Nachhaltige Illusion

Mittels Entropie lässt sich Nachhaltigkeit objektiv bestimmen – und Technologien wie CO2-Filter kritisieren

  • Bernhard Wessling
  • Lesedauer: 14 Min.
Nachhaltig zerstörend: Die Kläranlage eines Kupfererz-Verarbeitungsbetriebs prägt weitreichend das Ökosystem.
Nachhaltig zerstörend: Die Kläranlage eines Kupfererz-Verarbeitungsbetriebs prägt weitreichend das Ökosystem.

Nach wie vor wird eine weltweite Diskussion darüber geführt, wie der Klimawandel gestoppt werden kann und welche Technologien dabei helfen können. Im Zentrum der Diskussion stehen spezielle Filterverfahren, die »negative CO2-Emissionen« bewirken. Diese sollen die auch bei Verminderung von CO2-Emissionen unvermeidbaren Restemissionen an der Quelle entweder auffangen oder CO2 wieder aus der Atmosphäre herausziehen. Es geht dabei um Kalk- und Zementindustrie, Abfallverbrennung, Landwirtschaft, Grundstoff- und Stahlindustrie, die 25 bis 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen ausmachen und als unvermeidbar gelten. Um diese Emissionen zu »neutralisieren«, soll CO2 entweder aus der Atmosphäre herausgezogen (»Direct Air Capture«, DAC) oder an der Quelle (etwa in der Zementfabrik) aufgefangen und dann unterirdisch gespeichert werden (»Carbon Capture and Storage«, CCS, oder auch DACCS).

Diese Technologie wurde bereits in der Ausgabe des »nd« vom 12. und 13. Oktober kritisch betrachtet. Der Beitrag »Globale Erwärmung – Mit CCS zur Klimaneutralität?« nahm die Maßnahmen aber ausschließlich unter politischen Gesichtspunkten in den Blick. CCS als Technologie wurde nicht untersucht, denn es sollte »weniger um die Frage gehen, ob CCS und CCS-basierte Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre zum Einsatz kommen sollen, sondern vielmehr um die Frage wofür – das heißt, welche und wessen schwer vermeidbaren Emissionen dadurch möglicherweise reduziert beziehungsweise ausgeglichen werden«. Die Technologie dürfe nicht dazu führen, »den Ausstieg aus fossilen Energieträgern weiter zu verschleppen«, wie es im Beitrag heißt. Denn »zumindest theoretisch bietet der Einsatz von Negativ-Emissionstechnologien auch die Möglichkeit, die Übernutzung und Aneignung atmosphärischer Kapazitäten durch den Globalen Norden durch netto-negative Emissionen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts teilweise zu kompensieren«.

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Nicht nur im Beitrag, sondern generell werden DAC und CCS als solche nur am Rande kritisch betrachtet. Zusätzlich zu den oben genannten politischen Argumenten finden sich etwa noch Hinweise auf möglicherweise undichte Speicher oder hohe Kosten. Der Energiebedarf der Technologie selbst ruft kaum Kritik hervor, zum Teil mit der Behauptung, dass nur regenerative Energie verwendet werden solle, oder aufgrund der Erwartung, dass mit der weiteren Entwicklung sicherlich eine viel bessere Energieeffizienz erreicht werde. Ebenfalls aus regenerativen Energiequellen soll der Strom zur Herstellung von sogenanntem grünen Wasserstoff bezogen werden; mit diesem soll CO2 chemisch umgewandelt werden in »nachhaltige« Brennstoffe, zum Beispiel als Ersatz für Kerosin aus fossilen Quellen, oder in chemische Grundstoffe wie Methanol (»Carbon Capture and Use«, CCU).

