Erfahrungskluge Naivität
Der Dokumentarfilmer Karlheinz Mund wird 80
Karlheinz Mund hat seine Filme aus dem Bauch der DDR heraus gemacht. Da ist kein Platz für eine Doktrin oder forcierten ästhetischen Ehrgeiz. Darum scheinen sie auch so eckig, geradezu spröde, sind ohne ausgestellten Kunstwillen. Aber gerade das macht sie heute so wertvoll, denn sie sind Dokumentationen im besten Sinne des Wortes, zeigen, was ist - oder besser: was war. Dieser Dokumentarist ist ein Chronist, der im »Chronos« die tätig erfüllte Zeit erblickt. Seine Filme gehören zum authentischen Gedächtnis der DDR, speisen sich aus der ungeschönten Bilderwelt einer proletarischen Gesellschaft.
Auch wenn diese Filme von Künstlern und Intellektuellen handeln, was sie - gerade in der Wende- und Nachwendezeit - auf eindringliche Weise tun, wirken sie auffällig erdig. Denn bei Mund geht es immer um die verschiedenen Formen und Ausdrucksweisen von Arbeit.
Das hat vielleicht auch mit dem Herkommen des 1937 in Eberswalde Geborenen zu tun. Sein Vater war Kohlenhändler und Heizer, seine Mutter Hausfrau. Karlheinz Mund begann eine Lehre als Kfz-Schlosser und holte 1958 an der Arbeiter- und Bauernfakultät das Abitur nach - hatte damit gleich ein Filmthema, dem er sich aber erst 1992 mit seinen »ABF-Memoiren« widmete. Der Geistesarbeiter als Transformationsform des Arbeiters? Es war jene besondere - auch umstrittene - Schicht der hausgemachten DDR-Intelligenzia, die über die ABF an die Universität kam, die sie im Westen wohl nur von außen gesehen hätte.
Erich Loest, ebenfalls ein ABFler, kommt darin zu Wort und rühmt einerseits diese neue reale Freiheit des Falls der Bildungsgrenzen in der frühen DDR und fügt hinzu, diese neue Wirklichkeit habe auch eine neue Ungerechtigkeit geschaffen, nämlich den erschwerten Zugang von Nichtarbeiterkindern zu Abitur und Universität. Hans Mayer, ein marxistischer Bildungsbürger par excellence, sah in diesem neuen Typus Studenten jedoch vor allem eine große Bereicherung der Universitäten: mit Lebenserfahrung und ernstem Bildungshunger kamen hier die an die höchsten Bildungsstätten, die bald die Geschicke des Landes lenken sollten. Taten sie es gut, waren kritisch und unbequem oder mehrheitlich beflissene SED-Parteikader? Mund, der die ABF durchlief, zeigt nüchtern dokumentierend das ganze Spektrum.
Nach seinem Regiestudium wurde Karlheinz Mund 1963 Regieassistent im DEFA-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme, wo »Der Augenzeuge« produziert wurde, ein Jahr später Regisseur in diesem Studio. Mehr als sechzig Filme drehte er, einige davon mit Wolfgang Thierse als Co-Autor. So auch 1975 den Kurzfilm »WLM - Steiger oder Maler« über einen achtzigjährigen Bergmann, der als Autodidakt eine beachtliches malerisches Werk geschaffen hat, das von Anfang an um die Figur des Bergmanns kreist, den er einerseits realistisch als Schwerarbeiter ohne jedes Pathos zeigte und andererseits - da in der Tiefe des Berges ständiger Gefahr ausgesetzt - in eine Art Totentanz hineinstellte. Erstaunlich ist dieses Werk ohnehin, zumal er großformatige Bilder (anders als der Hallenser Miniaturist Albert Ebert) bevorzugte, Bilder, die kaum in seine Wohnung passten.
