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Leben und leben lassen

Im Kino: »The End of Meat« von Marc Pierschel

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit der Domestizierung von Tieren kam die Eroberung der Weiten und die Unterdrückung indigener Völker, und mit der eroberten Weite die Eisenbahn. Und mit der Eisenbahn kamen die großen Schlachthöfe - die Industrialisierung der Landwirtschaft geht einher mit institutionalisierter Gewalt gegen Mensch und gegen Tier.

Fleisch, das einmal Symbol von Wohlstand war, ein Statussymbol, das man Gästen servierte (und Kindern, damit sie groß und stark wurden), ist durch die Klimaerwärmung, die Erzeugung von Treibhausgasen durch die Massentierhaltung und die aus der Massentierhaltung resultierenden Lebensmittelskandale in Verruf geraten. Und wegen der sich durchsetzenden Erkenntnis, dass industrielle Tierhaltung angesichts steigender Bevölkerungszahlen und steigenden Wohlstands - sprich: steigender Fleischnachfrage - in den Schwellenländern auf Dauer auch gar nicht mehr praktikabel sein wird. Von massiven ethischen Bedenken ganz zu schweigen.

Regisseur Marc Pierschel (»Live and Let Live«, 2013) machte sich auf die Suche nach alternativen Ideen für das Zusammenleben von Menschen und Tieren. Er sprach mit Tierschützern und Forschern weltweit, mit praktizierenden Jain-Priestern und utopistischen Malern, mit Experten und Privatmenschen, die irgendwann die Einsicht hatten, dass es nun genug sein müsse mit dem Fleisch. Mit zwei Kanadiern, deren Haustier Esther als »Wunderschwein« zum Social-Media-Phänomen wurde - und sie ziemlich abrupt dazu brachte, jeden Fleischkonsum einzustellen. Er sprach mit Schlachthofmitarbeitern, die sich in der Mittagspause über den gewaltsamen Tod der einen Kuh aufregen, die es kurz mal aus dem Schlachthof schaffte, nur um dann auf offener Straße erschossen zu werden - und nach der Mittagspause ungerührt mit ihrem Brotjob weitermachen und im Verlauf des Tages Tausende von Tiere schlachten.

Er sprach mit Autorin Hilal Sezgin, die in Niedersachsen einen Lebenshof betreibt, auf dem Tiere nicht gehalten werden, weil sie einen Nutzen erbringen, sondern weil sie eben einfach sind. Denn wenn der Mensch einfach ist, weil er ist, warum dann nicht das Schaf? Besucher seien immer ganz erstaunt, erzählt Sezgin mit sichtbarer Verblüffung, dass sie ihre Schafe nicht nur nicht esse, sondern sie auch sonst nicht irgendwie nutzbar mache. Käse oder Wolle - irgendetwas müssten sie doch liefern? Nein, sie müssen eben nicht.

Pierschel sprach mit Forschern und Philosophen, die die Frage zu beantworten versuchen, was die Alternative sein könnte zu Tiernutzung und Massentierhaltung. Sollen Tiere ihren eigenen Anteil an der Welt bekommen, einfach alleingelassen werden, oder können sie mit den Menschen zusammenleben, muss man ihnen einfach nur mehr Raum und Rechte geben? Und wie viele Tiere würde es überhaupt noch geben, wenn sie nicht mehr aus Nutzerwägungen gehalten würden?

Und was ist mit den Tieren, die einfach nicht vegan werden mögen? Der Mensch hat die Wahl, ob er karnivor leben möchte. Manche Tiere haben das nicht. Der Mensch aber kann entscheiden, dass die Frage »was esse ich heute?« nie heißen darf »wen esse ich heute?« Und wer die Lebensmittelfrage so formuliert, wer hinter die Kulissen der Massentiertötungsindustrie blickt wie manche der Tierschutzaktivisten, deren Material Pierschel hier verwendet, wird nie mehr freiwillig Fleisch essen.

Wie aber sieht es mit dem Schutz der Tiere aus? Pierschel stellt die Tierrechtefrage und findet selbst im mehrheitlich hinduistisch-veganen Indien versteckte Schlachthöfe und weniger bekannte Zahlen über industrielle Milch- und Fleischproduktion - für den Export. An anderen Enden der Welt wird an veganen Hamburgern, veganem Käse geforscht. Aktivisten versorgen Tiere in Schlachthoftransporten mit Wasser und ein paar Streicheleinheiten, und ein US-amerikanischer Vater bricht in der Nacherzählung seiner Begegnung mit dem ersten Truthahn zusammen, der ihm nicht mit dreierlei Gemüse und Brotsauce auf dem Thanksgiving-Mittagstisch begegnete. Nie wieder, ist der Schwur. Man kann ihn gar nicht oft genug hören.

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