Nachhaltigkeitsmaß Entropie

Aus der Politik, aus den Klimaforschungsinstituten oder den Medien kommt jedoch kaum die Nachfrage, ob DAC und CCS überhaupt nachhaltig sind. Dazu müssten wir uns natürlich auch fragen, was »nachhaltig« denn bedeutet: Wie kann man »Nachhaltigkeit« messen, objektiv und nachprüfbar beurteilen oder vergleichen, welches Verfahren, welches Produkt A nachhaltiger ist als die Alternative B? Und ist regenerative Energie per se nachhaltig? Wie wird das begründet?

Qualitativ gesprochen würde Nachhaltigkeit für DAC und CCS sowie CCU bedeuten: Sie dürften neben den erwarteten positiven Effekten auf das Klima keine schwerwiegenden Kollateralschäden an anderen Stellen der Umwelt, besonders in den verschiedenen Ökosystemen verursachen, etwa indem sie zur Verstärkung der ohnehin dramatischen Biodiversitätskrise beitragen. Wenn es Kollateralschäden gibt, dann müssten diese deutlich geringer ausfallen, als positive Ergebnisse für das Klima erwartet werden. Was aber heißt »geringer«, was bedeutet »schwerwiegend«?

»Nachhaltigkeit« ist inzwischen zu einem inhaltsleeren Modebegriff geworden. Alles ist längst nachhaltig: die Urlaubsreise, die Flugreisen durch Kauf von CO2-Kompensationen, das Shampoo wird in einer Flasche aus recyceltem Kunststoff geliefert, der Porsche hat Sitze aus ebenfalls recycelten Kleidungsstücken. Jeder darf »nachhaltig« nach eigenem Gusto verwenden, es gibt keinerlei Kriterien für Nachhaltigkeit. Auch die bekannte und beliebte Brundtland-Definition von 1987, nach der die heutige Generation nicht die Möglichkeiten der späteren einschränken dürfe, entzieht sich jeder Überprüfung. Sie ist rein anthropozentrisch, also auf Bedürfnisse von Menschen ausgerichtet, und selbst das nicht objektiv nachprüfbar. Umwelt und Natur spielen keinerlei Rolle.

Seit dem ersten Bericht des Club of Rome (»Die Grenzen des Wachstums«) hat mich die Suche nach einem für alle Arten von Vorgehensweisen, Verfahren und Produkten verwendbaren Kriterium umgetrieben. Ökobilanzen sind viel zu aufwendig, viel zu kompliziert und oftmals nicht miteinander vergleichbar. Ich möchte im Folgenden »Entropie« als ein solches allgemein verwendbares Kriterium zur Diskussion stellen und habe es auf DAC, CCS und CCU angewendet, um zu untersuchen, ob diese Verfahren nachhaltig sind. Um das nachzuvollziehen, muss man nur eine grobe, aber richtige Vorstellung von Entropie haben. Entropie ist wissenschaftlich absolut gut verstanden – ganz im Gegensatz zur Gravitation, für die die Wissenschaft nicht weiß, ob sie gequantelt ist oder nicht. Aber dennoch ist es für unser Leben nicht schwer zu verstehen, was Gravitation bewirkt. Wir erleben sie schließlich täglich unser gesamtes Leben lang, selbst nachts, denn sonst würden wir nicht im Bett liegen bleiben.

Auch Entropie erleben wir täglich unser gesamtes Leben lang, auch nachts – aber inwiefern das? Straßen und Brücken verfallen, wenn sie nicht ständig erneuert werden; Produkte aus Holz ebenso; Reifen erleiden Abrieb, der sich überall verteilt. Kleidung und Schuhe sind nach häufigem Gebrauch nicht mehr nutzbar. Kohlekraftwerke haben einen weltweit durchschnittlichen Wirkungsgrad von 30 bis 40 Prozent, der Rest ist Entropie; vom Energieinhalt des Superbenzins bringt der Motor nur 20 Prozent in Form von Bewegungsenergie auf die Straße, ein Dieselmotor immerhin 45 Prozent, der Rest ist Entropie. Alle Maschinen und Verkehrsmittel unterliegen Verschleiß, selbst bei bester Wartung sind sie nach wenigen Jahren nicht mehr zu gebrauchen. Und wir selbst haben einen Wirkungsgrad von etwa 25 Prozent, 75 Prozent des Energieinhalts unserer Nahrung strahlen wir als Wärme ab. Wir scheiden Entropie aus in Form von Hautschuppen, Urin und Kot, wir werden krank, wir altern, in unseren Zellen sammeln sich Abfallstoffe, und früher oder später sterben wir.

