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Kapitalismus 4.0 oder digitale Revolution?
Bei der Digitalisierung geht es nicht darum, wie wir morgen arbeiten, sondern darum, wer bestimmt wie wir morgen arbeiten
Die Digitalisierung verändert Arbeit und Wertschöpfung fundamental. Es sind nicht mehr Maschinen und Fließbänder, die heute den Takt der Arbeit vorgeben. Computer und Bildschirme prägen mehr denn je die Produktion. Sie bestimmen auch Distribution, Konsumtion und Reproduktion. An dem Wandel vom Fordismus zum digitalen Kapitalismus sind große Erwartungen geknüpft, die vieles versprechen: neues wirtschaftliches Wachstum durch Innovation und Effizienz mit zukunftsweisenden Perspektiven für Arbeit und Wertschöpfung, ein anderes Arbeiten und ein anderes Leben. Die Frage ist: Wird dieses ein besseres Arbeiten und Leben?
Entgegen der zentralen These von Jeremy Riffkin, die Digitalisierung bringe das Ende des Kapitalismus, erfährt der Kapitalismus durch die Digitalisierung einen neuen Schub. Der Kapitalismus funktioniert, für seine Nutznießer*innen, hervorragend. Er war, auch dank der Digitalisierung, noch nie so tief in Individuen und Gesellschaft weltweit über alle kulturellen Grenzen hinweg verankert wie heute. Auch darum stellt die Digitalisierung der kapitalistischen Gesellschaft die Politische Linke vor zahlreiche Herausforderungen. In einem Diskussionspapier der »Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung« der Partei DIE LINKE, wurde 2016 bereits folgerichtig gefragt: »Bedeutet die viel beschworene Digitalisierung wirklich etwas historisch Neues oder geht es nur um alten Wein in neuen Schläuchen? Betrifft sie primär die Wirtschaft, 'Stichwort Produktion 4.0', oder doch nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche? Drohen mit der Digitalisierung vor allem Risiken, die abzuwehren sind, oder auch antikapitalistische Chancen, die Linke befördern sollten?« [1]
Karl Marx hat es als Charakteristikum der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ausgemacht, dass ihre »technische Basis […] revolutionär [ist], während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich konservativ waren.« [2] Der Kapitalismus transformiert sich selbst durch technische Revolutionen, wird aber dadurch niemals in Frage gestellt oder gefährdet. Im Gegenteil: Er geht immer wieder gestärkt daraus hervor. So ist auch der Digitale Kapitalismus eine Folge der Krise des Fordismus.
Arbeit, als Lebensmittelpunkt der meinsten Menschen in kapitalistischen Gesellschaften, wird durch die Digitalisierung neu bestimmt. Die Linie ist zu ziehen von der Produktivkraftsteigerung durch Zerlegung von Arbeitsschritten in der Manufaktur über die Maschine und das Fließband sowie der elektronischen Maschinensteuerung bis hin zur digitalen Steuerung des gesamtem Produktions- und Verteilungsablaufs von der Rohstoffgewinnung zum Konsumenten. Die Trennung von Hand- und Kopfarbeit wird durch die Digitalisierung auf eine neue Stufe gehoben durch die Zerlegung bisheriger Betriebsleitungs- und technischer Entwicklungsschritte, die dadurch zunehmend automatisierbar werden.
Die Digitalisierung hat Auswirkungen nicht nur für die ökonomische Verwertung von Arbeit und Kapital, sie durchdringt das gesamte Wirtschaftsleben und alle Bereiche der Reproduktion, den einzelnen Menschen und die Geschlechterverhältnisse. Was den weiten Sinn der Technik betrifft, so geht die technologische Revolution einher mit neuen Techniken der Akkumulation und Verwertung von Kapital, aber auch mit der Akkumulation von Kapital ohne unmittelbare Verwertung durch Arbeit (Finanzmarktkapitalismus, Spekulation, Ausweitung des Kreditsystems, Derivate etc.) sowie mit neuen Techniken, die Produktion, die Arbeit und die Arbeitsverhältnisse zu organisieren (Kybernetik, Outsourcing, Industrie 4.0., Flexibilisierung, Individualisierung, Prekarisierung etc.). Das ist Grundgesetzmäßigkeit des Kapitalismus: aus Geld noch mehr Geld zu machen. Die Digitalisierung wird dieses Prinzip in der globalen Wirtschaftswelt beschleunigen.
