Mit Marx und Engels fast privat
Heinrich Gemkow tot
Anfang der 1980er Jahre erschien unter den Titel »Unser Leben« eine (vermutlich die erste) Doppel-Biografie über Karl Marx und Friedrich Engels. Sie wandte sich vor allem an FDJ-Mitglieder und ließ ob ihrer im besten Sinne des Wortes wissenschaftlich-populären Darstellung aufmerken. Fern von Hagiographie kamen hier die Persönlichkeiten auch mit ihren Schwächen vor. Der Autor der zwölf Auflagen erlebenden Publikation hatte da längst einen Namen als Historiker der Geschichte der Arbeiterbewegung und international geschätzter Marx-Engels-Forscher.
Der Sohn eines liberalen Schuldirektors aus dem pommerschen Stolp (Słupsk), als Marinehelfer noch in den Krieg der Faschisten gezwungen, hatte nach dessen Ende in Halle-Wittenberg das Abitur nachgeholt, Germanistik, Geschichte und Pädagogik studiert. Zunächst kurzeitig im gerade gegründeten Museum für Deutsche Geschichte unter Alfred Meusel tätig, kam er ans Institut für Marxismus-Leninismus (IML), dessen stellvertretender Direktor er ab den 1960 Jahren bis 1990 war.
Mit Arbeiten über den Kampf der revolutionären Sozialdemokratie gegen das Sozialistengesetz hatte Gemkow in den 1950er Jahren mit Publikationen nicht nur von Marx und Engels, sondern auch ihrer Mitstreiter begonnen. Paul Singer galt seine Dissertationsschrift, es war die erste wissenschaftliche Biografie über diesen führenden Sozialdemokraten. Gemkow wurde Mitherausgeber der zweiten Marx-Engels-Gesamtausgabe und war für diese emsig auf mühseliger Suche nach bislang nicht entdeckten Texten. Bleibenden Verdienst erlangte er mit den zum Teil gemeinsam mit seiner Frau Hilde herausgegebenen Quellen, ja Kostbarkeiten aus dem Leben von Marx. Leider wenig bekannt wurde ein Kabinettstück historischer Biografik, seine eindrucksvolle Studie über Marx’ letzten Aufenthalt in Deutschland, eine Kur mit Jenny und Tochter Eleonor im beschaulichen Neuenahr 1877. Dem exzellenten Bücherfreund und Mitglied der Pirckheimer-Gesellschaft gelang - fast nebenbei - eine einmalige Sammlung von 245 Ausgaben des »Kommunistischen Manifests« in 56 Sprachen, die er später dem Friedrich-Engels-Haus in Wuppertal zur Verfügung stellte.
Nach der sogenannten Wende 1989/90 aus dem offiziellen Wissenschaftsbetrieb verdrängt, machte er unter schwierigeren Bedingungen seinen Beruf zum Hobby. Zahlreiche neue Quellen ans Tageslicht befördernde Publikationen über die Engels-Familie, so über den Schwager von Karl Marx, den zwischen Jenny Marx und ihrem Halbbruder Ferdinand stehenden Edgar von Westfalen, sowie über Sigismund Borkheim, den »Russland-Experten an der Seite von Marx und Engels«, bezeugten seine ungebrochene Produktivität und Kreativität noch im hohen Alter. Dazu gehören auch seine biografischen Studien über die Frauen um Friedrich Engels, namentlich über die Haushälterin der Marx-Familie Helena Demuth und deren in sozialistischen und kommunistischen Kreisen lange Zeit verschwiegenen Marx-Sohn Frederick Demuth.
Heinrich Gemkow starb gestern, am 15. August, im Alter von 89 Jahren in Berlin.
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