Dieser erfahrungsklugen Naivität kann sich der Betrachter schwer entziehen, eine Faszination, der auch die Irritation anhaftet, dass die ersten dieser Bilder Anfang der 30er Jahre und die letzten in den 70er Jahren entstanden. Jenseits der wechselnden Ideologien also die Kontinuität des gleichen industriellen Milieus? Man sieht es mit eigenen Augen, auch wenn der Film es nicht ausspricht: Bergmann ist und bleibt man, egal, wer gerade herrscht. Da verblasst der Bitterfelder Weg.
Der vielleicht erschütterndste Film Munds, jedenfalls einer, dem man bis heute nicht gleichmütig zusehen kann, ist »Walter Janka«, dessen Dreh vor der Wende im September 1989 begann (das Gespräch vor der Kamera führte DEFA-Szenarist Klaus Wischnewski) und der Janka über die Wende hinaus begleitete. Der Chemnitzer Kommunist und Spanienkämpfer saß gleich zweimal im Zuchthaus Bautzen ein - erst bei den Nazis, dann bei Ulbricht. Man hatte dem damaligen Verleger des Aufbau-Verlages 1957 umstürzlerische (was nichts anderes hieß als anti-stalinistische) Umtriebe vorgeworfen. Wir sehen Ulrich Mühe im Oktober 1989 im Deutschen Theater aus Jankas Buch »Schwierigkeiten mit der Wahrheit« lesen, blicken mitten in die atemlose Stille der Zuhörer hinein, wir hören seinen Anwalt Friedrich Wolff im Kassationsprozess 1990 vor dem Obersten Gericht der DDR sagen, dass man nicht vergessen dürfe, dass es Kommunisten waren, die als erste in der DDR für die Freiheit des Wortes stritten und vom stalinistischen System vor allem (aber nicht nur, siehe Rudolf Bahro) in den 50er Jahren brutal abgestraft wurden.
1991 drehte Mund »Zeitschleifen - im Dialog mit Christa Wolf« (mit Daniela Dahn als Gesprächspartnerin vor der Kamera), ein eindringliches Porträt der Schriftstellerin, die sich zu dieser Zeit in hassvollen Kampagnen von Westmedien, die sie eben noch als Ikone eines freiheitlichen Sozialismus gefeiert hatten, als kompromittierte »Staatsschriftstellerin« behandeln lassen musste. Eine bittere Lektion in Sache bundesdeutscher Machtpolitik, die vollzogene Delegitimierung auch der kritischen Teile der DDR-Elite, mit fatalen Effekten für das ostdeutsche Sozialgefüge bis heute. Karheinz Mund zeigt dies alles, ohne es zu kommentieren. Getreu dem frühen Motto des DEFA-Augenzeugen, der dazu aufforderte, selber zu sehen und selber zu urteilen. Es ist gut, dass es diesen Film auch auf DVD gibt.
Karlheinz Mund ist seit mehr als einem halben Jahrhundert mit der katalonischen Malerin Nuria Quevedo verheiratet, die mit ihren Eltern früh in die DDR als Exilland kam und über die er 2002 »Nuria Quevedo - Berlinerin aus Barcelona« drehte. Selten erlaubt sich der Dokumentarist eigene poetische An- und Ausflüge, in diesem Liebesdank durchaus. Gemeinsam ist dem Ehepaar die große Nähe zu Franz Fühmann. 1998 darum seine Hommage »Das Bergwerk - Franz Fühmann« mit einem Text von Sigrid Damm, von der Autorin selbst gesprochen, in dem es heißt: »Eine groteske Dressurapotheose nannte Fühmann sein Leben.« Es ginge bei Fühmann um den Irrweg, den man als solchen nur dann erkenne, wenn man ihn mit aller Konsequenz bis zu einem harten Ende durchleide, so Damm. Aber Mund bricht diesen hohen Ton sofort wieder herunter, lässt Bergarbeiter zu Wort kommen und Kinder in ihren Briefen, die Fühmann ernster nahm als die Wortmeldungen mächtiger Männer im Staate.
Es ist mehr als bloß wichtig, es ist schön, dass wir das alles in Karlheinz Munds Filmen aufbewahrt wissen.
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