Entropiekosten

Leider wird Entropie zumeist extrem verkürzt und irreführend als »Maß für Unordnung« bezeichnet. In populärwissenschaftlichen Artikeln wird dann gern zur Illustration ein Blick in Kinderzimmer empfohlen. Das ist banaler Unsinn, genauso falsch wie die Vorstellung, dass Entropie immer und überall nur ansteigen kann. Denn nur in geschlossenen Systemen (also Systeme, die weder Energie noch Stoffe mit der Umgebung austauschen) steigt sie bis zu einem Maximum an. Die Erde, Ökosysteme, Städte, Tiere, Pflanzen und auch wir selbst sind keine geschlossenen, sondern offene Systeme, sogar Galaxien wie unsere Milchstraße. All diese tauschen Energie und Stoffe mit ihrer jeweiligen Umgebung aus. Nur im Maßstab des gesamten Kosmos steigt die Entropie unaufhaltsam an.

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Die moderne Thermodynamik zeigt, unter welchen Umständen Entropie lokal sinken kann. Sie zeigt auch viel besser, was Entropie ist: minderwertige (vereinfacht gesagt, nicht mehr nutzbare) Energie; und weil Materie auch Energie ist (Einstein: E=m*c2), ist Entropie auch minderwertige, nicht mehr nutzbare Materie. Nutzen lässt sich diese Art minderwertige Energie beziehungsweise Materie nur unter Aufwand von ziemlich viel Energie. Mit dieser wird der Entropiebetrag, der in dieser minderwertigen Energie/Materie steckt, reduziert – allerdings mit dem Effekt, dass die Gesamtmenge an Entropie steigt, nämlich dort, wo die dafür erforderliche Energie bereitgestellt wird. Bei der Energiewandlung im Kraftwerk wird nur etwa ein Drittel oder etwas mehr nutzbare Wärme beziehungsweise Strom verfügbar – der Rest, also 60 bis 70 Prozent der eingesetzten Primärenergie – wird zu Entropie. Wenn wir in einem System die Entropie erniedrigen, wird diese außerhalb dieses Systems also (je nach Wirkungsgrad) um den Faktor zwei bis drei ansteigen.

Schauen wir uns vor diesem Hintergrund DAC, CCS und CCU an: CO2 selbst ist Manifestation von Entropie, denn es ist ein minderwertiger, also nur extrem schwer nutzbarer Stoff. Sobald CO2 in die Atmosphäre entlassen wird und sich mit den übrigen Bestandteilen der Luft vermischt, wird dadurch sogenannte Mischungsentropie erzeugt. Solche Mischungsentropie entsteht, wenn sich zwei oder mehr Stoffe spontan miteinander vermischen, ähnlich wie Zucker sich von allein in Wasser auflöst. Mit DAC beziehungsweise CCS wird also, wenn CO2 aus der Atmosphäre oder aus Abluft herausgeholt wird, die Mischungsentropie erniedrigt. Mit einer Tonne CO2 wird sie um 4,15 Megajoule pro Kelvin (MJ/K, also: Energieeinheit pro Grad Temperatur) erniedrigt. Um das zu bewirken, benötigen wir rein theoretisch 1,22 Gigajoule (GJ) an Wärme, zusätzlich erhebliche Mengen an Strom: Damit erzeugt man ein Vielfaches an Entropie im Vergleich zu der Entropie-Menge, die der Atmosphäre entzogen wurde; denn wir benötigen für die 1,22 GJ Wärme mindestens drei GJ an Primärenergie. In der Praxis ist der Gesamtenergiebedarf für nur eine einzige Tonne CO2 zehnmal so hoch wie theoretisch erforderlich, er liegt bei 16 GJ pro Tonne CO2.

