Direktor mit Keilernase

Ottokar Dommas lustige Schulerlebnisse weisen einige Parallelen zur heutigen Bildungslandschaft auf

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Burschelmann ist ein Lehrer mit dicken schwarzen Augenbrauen. Deren Menge hätte locker ausgereicht, seine Halbglatze zu bedecken. Leider hatten sich die Haare entschieden, nur über den Sehorganen und im Nacken tüchtig zu sprießen. Also hatte Burschelmann beschlossen, ihrem Wachstum freien Lauf zu lassen, wo auch immer es stattfinden wollte. So kam er zu seiner Vornekurzhintenlangfrisur, im Volksmund Vokuhila genannt. Typisch für die siebziger Jahre.

Zusammen mit Fräulein Heidenröslein, die eigentlich Kraut heißt, mit Herrn Luschmil, Direktor Keiler, dem Schweine-Sigi, der Sauberkeits-Cornelia und vielen anderen Menschen mit merkwürdigen Namen gehört Herr Burschelmann zum Personal der Geschichten um den »braven« Schüler Ottokar, dessen Beobachtungen des sozialistischen Schulalltags 1967 erschienen.

Sie wurden zum absoluten Bestseller in den Buchläden und so ließ ihnen Autor Otto Häuser - geboren 1924 und als Neulehrer, Schulleiter und Journalist tätig - zahlreiche weitere Werke folgen. Er nannte sein Alter ego Ottokar und für den Nachnamen übersetzte er den eigenen einfach ins Russische. Ottokar Domma war geboren; ein kluger, aber renitenter Unterstufler, der in seinem Eifer, die Erziehungspostulate der sozialistischen Schule zu befolgen, nicht selten über das Ziel hinaus schießt und statt einer Belobigung einen Verweis nach Hause tragen muss.

Scheinbar nebenbei führt er über die naive Sichtweise eines Kindes so manche politische Parole der damaligen Zeit ad absurdum, indem er sie einfach ernst nimmt. Heißt Pionierleben etwa nicht »Fröhlich sein und singen« wie die gleichnamige Zeitschrift? Doch Ottokar hat noch keinen Oberpionierleiter gesehen, »der mit uns mal einen Spaß macht oder Judogriffe zeigt oder ein lustiges Lied singt oder zaubern kann«. Stattdessen werde Pionierarbeit auf Zahlen reduziert, wenn lediglich der gesammelte Schrott, die Zahl der Abzeichen, Pioniere, Zirkel, Paten oder Zeitungsabos gezählt würden: »Wenn viele Zahlen über uns aufgeschrieben sind, dann werden wir gelobt. Dieses geschieht entweder vor der Fahne oder es kommt ein Fotoreporter. An diesem Tag waschen wir uns den Hals und binden das Halstuch um und setzen uns hin, wie der Herr Fotoreporter es vorsagt, damit alle Leute beim Zeitungslesen sehen, wie gut wir sind.«

Überhaupt kommen in Dommas Geschichten, die der Leiv Verlag jetzt in drei Bänden neu auflegte, eine Menge Begriffe vor, die langsam zu Fremdwörtern mutieren und deshalb im Anhang erklärt werden müssen: Abschnittsbevollmächtigter, Kampfgruppe, Makarenko, Tag des Lehrers, Pionierhalstuch, Matroschka, KWV, FDJ und Gruppenratswahl.

Vor einer solchen Wahl, bei der eine neue Klassenvertretung aufgestellt wird, hat doch der Herr Burschelmann lediglich angeordnet, dass sich die Klasse auf die Gruppenratswahl vorzubereiten habe und ist dann einfach in seinen Garten abgedampft, ohne zu erklären, wie dies zu bewerkstelligen sei. Das lässt selbst den klügsten Pionier - für einen solchen hält sich Ottokar - ratlos zurück. Da geht er doch auch lieber angeln.

Soll diese Vorbereitungen doch die Gruppenratsvorsitzende Bärbel Patzig alleine machen. Dazu ist sie ja wohl da, und das wird sie schon schaffen. So ungefähr sprach Ottokar, und er und sein Freund Harald werden dann ihren Rechenschaftsbericht kritisieren. Man kann sich schon denken, dass es nicht ganz so kommt in der Geschichte, die schließlich nicht in Absurdistan handelt, sondern in der DDR. Und deswegen auch immer ein vernünftiges Fazit haben sollte.

Bei all der Komik, der Bloßstellung von rauchenden Lehrern, denen im Eifer des Gefechts auch mal die Hand ausrutscht, und schwindelnden Schülern, von ahnungslosen Eltern, hilflosen Parteisekretären und Pionierleitern sowie der Entlarvung unsinniger ideologischer Vorgaben und allzu menschlicher Schwächen waren der kleine oder große Zeigefinger in Häusers Geschichten und Gedichten denn auch nie zu übersehen: Wer betrügt, verdient eine Strafe. Wer fleißig ist, kann mit Anerkennung rechnen.

Dieser Wertekatalog mag dazu beigetragen haben, dass der Autor in einer durchstrukturierten und kontrollierten Gesellschaft so erfolgreich war, doch es macht den Spaß an seinen Texten kein bisschen kleiner. Eltern und Schüler von heute werden eine Bildungseinrichtung mit Fahnenappell, Halstuch, Freundschaftsrat und Parteilehrjahr vermutlich nicht haben wollen. Aber abseits dieser Strukturen könnten sie in Dommas Erzählungen zahlreiche Parallelen zum Schulalltag der Gegenwart entdecken.

Oder beflügelte etwa nur in der DDR ein Lob zu weiteren Anstrengungen? Schubsten nur hier die Jungen die Mädchen? Waren die Lehrer nur damals besonders eifrig, wenn der Direktor hospitieren kam? Sind Ausfallstunden heute kein Problem mehr? Wollten nur zu Dommas Zeiten die Eltern die Macht in der Schule übernehmen?

Im Ottokarland hat der Direktor übrigens zur Winterzeit, in der viele Menschen einen Schnupfen hatten, ein kleines Becherchen an einem Bindfaden um seine an ein Wildschwein erinnernde Nase gehängt, um die Tröpfchen aufzufangen, die sie als Folge der Erkältung absonderte. Der Illustrator Karl Schrader, einigen Lesern vielleicht als Zeichner der Satirezeitschrift »Eulenspiegel« und Illustrator des »Struwwelpeters« bekannt, hat den Direktor Keiler im Band »Ottokar, das Früchtchen« so gezeichnet. Schraders Bilder und Häusers Erzählungen fügen sich zu einem urkomischen Werk, zeitnah und zeitlos zugleich.

Ottokar Domma: Der brave Schüler Ottokar. Ottokar das Früchtchen. Ottokar der Weltverbesserer. Illustrationen von Karl Schrader. Leipziger Kinderbuchverlag, 127 S., 132 S., 133 S., geb., je 9,90 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.