Durchboxen in Havanna

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Wenn Julio, Alberto, Ismael, Puncho und all die anderen am Nachmittag um halb fünf am »Gimnasio de boxeo« in Havanna ankommen, haben sie schon einen langen Tag hinter sich. Morgens um halb acht beginnt die Schule und dauert immer bis drei oder vier Uhr am Nachmittag, von Montag bis Freitag. Auf Kuba wird Bildung groß geschrieben, kaum ein Kind geht weniger als zehn Jahre in die Schule, viele schließen sie mit dem Abitur ab. In der Hoffnung, einmal eine Universität besuchen zu können, sind Kubaner in diesem Bereich sehr diszipliniert. Ansonsten kann es schon mal vorkommen, dass man in Kuba mehr als eine Stunde auf seine Verabredung wartet, und das nimmt man einander nicht übel. Es wird teilweise sogar so erwartet. Die sonst so gemütlichen Kubaner, die nicht viel auf Pünktlichkeit halten, sind doch »en punto« (pünktlich/auf den Punkt), nicht nur, wenn es um die Schule geht, sondern auch beim Sport. Sport treiben ist für viele Kids auf Kuba wichtig. Der Sport steigert ihr Selbstbewusstsein, um das harte Leben auf der Karibikinsel meistern zu können.

Aber nun wieder zu Julio und seinen Boxfreunden: Ángel Moya und Héctor Vinent, die Trainer der Jugend, erwarten ihre Sportler schon. Gleich kann das Training beginnen. Viele der Jungs ziehen sich keine extra Sportkleidung an, sie trainieren so, wie sie angekommen sind. Klamotten extra für das Training können sich viele Familien nicht leisten. Und wenn doch, dann tragen die Kinder Shirts und Hosen, bis diese kaum noch passen und kurz vorm Auseinanderfallen sind. Kuba ist kein reicher Staat, davon können Sommer, Sand und Palmenstrand nicht ablenken. Viele Eltern verdienen kaum mehr als umgerechnet circa zehn bis 15 Euro im Monat. Viele hoffen auf einen der heiß begehrten Jobs in der Tourismusbranche - wofür sie gut genug Englisch, Deutsch oder die Muttersprache Spanisch können müssen.

Los geht es: Bei 35 Grad Celsius in der prallen Sonne beginnt das Training mit dem Aufwärmen. Laufen, Seilspringen, Fußball - trotz der Hitze müssen erst einmal die Muskeln gelockert werden. Dann: Liegestütze, Rumpfbeugen, Bauchmuskeln trainieren. Das alles findet unter freiem Himmel auf einem harten Steinboden statt. Wer nicht kurz vor einem Wettkampf steht und von einem Trainer mit speziellen Trainingseinheiten und Tipps darauf vorbereitet wird, trainiert: Sparring im Ring, Schattenboxen oder Arbeit mit dem Sandsack. Die vorhandenen Sandsäcke wurden teilweise mit Lumpen ausgestopft, der Ring hält nicht nur für das Training her, in ihm finden natürlich auch regelmäßig die Wettkämpfe statt. Dann biegen sich im wahrsten Sinne des Wortes die Balken. Und doch kommen alle immer wieder, denn es muss nicht bequem sein, um Leistung zu bringen und Spaß zu haben. Obwohl, ein richtiges Dach wäre in der Regenzeit schon ganz cool.

Kubas Boxer sind weltberühmt für ihre tänzelnde Leichtigkeit. Wohl auch, weil Kinder auf Kuba schon mit drei bis vier Jahren anfangen, Salsa tanzen zu lernen. Dadurch entwickeln sie Rhythmusgefühl. Nach zwei Stunden endet das Training und es geht auf die Waage. Für Wettkämpfe muss das Gewicht stimmen. Boxer werden in unterschiedliche Gewichtsklassen eingeordnet. Wer sein Gewicht nicht hält, tritt auch nicht zum Wettkampf an. Héctor und Ángel müssen ihre Jungs immer wieder rügen. »Zu viele Süßigkeiten, zu viel Zucker, zu viel weißes Brot«, sagt Héctor. »Man nimmt nicht nur zu, die Sportler werden schlapp, ungelenkig und ihre Knochen werden instabil.« An diesem Tag ist alles in Ordnung. Auf dem Heimweg erzählen sie sich von ihren Idolen wie Muhammad Ali und der kubanischen Boxlegende Félix Savón (Foto rechts oben), der in Havanna lebt und regelmäßig Wettkämpfe besucht, um zu schauen, was die Jugend heute anders und vielleicht sogar besser macht.

Auch Ángel und Héctor freuen sich auf morgen, wenn die Jungs wiederkommen, um von ihnen zu lernen. Beide waren selbst Boxer und bestritten internationale Wettkämpfe (Héctor gewann sogar zwei olympische Goldmedaillen). »In Deutschland«, sagt Ángel mit einem breiten Grinsen, »da nehmen die Menschen Schnee, formen Bälle daraus und bewerfen sich damit«. Eine seiner liebsten Erinnerungen, die er aus dem Ausland mitgebracht hat. Das ist lange her. »Wir Boxer«, sagt Héctor »sind wie eine große Familie. Die Jungs sind wie unsere eigenen Söhne, viele von ihnen nehmen uns wie Väter an. Sie kommen pünktlich zum Training, sie sind diszipliniert, respektvoll im Umgang miteinander, hören zu und setzen das Gesagte um. Wir können uns nicht beschweren.« »Und schlau sind sie«, ergänzt Ángel. Die Trainer achten auf die schulischen Leistungen ihrer Jungs. Wenn es in der Schule nicht läuft, bekommen sie sportliche Strafen beim Training. »Da werden dann eben mal mehr Runden gelaufen oder mehr Liegestütze gemacht.« Wenn es ganz schlimm ist, können sie sogar vom Training ausgeschlossen werden, bis es in der Schule wieder besser läuft. Und das wirkt! Keiner möchte auch nur einen Tag Training verpassen im »Gimnasio de boxeo« in Havannas Altstadt.

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