Damit ist der Energieaufwand, um eine Tonne aus der Atmosphäre oder aus der Abluft einer Fabrik herauszuholen, etwa sechsmal so hoch wie die nutzbare Energiemenge, die wir bei der Erzeugung dieser Tonne CO2 zur Verfügung gestellt bekommen haben. Das wird damit gerechtfertigt und für »nachhaltig« erklärt, dass die Bereitstellung der Energie durch Sonne und Wind erfolge. Das ist aber weder realistisch noch tatsächlich nachhaltig: Die Leopoldina, Deutschlands Nationale Akademie der Wissenschaften, forderte im April 2024, zusätzlich zur Verminderung von CO2-Emissionen müsse der Atmosphäre auch dauerhaft CO2 entzogen und gespeichert (endgelagert) oder genutzt werden, und zwar jährlich 60 bis 130 Millionen Tonnen. Für 100 Millionen Tonnen ergäbe das einen Primärenergiebedarf von 1600 Billiarden Joule. Das wären 15 Prozent des Primärenergieverbrauchs Deutschlands 2023 oder gut 18 Prozent des laut Umweltbundesamt für 2030 angestrebten Primärenergiebedarfs – die für 2030 in der Berechnung nicht berücksichtigt sind und auch nicht innerhalb von fünf Jahren schnell noch zusätzlich bereitgestellt werden können, geschweige denn in Form erneuerbarer Energie.

Mit Entropie rechnen

Eigentlich müsste allein dies schon klarmachen, dass diese Verfahren alles andere als nachhaltig sind. Die regenerativen Energien wie Solar- oder Windenergie, die dafür notwendig sind, werden uns zwar ohne »Entropiekosten« geliefert (denn ihre Bereitstellung verursacht Entropie in der Sonne). Für diese Energie müssen aber hier bei uns Solar- beziehungsweise Windkraftanlagen errichtet werden (das erfordert Rohstoff- und Energieaufwand, produziert somit Entropie); es werden Flächen benötigt, die nicht anders genutzt werden können, schon gar nicht für natürliche Ökosysteme; und jede einzelne Anlage muss in das Stromnetz einspeisen können, was zusätzliche Infrastruktur bedeutet – weitere »Entropiekosten«. All diese Anlagen müssen nach spätestens 30 Jahren komplett erneuert werden. Letztlich entsteht auch mit Sonne und Wind im Vergleich zur nutzbaren Strommenge mindestens das Doppelte an Entropie, also an minderwertiger Energie/Materie. Solaranlagen haben heute einen Wirkungsgrad von gut 20 Prozent, Windkraftanlagen haben in der Praxis einen Wirkungsgrad von gut 30 Prozent. Die Differenz zu 100 beträgt also mindestens 70 Prozent, das ist Entropie. Da die Rückgewinnung von CO2 bereits alles andere als nachhaltig ist (und nicht einmal ausreichend regenerative Energie dafür bereitgestellt werden kann), verschlimmert die Erzeugung von »grünem« Wasserstoff für CCU das Problem.

Was die Entropie konkret bedeutet, kann das Beispiel der Kupfergewinnung zeigen: Ein Hochspannungskabel, mit dem Strom aus einem Windpark ins Netz eingespeist wird, hat eine ganz bestimmte Struktur und Funktion, es enthält im Vergleich zum Kupfererz, von dem ausgehend der Kern des Kabels hergestellt wurde, einen sehr niedrigen Entropiebetrag. Bei der Erzeugung des Rohkupfers und danach des reinen Kupfers sowie später im Kabelwerk wurde also zuerst dem Kupfererz und dann dem werdenden Kabel Entropie entzogen. Wo ist diese gelandet? Wir entdecken die Entropie dort, wo das Kupfererz abgebaut wurde und aus einer Landschaft mit funktionierenden Ökosystemen eine lebensfeindliche Gegend geworden ist.

