Lieber mit Sartre irren ...
Iris Radisch:
Warum die Franzosen so gute Bücher schreiben? Das Buch verheißt die unmögliche Antwort auf eine nicht gestellte Frage: Immerhin versucht Iris Radisch an zwei, drei Stellen ihres von Urteilskraft überquellenden Schnelldurchlaufs durch die französische Nachkriegs-Literatur dem »Warum« im Titel nachzugehen.
Die Eckpfeiler ihrer weitgespannten Brücke sind Jean-Paul Sartre und Michel Houellebecq: »Hier der Kämpfer für die Freiheit und die Verantwortung des Menschen für sein Leben. Dort der Melancholiker, der diese Ideen entsorgen möchte, weil er sie für gescheitert hält. Selbstverständlich möchte man da lieber mit Sartre irren als mit Houellebecq recht haben.«
Beiden und ihren Büchern widmet die Autorin kluge, stets sowohl subjektive wie inzwischen auch allgemein gefällte Beurteilungen. Das gilt auch für die zwischen diesen Pylonen genannten Namen: von Camus, über den sie eine glänzende Biografie geschrieben hat, über den Nouveau Roman und die Schwierigkeiten, ihn zu lesen, über die Nobelpreisträger Claude Simon, Le Clézio und Modiano bis zu der von ihr als Bewahrerin der französischen Klassik ausgemachten Marie NDiaye, deren »nicht enden wollende Kaskaden« sie genießt, und Pierre Michon, von dem sie sagt: »Besser kann man nicht schreiben.«
Viele Autorinnen und Autoren kennt sie von persönlichen Begegnungen und Interviews, die sie in ihrer seit 27 Jahren ausgeübten Tätigkeit als Literaturkritikerin gesammelt hat. Das verleiht ihrem Buch eine erfrischende Unmittelbarkeit, ihrem Urteil den Wert der persönlichen Erfahrung, dem ganzen Werk den Charakter einer Zeitgeschichte der französischen Literatur.
Iris Radisch ist Zeitzeugin dieses großen Weges, den diese Literatur seit dem Zweiten Weltkrieg zurückgelegt hat. Sie legt einen an manchen Stellen schon etwas abgetretenen roten Teppich auf diesen Weg. Aber fast allen Figuren auf diesem Catwalk bescheinigt sie nachlesenswerte Bedeutung, Würde und Klasse.
Vor einigen wenigen warnt sie unterwegs wegen ihrer vulgär sexistischen Bücher. Frauen widmet die Autorin hinreißende literarische Porträts: der »Feministin« Simone de Beauvoir, Nathalie Sarraute, Colette, Françoise Sagan, Assia Djebar, Annie Ernaux, Marguerite Duras, Yasmina Reza und, wie gesagt, Marie NDiaye. Die in die französische Sprache Eingewanderten finden bei ihr Anerkennung wie die Rumänen Eugène Ionesco und E.M. Cioran oder Samuel Beckett, der mitten im Satz anfing, vom Englischen ins Französische zu wechseln.
In der Literatur ist das Französische nach wie vor eine Weltmacht. Iris Radisch hält zum Schluss ihres bei aller Fülle schön handlich gebliebenen Buches noch einen Kompass für persönliche Entdeckungen bereit: eine Shortlist mit 24 Namen und Titeln.
Iris Radisch: Warum die Franzosen so gute Bücher schreiben - von Sartre bis Houellebecq. Rowohlt, 240 S., geb., 19,95 €.
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