Rostock: Razzia bei mutmaßlichen Rechtsterroristen
Generalbundesanwalt: Polizist und weitere Person sollen Ermordung von Linken geplant haben / Renner: »Das ist die Folge der Hetze gegen links«
Berlin. Sie sollen geplant haben, Linke zu töten: Ein Polizist und ein weiterer Mann stehen in Mecklenburg-Vorpommern im Verdacht, rechtsterroristische Attentate vorgehabt zu haben. Wie der Generalbundesanwalt mitteilte, werde gegen zwei Beschuldigte »wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat« ermittelt.
Die beiden sollen in Chatgruppen über »die aus ihrer Sicht verfehlte Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik« gesprochen und wegen dieser Entwicklung den »Zusammenbruch der staatlichen Ordnung« prognostiziert haben. Diesen Krisenfall sollen die Männer »als Chance gesehen haben, Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten. Zu dieser Personengruppe sollen die Beschuldigten eine Liste mit Namen und weiteren Personalien angelegt haben«, so die Bundesanwaltschaft. Des Weiteren sollen sie sich Munition beschafft haben.
Die linke Bundestagsabgeordnete Martina Renner reagierte mit Entsetzen auf die Meldung. »Das ist die Folge der Hetze gegen links«, twitterte sie am Montagmittag. Renner stellte umgehend zwei Fragen an die Bundesregierung. Die Bundestagsabgeordnete will so erfahren, seit wann die Behörden »Kenntnis von der Liste von Anschlagszielen« hatte, die bei der Razzia gegen mutmaßliche Rechtsterroristen gefunden wurde. Zudem stelle sich die Frage danach, »wie viele der Personen, die auf dieser Liste stehen«, davon in Kenntnis gesetzt worden seien.
Die Linkspartei twitterte, »es gibt Todeslisten gegen linke Politiker. Stichwortgeber für die zunehmende Gewaltbereitschaft der Rechten ist die AfD.« Der Berliner Linkspolitiker Oliver Höfinghoff sagte sarkastisch: »Nach diversen Nazigruppen in der Bundeswehr« habe man »jetzt Rechtsterroristen in der Polizei. Was sind wir überrascht. Nicht.«
Auch der Grünen-Politiker Konstantin von Notz verwies auf den Fall des Bundeswehr-Soldaten, gegen den Ermittlungen im Frühjahr wegen rechtsterroristischer Aktivitäten aufgenommen wurden. »Nach Franco A., um den es erstaunlich ruhig geworden ist, ein weiterer Fall...«, twitterte von Notz am Montag. Der Oberleutnant hatte sich als syrischer Kriegsflüchtling ausgegeben und mindestens eine Waffen beschafft. Die Bundesanwaltschaft geht daher davon aus, dass Franco A. einen rechtsterroristischen Anschlag unter falscher Flagge geplant hatte.
Der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein sagte im Kurzmeldungsdienst, den Fall umwehe »ein Hauch von tiefem Staat« in Mecklenburg-Vorpommern. Er bezog sich dabei auf Berichte, dass die Ermittlungen wegen rechter Terrorgefahr nicht in der »Nazi-Szene, sondern bei Polizisten, Anwälten, Politikern« stattfinden würden.
Die Berliner Grünen-Politikerin Monika Herrmann sagte in dem Kurznachrichtendienst, »Deutschland hat in der Polizei und in der Bundeswehr rechtsradikale Kräfte.« Sie wolle nun hören, wie der Bundesinnenminister »das löst«.
Einer der Verdächtigen ist Beamter bei der Polizeiinspektion Ludwigslust, so das Innenministerium in Schwerin. Gegen ihn seien gleichzeitig disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden. Die Sprecherin betonte, es handele sich um einen Anfangsverdacht. Ein dringender Tatverdacht bestehe nicht. Auch habe es bisher keine Festnahmen gegeben.
Laut dem NDR durchsuchten die Ermittler auch das Haus eines Rostocker Rechtsanwalts. Bei diesem soll es sich um ein Mitglied der Rostocker Bürgerschaft handeln, der Verdächtige sitze dort für die Fraktion der Unabhängigen Bürger für Rostock.
Am Montag wurden mehrere Wohnungen und Geschäftsräume in Schwerin, Rostock und Umgebung durchsucht. Man wolle so versuchen, »die bestehenden Verdachtsmomente zu objektivieren«, heißt es bei der Deutschen Presse-Agentur unter Berufung auf Ermittlungskreise. Nach Angaben des Schweriner Innenministeriums fanden Razzien zudem auch bei Personen statt, die als nicht tatverdächtige Dritte geführt werden. Darunter befinde sich auch ein weiterer Polizeibeamter des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Bei den Durchsuchungen sind ausschließlich Beamte des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei im Einsatz. Keiner von ihnen kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, so das Schweriner Innenministerium. Dies geschieht offenbar, um dem Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, mutmaßt der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag, Peter Ritter. Er fordert Innenminister Lorenz Caffier (CDU) noch am selben Tag auf, den Innenausschuss des Landtags über den Einsatz, die Tatverdächtigen sowie rechtsterroristische Gruppierungen und Bestrebungen in MV zu unterrichten. Die beiden Verdächtigen werden intern dem rechten Spektrum zugeordnet.
Nach Ritters Einschätzung belegen die Durchsuchungen vom Montag, dass die Gefahr durch den Rechtsterrorismus in Mecklenburg-Vorpommern akut ist. Die rechtsextreme Szene ist nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zuletzt leicht gewachsen. Der Verfassungsschutzbericht des Landes für 2015 gibt die Zahl der Rechtsextremisten im Nordosten mit rund 1450 an. Das sind 50 mehr als im Jahr davor. Davon sollen 680 Personen gewaltorientiert sein, 30 mehr als ein Jahr zuvor. Bundesweit wurde 2015 die Zahl der Rechtsextremisten auf 22 600 geschätzt. Damit hatte der Nordosten einen Anteil von 6,4 Prozent - bei einem Anteil an der gesamtdeutschen Bevölkerung von rund zwei Prozent.
Der Begriff »tiefer Staat« wurde zunächst in der Türkei für konspirative Verflechtungen von Militärs, Geheimdiensten, Politik und Rechtsextremismus sowie Verbrechern geprägt. Später fand er bisweilen auch mit Blick auf die Komplizenschaft von Geheimdiensten und Rechtsradikalen in der Bundesrepublik Anwendung. Er bezieht sich auch rückblickend auf so genannte Stay-behind-Gruppen in den Nachkriegsjahrzehnten, also paramilitärische Organisationen, die bei einer Invasion von Truppen des Warschauer Paktes hinter den Linien der Besetzer eingesetzt werden sollten, was durch die Aufdeckung von »Gladio« 1990 bekannt geworden war. Agenturen/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.