Alleen und Blumen und Frauen und ein Michael

Die Empörung über ein Gedicht an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule ist ein Lehrstück linken Spießertums

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Spießer, der alles verdammen möchte, was nicht in sein enges Verständnis der Welt passt, vergreift sich am liebsten am Kunstwerk. Er meint zwar den Künstler, doch da er dessen nicht habhaft werden kann, muss das Werk als Ersatz für die Triebabfuhr herhalten. Und dies zuvörderst besinnungslos - aber eben nicht gesinnungslos: In den 1980er Jahren, als der spießige Zeitgeist in Bayern noch stramm rechts war, polterten in den Schulen Mitglieder der Jungen Union gegen die Aufnahme von Bertolt Brecht in den an bayerischen Schulen gelehrten Literaturkanon. Schon durch die Lektüre des Gedichts »Die Liebenden« (»Seht jene Kraniche in großem Bogen!/ Die Wolken, welche ihnen beigegeben/ Zogen mit ihnen schon als sie entflogen/ Aus einem Leben in ein anderes Leben«) sahen sie sich der Gefahr ausgesetzt, mit kommunistischen Gedanken infiltriert zu werden.

Heutzutage ist der Zeitgeist in Bayern toleranter und liberaler. Im unterfränkischen Lohr gab es in dieser Woche eine kleine Erregung über eine Statue, die von der Stadt vor einer Turnhalle aufgestellt wurde. Die Statue trägt den Namen »Michael« - und dieser Michael ist nackt und mit einem ordentlichen Gemächt ausgestattet. Die Statue müsse verschwinden, denn sie passe nicht in die unmittelbare Nähe eines Kinderspielplatzes und einer Grundschule, empörte sich ein Leser in einem Brief an die Lokalzeitung. Die beauftragte daraufhin einen Reporter, sich bei den Eltern der Betroffenen umzuhören. Die häufigste Antwort lautete, man störe sich nicht an dem nackten »Michael«, schließlich sei das Kunst und bei der Betrachtung derselben komme es immer darauf an, »was man im Kopf daraus macht«.

Es ist aber wohl so, dass das Spießige im gleichen Maß, in dem es an einem Ort verschwindet, am anderen wieder auftaucht, ganz so, als ob dies ein Naturgesetz wäre. In Berlin haben die Wiedergänger der JU-Funktionäre von einst sich an einem Gedicht von Eugen Gomringer gestoßen. Das Poem schmückt die Fassade der Alice-Salomon-Hochschule. Der Text ist einfach - schlicht schön: »avenidas/ avenidas y flores/ flores/ flores y mujeres/ avenidas/ avenidas y mujeres/ avenidas y flores y mujeres/ y un admirador« - auf Deutsch: »Alleen/ Alleen und Blumen/ Blumen/ Blumen und Frauen/ Alleen/ Alleen und Frauen/ Alleen und Blumen und Frauen/ und ein Bewunderer«.

Mit diesem bereits in den frühen 1950er Jahren entstandenen Gedicht bedankte sich der Schweizer 2011 bei der Hochschule dafür, dass diese ihm ihren Poetik-Preis verliehen hatte. Die Studierendenvertretung der Hochschule fordert nunmehr die Entfernung des Gedichts. In der Begründung heißt es: »Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind.«

Nun könnte man spöttisch fragen, ob es auch angenehme Erinnerungen an sexuelle Belästigungen gibt; aber dies sei hier nur als Randbemerkung eingestreut. Viel erschreckender ist das narzisstische Denken, das seinen Ausdruck darin findet, nichts anders zu kennen, als die eigene Assoziation. Wie kann man sich so sicher sein, dass sich die Bewunderung, die in der letzten Verszeile ausgedrückt wird, auf Frauen bzw. ausschließlich aufs weibliche Geschlecht bezieht? Schließlich ist auch von Blumen und Alleen die Rede. Nichts anderes aber will der Spießer, als dass sein eigenes Bild von der Welt, sein kategorischer Imperativ, zum Maßstab allen Denkens wird!

Würde man an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin das Gedicht Gomringers gegen das von Brecht austauschen, würde sich vermutlich erneut Protest regen. Es gäbe mindestens eine Person, bei der Brechts Zeilen von 1927 über zwei Liebende ein unangenehmes Gefühl hervorrufen würden und die den Vorwurf erheben würde, dass das Gedicht all jene diskriminiere, die jeden Tag an dem Gedicht vorbei zur Uni gingen und die derzeit ohne Beziehung oder gar nicht Willens seien zu lieben.

Vielleicht sollte man sicherheitshalber den Klassiker von Heinz Erhardt an die Stelle von Gomringers Gedicht anbringen: »Das Reh springt hoch/ Das Reh springt weit/ Warum auch nicht/ Es hat ja Zeit«. Obwohl. Ist das nicht schon Speziesismus?

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