- Politik
- Atomwaffen
Regierung verweigert Abrüstung
Umfrage: 71 Prozent der Bundesbürger wollen ein Verbot von Atomwaffen
Es ist ein Novum in der bundesrepublikanischen Geschichte: Noch nie hat sich Deutschland multilateralen Gesprächen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle verweigert. 122 Staaten hatten sich am 7. Juli in der Vollversammlung der Vereinten Nationen auf einen Vertrag über ein Verbot von Kernwaffen geeinigt. Am 20. September wird UN-Genrealsekretär António Gueterres diesen feierlich zur Unterschrift frei gegeben. Vermutlich nicht unterschreiben werden neben Deutschland auch die weiteren NATO-Mitglieder.
Dabei handelt die Bundesregierung gegen die Meinung einer klaren Mehrheit der Bevölkerung. Im Auftrag der Organisation »Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen« (ICAN) hat YouGov 2060 Personen über 18 Jahre befragt. Das Ergebnis ist eindeutig: 71 Prozent der Befragten gaben an, dass Deutschland den Vertrag unterzeichnen solle, nur 14 Prozent sprachen sich dagegen aus. Dabei sind sich Anhänger aller Parteien einig, 76 Prozent der CDU-Wähler, 83 der SPD- und 79 Prozent der LINKEN-Wähler befürworten ein Verbot. Lediglich bei Nichtwählern ist die Unterstützung mit 57 Prozent geringer.
Sascha Hach von ICAN Deutschland kritisierte am Montag bei der Vorstellung der Umfrage in Berlin die Haltung der Regierung: »Die Bevölkerung verlangt von der Regierung eine klare Haltung gegen Atomwaffen. Die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister handeln gegen diesen common sense im Volk.« Zusammen mit den Organisationen »Internationale Ärzte für die Verhinderung des Atomkrieges« (IPPNW) und der Juristenvereinigung gegen Atomwaffen IALANA hat ICAN eine Kampagne initiiert. Auf der Homepage »nuclearban.de« können Wähler an die Bundestagskandidaten in ihrem Wahlkreis schreiben und eine Unterstützung des Atomwaffenverbots einfordern.
90 Tage nachdem mindestens 50 Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet haben, tritt dieser in Kraft. Das würde auch Konsequenzen für Deutschland haben. Denn eine Stationierung von Atomwaffen in Deutschland würde dem Völkerrecht widersprechen, auch wenn die Bundesregierung den Vertrag nicht unterzeichnet. Somit zeigt sich der SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz in diesem Punkt auf der Höhe der Zeit, wenn er den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland fordert.
Im Gegensatz zum Atomwaffensperrvertrag begrenzt das neue Abkommen nicht nur die geografische Verbreitung von Atomwaffen, sondern verbietet generell den Einsatz von und die Drohung mit ihnen. Darüber hinaus werden Besitz, Lagerung, Erwerb, Entwicklung, Erprobung und Herstellung sowie der Transfer, die Verfügungsgewalt und Stationierung nuklearer Waffen verboten. Die Abrüstungsexpertin der IPPNW Xanthe Hall sieht in dem Vertrag einen Meilenstein auf dem Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen: »Der Atomwaffenverbotsvertrag erkennt die die katastrophalen humanitären Folgen des Einsatzes von Atomwaffen an, ebenso die Opfer der Atomwaffeneinsätze und -tests.«
Dass es den Atommächten nicht egal sein kann, dass in der UN-Vollversammlung gegen ihre Interessen gestimmt wurde, erklärt Manfred Mohr, Völkerrechtler und Mitglied von IALANA. Die Atomwaffenstaaten können den Vertrag nicht ignorieren, glaubt der Jurist. Und: »Die Nukleardoktrin der NATO wird mit dem Vertrag illegal.« So seien es vor allem auch die USA und Deutschland gewesen, die anderen Regierungen Druck gemacht hätten, sich nicht an den Verhandlungen zu beteiligen.
Für Hach hat der Vertrag auch noch eine weitere Konsequenz: Er hinterfragt das ordnungspolitische Machtgefüge der Welt. Die Mehrheit der UN-Vollversammlung hat sich den Interessen der Mitglieder des Sicherheitsrates widersetzt. Wobei es die alten Atommächte USA, Russland und Frankreich gewesen waren, die Verhandlungen über den Vertrag rundweg abgelehnt hatten. Die Länder also, »die sich am wenigsten auf das Schrumpfen ihres Wirkungsraums angepasst haben«, sagte Hach. China, Pakistan und Indien hätten sich der Abstimmung über den Verhandlungsbeginn enthalten.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.