriff« oder einen »Ansatz zur Analyse des modernen Kapitalismus« handele (Welttrends).
Huffschmid und die Interessen der Automobilindustrie
Der Ökonom Jörg Huffschmid hatte bereits Mitte der 1990er Jahre dazu geraten, die Stamokap-Theorie nicht nur durch die Brille ihrer eigenen Geschichte zu betrachten. Dass es wenige große Konzerne gibt, die neben der Marktmacht auch außerökonomische Macht ausüben, könne heute aber so wenig bezweifelt werden wie die Tatsache, dass ein großer Teil des Staatsapparates mit ökonomischer Steuerung befasst sei und staatliche Politik wesentlich dazu beiträgt, »das erforderliche Minimum an gesellschaftlichem Zusammenhang, Akzeptanz und Ausgleich zu gewährleisten«. Drittens habe das große Gewicht der jeweils führenden Unternehmen »auch Folgen für die Richtung und den Inhalt der politischen Regulierung«.
Wer freilich nur diesen Kern sehe, das sagt Huffschmid auch, laufe erneut Gefahr, auf dem Stamokap-Ticket eher »realitätsblind und politikunfähig« zu werden. Das betrifft unter anderem die Widersprüche zwischen Fraktionen des »Monopolkapitals«, die Rolle kleinerer Unternehmen und nicht zuletzt die der nationalstaatlichen Regulierung in Zeiten wachsender Internationalisierung.
Ganz hinfällig ist für Huffschmid die Theorie deshalb nicht. »Die Interessen der Automobilindustrie müssen sich zwar nicht zwangsläufig und aufgrund der Logik des SMK durchsetzen«, schrieb er 1995. »Nur: Faktisch tun sie es.« Heute ist davon wieder im Feuilleton die Rede.
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