Es geht somit bei der Digitalisierung im Kern nicht um irgendeinen Einsatz digitaler Technik, es geht um die digitale Vernetzung aller Arbeits- und Lebensbereichen über das Internet mit mobil einsetzbarer Hardware und angetrieben durch Konzepte der künstlichen Intelligenz und neuen statistischen Analyse-Verfahren wie BigData. Die Digitalisierung ändert jedoch nichts an der profanen Erkenntnis, dass der Kapitalismus immer noch der gleiche ist. Einzig die Mittel, die zur Realisierung von Profiten zum Einsatz kommen und die Verhältnisse, in denen er wirkt, ändern sich. Alle gesellschaftlichen Bereiche werden auf Basis neuer digitaler Technologien neu strukturiert.
Arbeitsverhältnisse und Arbeitszeiten ändern sich, es gibt immer mehr Working Poor, also Leute, die mehrere Jobs haben, oder befristete Jobs. Das ist eine allgemeine Tendenz, die mit dem Umbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise einhergeht. Aber das passiert nicht bruchlos. Da sind Widersprüche, es gibt subversive Potenziale. Denn auch der aktuelle Kapitalismus basiert auf der Trennlinie »Besitzende oder Nichtbesitzende von Produktionsmitteln«. Die Klassenfrage ist auch in Zeiten von Commons, Open Source-Lizenzmodellen oder der Freie-Software-Bewegung virulent. Aber über ihren Kern legen sich vielfache Ausdifferenzierungen.
Um Profit maximieren zu können, muss ein Unternehmen permanent darauf achten, in der Produktion keine höheren Kosten zu haben, als unbedingt notwendig. Da Arbeit und Kapital im volkswirtschaftlichen Sinne zwei gegeneinander austauschbare Produktionsfaktoren sind, die unterschiedlich hohe Kosten verursachen, wird das Unternehmen immer eine für sich kostenoptimale Kapitaleinsatzquote anstreben. Sind die Arbeiter*innen zu teuer, werden sie entlassen und durch technische Alternativen (Roboter, automatisiertes Lagermanagement, etc.) ersetzt. Bisher ist eine komplett menschenfreie Produktion zwar noch Zukunftsmusik, aber wer weiß, wie lange noch. Uns muss klar sein, dass es eine Verlagerung der Arbeit geben wird, bzw teilweise bereits gibt. Es ist keine Fantasie mehr, dass die Drohne das Paket bringt. Auch im Logistikzentrum kann ein Roboter zuverlässig und billig arbeiten. Die Frage ist aber: Wer bedient die Roboter? Wer baut die dafür notwendige Hardware? Ein Roboter ist eine von Menschen gemachte Maschine, die aus sich heraus erst einmal gar nichts bedroht. Roboter, wenn sie denn richtig funktionieren, tun das, was ihre Hersteller, Programmierer etc. ihnen auftragen, inklusive dessen, wozu sie sich selbst optimieren können. Die Fähigkeit, Maschinen herstellen zu können, die selbstständig große Teile der materiellen Produktion, ihrer Organisation und Logistik übernehmen können, ist selbstredend ein gewaltiger Menschheitsfortschritt. Die Frage ist allerdings, auf welche gesellschaftlichen Verhältnisse, Produktionsverhältnisse, trifft so eine Revolution der Produktivkräfte? Da wir uns mit der Digitalisierung nicht in irgendeiner »Marktwirtschaft«, sondern im Kapitalismus befinden zählt hier nur eine Größe: Der Profit. Und hier trifft der technische Fortschritt auf seine entscheidende Grenze. Menschenfreie Produktion bedeutet zuallererst gewaltigen Kapitaleinsatz. Dieses Kapital muss sich dann allerdings auch rentieren. Das tut es, wenn es Waren produziert, die dann auch konsumiert werden. Wenn allerdings immer weniger Menschen in der Produktion beschäftigt sind, muss diese Nachfrage irgendwie organisiert werden, der Hauptgrund, weswegen selbst Unternehmerverbände vom bedingungslosen Grundeinkommen palavern.
