Sag mir, wo die Kinos sind

Die 6. Wolfener Filmtage zeigen Klassiker aus den Anfangsjahren der DEFA

  • Günter Agde
  • Lesedauer: 3 Min.

Nun schon zum sechsten Mal veranstaltet das Industrie- und Filmmuseum Wolfen die sogenannten »Wolfener Filmtage«. Hinter dem bescheiden-sachlichen Titel verbirgt sich eine lokale Initiative, die dem kulturellen Austrocknen der Region entgegenwirken will. In diesem Teil des mitteldeutschen Industriegebiets ist der strukturelle und soziale Wandel seit der Wende immer noch nicht abgeschlossen. Insbesondere die Kinolandschaft hat sich stark verändert: Die kleinen Kinos in den anhaltinischen Städten sind verschwunden, einige wenige Multiplexe bestimmen die Programme. Bitterfeld hatte zu DDR-Zeiten vier Kinos, heute gibt es keines mehr. »Für den aktuellen Zeitraum liegt uns kein Programm für Bitterfeld-Wolfen vor.« melden die örtlichen Kino-Internet-Angebote. Ein Dessauer Hotel, nur wenige Kilometer von Bitterfeld-Wolfen entfernt, fand eine spitzbübische Lösung: Es zeigt - als Club-Kino verkleidet - einmal im Monat Filme von DVDs per Beamer.

Das Wolfener Industrie-und Filmmuseum begegnet dieser Entwicklung auf eigene Art, eben durch die Wolfener Filmtage, wenn auch nur einmal im Jahr und nur für einige Tage. Das Museum wurde um die restaurierte Produktionszelle des deutschen Farbfilms herum gebaut: Hier wurde 1936 der moderne Farbfilm erfunden und zur Massenproduktion gestartet. Die großzügige Museumsgestaltung - mit einem modernen, zuschauerfreundlichen Kinoraum - geht über die Historie der Filmbranche hinaus und schließt die gesamte geschichtsträchtige Region mit ein. Ein nahezu idealer Ort also, um dem Kinosterben wenigstens punktuell zu begegnen. Und auch die sachsen-anhaltinische Landeszentrale für politische Bildung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Halle und weitere Enthusiasten und Sponsoren engagieren sich für die wichtige Initiative.

Für die Wolfener Filmtage werden die Filmprogramme thematisch gruppiert: 2012 begann man unter dem Titel »Wege in die Katastrophe« mit Filmen, die sich offensiv mit der deutschen NS-Vergangenheit auseinandersetzten. Es wurde dann schnell sichtbar, dass die Vorführung von Filmen allein nicht ausreicht. Folglich konzentrierte man sich fortan auf Produktionen aus der DDR, also auf DEFA-Filme - und lud ehemalige Mitwirkende und Regisseure zu anschließenden Zuschauergesprächen ein. Der Erfolg - ausverkaufte Vorstellungen - gab Recht, und so hat sich mittlerweile diese Reihe stabilisiert. Und: Dem Vernehmen nach kommen die DEFA-Leute gern nach Wolfen, inzwischen flankiert von Filmhistorikern. 2015 boten die Wolfener mit einem kompakten Dokumentarfilm-Paket Einblicke in Arbeits- und Lebenswelten der DDR.

Dieses Jahr suchen die Wolfener Filmtage nach den Anfängen deutscher Filmproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg. Und da zeigen sie natürlich die Klassiker (mit anschließenden Zuschauergesprächen), vor allem die legendären »Die Mörder sind unter uns« (1946, Wolfgang Staudte) und Kurt Maetzigs »Ehe im Schatten« (1947). Staudte zeichnet nach, wie das Kriegstrauma seines Protagonisten Mertens allmählich durch die Begegnung mit einer KZ-Überlebenden (Hildegard Knef) überwunden werden kann. Und Maetzigs Film gestaltet das Schicksal des Schauspielerehepaars Gottschalk als aufrüttelnde Tragödie. Außerdem laufen in der Reihe die ersten Versuche der jungen Film-Firma DEFA auf dem Gebiet des heiteren Unterhaltungsfilms: »Kahn der fröhlichen Leute« (1950, Hans Heinrich), eine lockere Liebes- und Erbschaftsgeschichte, und »Bürgermeister Anna« (1950, Hans Müller), der früheste Versuch der DEFA, die Gleichberechtigung der Frau heiter auf die Leinwand zu bringen.

Schließlich wird mit »Die Jungen vom Kranichsee« (1950, Arthur Pohl) eine Schulgeschichte gezeigt, die mehr ist als nur das: Nach dem dramaturgischen Grundmuster »Ein Neuer kommt« - hier ein neuer Lehrer in eine Dorfschule - lassen sich unterhaltsam die Widersprüche einer neuen Zeit in einem kleinen Gemeinwesen darstellen. Da spart der Film nichts aus an Abenteuerlust der Jungen und Bequemlichkeiten der Alten. Eine hübsche Ergänzung dazu bildet der Dokumentarfilm »Blaue Wimpel im Sommerwind« (1952, Herbert Ballmann), eine muntere Sommer-Reportage über Ferienerlebnisse junger Pioniere. Und zum Schluß: Kurt Maetzigs »Der Rat der Götter« (1950) demonstriert als streitbares filmisches Pamphlet die Verwicklungen eines Chemikers in die Konzernmachenschaften der IG Farben und deren Verbindungen zum NS-Regime.

Günter Agde wird bei den Wolfener Filmtagen als Referent auftreten.

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