Das Kupfererz muss unter sehr viel Energieaufwand chemisch zuerst in Rohkupfer umgewandelt werden, bevor es elektrolytisch zu Reinkupfer veredelt wird. Bei der Energiewandlung entsteht wieder massenhaft Entropie (in Form von Abwärme und Asche) und es fallen nicht nutzbare Abfälle aller Art in der Kupferhütte und bei der Raffination des Rohkupfers an. Diese sind »nicht nutzbar« für uns Menschen und ebenso nutzlos für Ökosysteme, die es dort, wo die Abfallberge liegen, ohnehin nicht mehr gibt. Natürlich muss der Kupferdraht noch ummantelt werden, bevor das fertige Kabel verlegt werden kann – alles Prozesse, die ihrerseits wieder Entropie, also Schäden in der Umwelt, erzeugen.

Bei der Herstellung sämtlicher Produkte und beim Ablauf von Verfahren aller Art und später bei der Nutzung der Produkte entsteht unweigerlich Entropie, weil im Produkt beziehungsweise im Ergebnis des ausgeführten Verfahrens die Entropie vermindert wird. Im Gesamtergebnis ist die Entropie angestiegen. Sie zeigt sich uns in vielfältiger Form: Abfälle, Abwärme, unfruchtbare Böden, sinkender Grundwasserstand, vergiftetes Grundwasser (und Trinkwasser können wir nur durch energieaufwendige Wasseraufbereitung bekommen, nicht mehr einfach aus einem Bach in der Nähe oder einem Brunnen im Garten), Algenpest an den Küsten aufgrund von Überdüngung, zerstörte Ökosysteme, trockengelegte Moore, dramatischer Rückgang der Artenvielfalt. Und nicht zuletzt zeigt sich die Entropie darin, dass es immer schwieriger wird, das Funktionieren des Zusammenlebens sicherzustellen, die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben, der Rente, der Krankenversicherung, kurz: Wir sehen Entropie auch im Anstieg der Staatsverschuldung.

Zusammenbruch komplexer Systeme

Entropie, also minderwertige Energie beziehungsweise Materie, drückt sich demnach auch im Verlust von Funktionen komplexer Systeme aus. Schauen wir uns ein Ökosystem an: Als die Bäche zuvor sauber waren, als es vielgestaltige Uferzonen, offene und bewachsene Stellen gab und die Bäche eine Landschaft aus Mischwald und feuchten Wiesen mit Wasser versorgten, konnten sich Ökosysteme mit unterschiedlichsten Pflanzen entwickeln, die von wiederkäuenden Weidetieren (Hirsche, Rehe), Nagern, Füchsen, Wölfen sowie von Vögeln und Insekten bewohnt werden, die alle dort ihre Nahrung finden – mit Energie versorgt von der Sonne. Mit dem Aufbau der Ökosysteme und dem Wachstum der Pflanzen (aus CO2 und Mineralien) sowie der Geburt beziehungsweise der Schlupf und dem Wachsen und Reifen der zahlreichen Tiere ist lokal in all diesen Organismen und im gesamten Ökosystem die Entropie enorm gesunken; und das auf Kosten von einem Vielfachen an Entropieanstieg in der Sonne, während die bei der Umwandlung von Solarenergie in komplexe Ökosysteme erzeugte Entropie von der Erde ins Weltall abgestrahlt wird.

Die Komplexität des Lebens auf der Erde entsteht und wird unterhalten durch sehr viel Energieeintrag von der Sonne, es bilden sich ganz von allein sehr komplexe Strukturen und Netzwerke (lokale Entropieverminderung), und die entstehende Entropie wird von der Erde abgestrahlt. Die Entropie sammelt sich nicht auf der Erde an. Sollte dies lokal geschehen, durch Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Dürreperioden, Überschwemmungen oder den Einschlag von Asteroiden, übernimmt es die Sonne mit ihrer Energie, über Jahrtausende und Jahrmillionen hinweg wieder funktionierende komplexe Ökosysteme aufzubauen. Die Entropiekosten der Bereitstellung von Sonnenenergie trägt derzeit nicht die Erde, sondern die Sonne selbst – irgendwann ist der Kernbrennstoff dort aufgebraucht, die Sonne wird es nicht mehr schaffen, Leben auf der Erde zu unterhalten.