Dennoch müssen wir uns auf einen neuen Strukturwandel in der Arbeitswelt einstellen, die Berufe werden sich deutlich verändern. »Eine deutliche Steigerung der Arbeitsproduktivität und neue Formen der Produktion können aber auch Chancen eröffnen für ein stärker selbstbestimmtes Arbeiten und Leben, für eine sozial gerechtere und ökologische Gestaltung der Wirtschaft – und für neue Formen der Demokratie, die Alltag und Arbeit einschließen.« [3] Wenn die Digitalisierung jedoch in die Verwertungslogik des Kapitalismus eingebunden bleibt, so ist es wahrscheinlicher, dass die zu erwartenden Produktivitätssprünge die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit vertiefen werden. Dies hat zur Folge, dass der Reichtum sich weiter konzentrieren und die Teilhabe schrumpfen wird. Die Folgen wären auf allen gesellschaftlichen Ebenen katastrophal. »Die sozialen Sicherungssysteme wie die öffentlichen Haushalte werden Einbrüche bei den auf Lohn basierenden Einnahmen erzielen. Qualifikationen werden sprunghaft entwertet werden, Lebensplanungen durchkreuzt, neue Qualifikationen werden gefragt sein, selbstständige, freiberufliche Arbeit wird wieder zunehmen.« [4] Die ganz entscheidende Frage wird sein: Gelingt es uns, die Potenziale, die mit technologischen Innovationen immer auch einhergehen, im Sinne der Beschäftigten zu nutzen? Oder erfolgt dieser Strukturwandel ausschließlich unter den Bedingungen dessen, was technologisch machbar ist. Die Digitalisierung kann beispielsweise zur Befreiung von körperlich zutiefst anstrengender oder monotoner Tätigkeit führen, sie kann mehr Zeitsouveränität im Arbeitsleben schaffen. Sie kann aber auch ein neues digitales Proletariat hervorbringen: Menschen, die sich als Klick- oder Crowdworker, als Soloselbstständige unter den miesesten Bedingungen verdingen müssen. Deshalb bleibt auch im Digitalisierungszeitalter die Hauptfrage nicht, wie genau sich die Arbeit verändert, sondern wer die Macht hat zu entscheiden, wie sich die Arbeit für wen verändert.
Ganz oben auf der Liste der gefährdeten Berufe stehen vor allem Jobs in Büros, Verkauf, Gastronomie. Also Branchen, in denen meist überwiegend Frauen tätig sind. Da Emanzipation auch von der ökonomischen Unabhängigkeit eines Menschen abhängt, ist es deshalb für die Zukunft von Frauen entscheidend, den Blick auf Arbeit 4.0 um eine Geschlechterperspektive zu erweitern. Vorstellungen von selbstfahrenden Autos und Roboterarmen in den Fabriken müssen dringend um diesen Themenbereich erweitert werden. Die Arbeit der Zukunft ist gestaltbar, der Schlüssel liegt in Qualifizierung, in Bildung und in mehr Mitbestimmung. Wir brauchen in der Zukunft ganz andere Kompetenzen.
Von Robert Kurz stammt die Prognose: »Der Verkauf der Ware Arbeitskraft wird im 21. Jahrhundert in etwa so erfolgreich sein, wie der Verkauf von Postkutschen im 20. Jahrhundert.« [5] Da lag Kurz genauso falsch, wie vor ihm andere Theoretiker*inn, die als Folge der jeweiligen technologischen Entwicklung die Befreiung des Menschen von der Lohnarbeit vorhersagten. Wir hingegen glauben nicht, dass uns in den nächsten Jahrzehnten die Erwerbsarbeit ausgeht. Die Frage wird viel mehr sein: Wie und unter welchen Bedingungen produzieren wir was? Darum muss die gesellschaftliche Auseinandersetzung geführt werden. Das Problem oder der Segen ist nicht die Digitalisierung sondern nach wie vor die Ausbeutung. Es geht bei der Digitalisierung nicht darum, wie wir morgen arbeiten, sondern darum, wer bestimmt wie wir morgen arbeiten. Wir brauchen eine neue, digitale Arbeiter*innenbewegung, die sich neue Rechte für das 21. Jahrhundert erkämpft. Genau darum wird es gehen! Darum sollte, wie Petra Pau schrieb, DIE LINKE »ihre Zurückhaltung beim Thema Digitalisierung endlich ablegen und zügig auf Zukunft umschalten: sachlich, strategisch, programmatisch. Im grundsätzlichen Pro ebenso, wie im nötigen Kontra.« [6] Genauso müssen wir kommunizieren, dass es soziale Gerechtigkeit nicht als Abfallprodukt des technischen Fortschritts geben wird. Der längst nötige Systemwechsel muss aktiv herbeigeführt werden.
[1] Arbeit (und Leben) 4.0, Diskussionspapier der AG Digitalisierung für den Fraktionsvorstand https://blog.die-linke.de/digitalelinke/wp-content/uploads/AG-Digitalisierung-Diskussionspapier-Arbeit4null.pdf
[2] Marx, MEW Bd. 23, S. 506
[3] Riexinger fordert »digitale Agenda von links« https://www.nd-aktuell.de/artikel/994590.riexinger-fordert-digitale-agenda-von-links.html
[4] Ist da Fortschritt im Neuland? https://www.nd-aktuell.de/artikel/967368.ist-da-fortschritt-im-neuland.html
[5] Die Massenarbeitslosigkeit kommt zurück http://www.zeit.de/karriere/beruf/2016-01/zukunft-arbeit-arbeitsmarkt/seite-2
[6] Große Chancen, riesige Gefahren, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1061311.grosse-chancen-riesige-gefahren.html
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