Topfschlagen war gestern

Kindergeburtstage werden von immer mehr Eltern zum Event aufgeblasen

  • Petra Albers, Köln
  • Lesedauer: 3 Min.

Kindergeburtstage hatten früher meistens einen festen Ablauf: Die Wohnung war mit Girlanden und Luftballons dekoriert, die Kinder saßen beim Kuchenessen um den Wohnzimmertisch. Dann startete das - meist von der Mutter - liebevoll vorbereitete Spielprogramm mit Klassikern wie Topfschlagen, Eierlaufen oder »Reise nach Jerusalem«. Heute reicht das vielen Familien nicht mehr aus: Sie feiern Kindergeburtstage außerhalb der eigenen vier Wände - sei es im Indoor-Spielplatz, Kletterwald oder Tierpark.

»Kindergeburtstage sind ein Spiegel der Gesellschaft«, sagt die Volkskundlerin Gabriele Dafft vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn. Seit Jahren sei in verschiedenen Bereichen ein Trend zur »Eventisierung« zu beobachten, etwa bei Hochzeiten und Abi-Bällen. »Es gibt einen großen Erlebnis-Markt und die allgemeine Tendenz, auf Dienstleister zurückzugreifen.« Damit einher gehe der Anspruch, sich selbst und den Gästen etwas Tolles und Individuelles zu bieten - so auch beim Kindergeburtstag. »Das dient auch der Selbstverwirklichung der Eltern.«

Die Nachfrage ist da. Mehr als 500 Kindergeburtstage pro Jahr werden zum Beispiel auf dem Gertrudenhof gefeiert, einem Erlebnisbauernhof in Hürth bei Köln. »Inzwischen haben wir dieses Thema professionalisiert - mit Partyräumen und geschultem Personal«, sagt Geschäftsführer Peter Zens. Die Eltern können aus einer Reihe von Paket-Angeboten wählen - von Tiere füttern bis Kürbis schnitzen. »Für manche Eltern sind Kindergeburtstage fast wie ein Wettbewerb, mit einer Erwartungshaltung wie bei einer «kleinen Hochzeit»«, beobachtet Zens.

Waren in den 1980er Jahren Geburtstage bei einer Fastfood-Kette noch etwas ganz besonderes, können die Kleinen inzwischen fast überall ihren Ehrentag organisieren lassen - zum Beispiel im Zoo, in der Backstube oder im Schwimmbad. Auch veränderte Familienstrukturen und die vermehrte Berufstätigkeit von Müttern hätten den Bedarf angekurbelt, erklärt Dafft. »Es ist eine Entlastung, die Feiern outzusourcen.« Die Eltern haben nicht viel Arbeit mit der Vorbereitung und kein Chaos Zuhause.

Im Kletterwald »Schwindelfrei« in Brühl etwa finden nach Angaben von Geschäftsführer Raimund Bechtloff an manchen Samstagen bis zu zwölf Kindergeburtstage statt. »Die Kinder können sich hier austoben, sie bekommen eine Kombination aus Naturerlebnis und Abenteuer.« Das Interesse sei in den vergangenen fünf Jahren deutlich gestiegen.

Doch auch wer eine ruhigere Feier bevorzugt, findet seinen Anbieter. Zahlreiche Museen haben Geburtstags-Programme entwickelt - bestehend oft aus einer kurzen Führung und einer Aktivität wie Basteln oder Verkleiden. »Unsere Klientel ist meist museumsaffin und historisch interessiert und versucht, das auf ihre Kinder zu übertragen«, meint Matthias Hamann, Direktor des Kölner Museumsdienstes. Für die Museen seien die Geburtstagsfeiern auch im Hinblick auf künftige Besucher lukrativ: »Viele Kinder waren vorher noch nie im Museum und kommen dann später mit ihren Familien nochmal wieder.«

Die Eltern lassen sich die Feiern außer Haus einiges kosten. Meist gibt es Pauschalpreise für bestimmte Gruppengrößen. Verpflegung und andere Extras können zusätzlich gebucht werden. So kommen leicht einige hundert Euro zusammen.

»Das ganze hat auch etwas mit dem Status zu tun«, erläutert Kulturwissenschaftlerin Dafft. Neben dem Geldbeutel zeige die Art des Feierns zudem, welcher Szene man angehöre oder angehören möchte - etwa bildungsbewusst oder Öko.

»Es geht sicherlich teilweise um Prestige«, sagt der Erziehungswissenschaftler Andreas Engel. Wenn Eltern anfingen, sich mit immer aufwendigeren Feiern gegenseitig übertreffen zu wollen, sollten sie sich kritisch fragen, ob das wirklich sinnvoll sei.

Doch bei allem Hype um die Kindergeburtstage: Ausgestorben ist die klassische Feier noch nicht. »Ich hab keine Lust, soviel Geld auszugeben«, sagt etwa die Mutter einer Fünfjährigen. »Stopp-Tanz und Schatzsuche gehen immer.« Zumindest dieses Mal noch. Und dann ist ja zum Glück wieder ein Jahr Zeit, um neu zu überlegen. dpa/nd

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