Solange wie es Menschen auf der Erde gibt, haben wir die Wahl, mehr oder weniger nachhaltig zu leben und zu wirtschaften. Das Schlüssel-Kriterium für Nachhaltigkeit ist die Entropie. Wirklich nachhaltig wäre eine Gesellschaft erst dann, wenn sie nur so viel Entropie erzeugen würde, wie zusammen mit den natürlichen Ökosystemen von der Erde abgestrahlt werden kann – wenn also keine Entropie in Form von minderwertiger Materie (Abfälle und Gifte, die funktionierende Ökosysteme zerstören) erzeugt wird. Das ist zumindest derzeit eine nicht erreichbare Utopie, weil wir unendlich viel Energie dafür benötigten. Wir können mit den heute bekannten Technologien nur nachhaltiger leben und wirtschaften, aber nicht komplett nachhaltig.

Was wäre nachhaltiger als DAC, CCS und CCU? Die Antwort liegt auf der Hand: Klimawandel und Rückgang der Artenvielfalt müssen gemeinsam, mit den gleichen Vorgehensweisen angegangen werden. »Nachhaltigkeit« erfordert, dass auch die Natur, die Ökosysteme, die wir zum Überleben benötigen, nicht geschädigt werden dürfen. Also müssen wir mit Maßnahmen vorgehen, die sowohl zur Klimastabilisierung wie auch zur Rettung und Wiederherstellung von Ökosystemen geeignet sind. Es müssen die Moore, Flussauen und Seegraswiesen, Mangrovenwälder wiederhergestellt werden. Anstelle praktisch toter Fichtenmonokulturforste müssen Mischwälder mit offenen Lichtungen wachsen gelassen werden. Die industrielle Landwirtschaft muss sich umstellen auf biologische Bewirtschaftung von Äckern und Weiden, ohne chemische Dünger, ohne Pestizide – das ist nachweislich möglich, erfordert aber natürlich auch eine Umstellung der Ernährung und der Erwartungen von Konsumenten, was Preise und Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln anbelangt.

Natürliche Ökosysteme können wesentlich mehr CO2 im Boden speichern, als allgemein vermutet wird. Es sind nicht die schnellwachsenden Bäume in Monokulturforsten, sondern die humushaltigen Böden, die extensiv beweideten Graslandschaften, die Moore und anderen Feuchtgebiete, die ein Vielfaches dessen, was wir Menschen an CO2 mit Industrie, Verkehr und Haushalten emittieren, aufnehmen und in der Tiefe langzeitlagern können – wenn wir sie so arbeiten lassen, wie sie es schon immer konnten.

Das Weltwirtschaftsforum hat abgeschätzt, dass die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung von funktionierenden Ökosystemen abhängt (die andere Hälfte von Energiebereitstellung, sei es aus fossilen, sei es aus regenerativen Quellen). Das allein sollte klarmachen: Verfahren wie DAC, CCS und CCU, die, wie wir aus der Entropiebilanzanalyse entnehmen, weitaus mehr Schäden in der Umwelt und in den Ökosystemen anrichten werden, als sie andererseits zur Klimastabilisierung beitragen, sind nicht nachhaltig.

Bernhard Weßling ist promovierter Chemiker und Unternehmer. Er forschte zu nachhaltiger chemischer Technologie und widmete sich der modernen Thermodynamik. Zudem ist er ehrenamtlich seit Jahrzehnten im Umwelt- und Artenschutz aktiv sowie nebenberuflich Investor und Mitgeschäftsführer eines großen biolandwirtschaftlichen Betriebs.

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