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Die Gerechtigkeit nicht vergessen
Johan Rockström stellt in Baku die zehn wichtigsten neuen Erkenntnisse aus der Klimaforschung vor
Alle Jahre wieder fragt man sich angesichts der anfänglichen Querelen auf dem Weltklimagipfel – etwa ob der fossile Ausstieg wirklich auf die Tagesordnung muss –, welche Rolle wissenschaftliche Erkenntnisse bei diesem Gipfel spielen.
Während jedes Jahr eine Flut an neuen Studien die Faktenlage verändert, überdauern in den Eröffnungsstatements der Träger*innen höchster politischer Ämter die immer gleichen Floskeln.
Wie weiter bei der globalen Klimapolitik? Darüber beraten über 200 Staaten vom 11. bis 22. November in Baku.
»Der Countdown für die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs läuft ab«, sagte UN-Chef António Guterres. »Wenn wir jetzt nicht handeln, wird uns das später teuer zu stehen kommen«, stellte Brasiliens Vizepräsident Geraldo Alckmin fest.
Stammen diese Zitate vom derzeitigen Gipfel in Baku, vom letztjährigen in Dubai oder von dem vor zehn Jahren? Sinngemäß sind alle drei Antworten richtig.
In einer mager besuchten Pressekonferenz finden die neuesten klimapolitischen Erkenntnisse am Ende doch noch einen kleinen Platz auf dem Bakuer Klimagipfel. Im Konferenzraum »Side-Event 6« stellt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, die achte Auflage des Berichts »Ten New Insights in Climate Science« vor. Diese zehn wichtigsten neuen Erkenntnisse der Klimaforschung haben es allerdings in sich.
1. Methan-Emissionen steigen rasant an
Seit 2006 steigen die Emissionen des Klimagases Methan massiv an – überwiegend durch menschliche Aktivitäten, vor allem fossile Förderung, Abfallsektor und Landwirtschaft. Zudem werden durch den Klimawandel auch natürliche CO2-Quellen getriggert – tauender Permafrostboden zum Beispiel.
2. Abnehmende Luftverschmutzung hat komplexe Auswirkungen aufs Klima
Bessere Luftqualität wirkt positiv auf die Gesundheit, leistet aber auch der Klimaerwärmung Vorschub, denn die Aerosole haben unterm Strich eine kühlende Wirkung.
3. Zunehmende Hitze macht immer weitere Teile der Welt unbewohnbar
Immer häufigere und stärkere Hitzeperioden und damit korrespondierende Luftfeuchtigkeit – besonders in Nordindien und in der afrikanischen Sahelzone – machen zurzeit bereits den Lebensraum von 600 Millionen Menschen zunehmend unbewohnbar.
4. Klimaextreme gefährden menschliche Reproduktion
Der Klimawandel erhöht das Risiko für Schwangere, Ungeborene und Säuglinge. Die klimatischen Veränderungen und Extreme drohen Jahrzehnte der Gesundheitsfortschritte in dem Bereich zunichtezumachen.
5. El Niño und der Golfstrom bereiten Sorgen
Die beispiellose Erwärmung der Weltmeere macht extremere El-Niño-Ereignisse und eine Instabilität der Atlantischen Umwälzzirkulation – deren Teil der Golfstrom ist – wahrscheinlicher. Bei einem Zusammenbruch der Atlantischen Umwälzzirkulation würde der Amazonas-Regenwald voraussichtlich kollabieren und beträchtliche Teile der Nordhalbkugel der Erde würden unbewohnbar.
6. Ökologische und kulturelle Vielfalt stärkt den Amazonas-Regenwald
Entwaldung und Erderwärmung führen den Amazonas-Regenwald immer näher an seinen Kipppunkt. Lokale Ansätze sind nötig, um die ökologische Vielfalt des Waldes sowie die indigenen Gemeinschaften vor Ort zu schützen.
7. Kritische Infrastruktur gerät immer mehr unter Druck
Die Resilienz der Systeme der Strom-, Nahrungs- und Wasserversorgung, Telekommunikation und weiterer Infrastrukturen wird von Extremwetterereignissen auf die Probe gestellt. Es besteht die Gefahr kaskadischer Zusammenbrüche dieser zusammenhängenden Netzwerke.
8. Klimaresiliente Stadtentwicklung hat viele Synergien
Ein integrierter sozialer, ökologischer und technologischer Ansatz in der Stadtplanung kann Städte widerstandsfähiger im Klimawandel und gleichzeitig sozial gerechter und lebenswerter machen.
9. Die Wertschöpfungsketten von Energiewende-Mineralien brauchen Regulierung
Der steigende Bedarf an Metallen wie Kobalt, Kupfer und Lithium in der Energiewende birgt beträchtliche soziale, ökologische und ökonomische Gefahren, besonders für die Länder des globalen Südens. Kluge Regulierungen müssen die Vorteile für den globalen Süden möglichst groß und die Nachteile möglichst gering halten.
10. Der Erfolg von Klimapolitik hängt von ihrer gerechten Ausgestaltung ab
Die Bedenken der Bevölkerung zu ignorieren, untergräbt die Wirksamkeit von Klimapolitik und heizt Gegenbewegungen an. Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und Fokus auf Gerechtigkeit bei politischen Entscheidungen stärken den gesellschaftlichen Rückhalt.
PIK-Direktor Rockström resümiert: »Eine der Kernaussagen des Berichts ist, dass der Planet seine Gesundheit einbüßt. Der Planet verliert seine Fähigkeit, die Folgen des menschlichen Handels aufzufangen.«
Damit bezieht sich der Resilienzforscher auf die natürlichen Rückkopplungseffekte des Erdsystems. Diese können die Klimakrise weiter verstärken. So bewirkt etwa das Abschmelzen der Eismassen, dass helle Oberflächen auf der Erde abnehmen, wodurch ein geringerer Anteil der einfallenden Sonnenstrahlung reflektiert wird, was wiederum die Erwärmung vorantreibt. Dies gefährdet wiederum die Stabilität des Systems Erde.
Über 80 internationale Expert*innen aus Sozial- und Naturwissenschaften waren an der Erarbeitung des Berichts beteiligt. Besonders um Erkenntnis zehn dreht sich das Gespräch bei der Vorstellung in Baku. Auch Rockström hebt hervor, dass der Wahlsieg von Donald Trump in den USA und das Polit-Debakel in Deutschland darin begründet liegen, dass Gerechtigkeit und Teilhabe in der Politik vernachlässigt werden.
Gebraucht würden überzeugende Narrative, wie ein gutes Leben in einer klimagerechten Welt aussehen kann, sagt die norwegische Pädagogin Mari Sundli Tveit auf der Veranstaltung in Baku. »Wir können so viel wissen, wie wir wollen. Wir müssen daraus etwas machen, mit dem Politiker gewählt und wiedergewählt werden können. Sonst wird das, was in den USA passiert ist, immer und immer wieder passieren.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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