Putzen mit Stoppuhr
Parallel zur vierten Tarifverhandlungsrunde demonstrieren Reinigungskräfte für gleichen Lohn in Ost und West - und einen Euro mehr für alle
Kerstin Fischer reinigt seit 20 Jahren Büros, Klassenräume und Toiletten in Halle. Im Augenblick lediglich wenige Stunden im Monat, sie würde gern länger arbeiten, aber mehr Aufträge haben ihre Chefs nicht für sie. »Es ist ein Glückstreffer, wenn man in der Branche Vollzeit arbeiten kann«, sagt die 55-Jährige. Teilzeit und Minijob sind die Regel, die meisten der rund 750 000 Beschäftigten arbeiten lediglich vier bis sechs Stunden am Tag. Fischer verdient 9,05 Euro brutto in der Stunde. Das ist Tarif. Netto bleiben 4,75 Euro. »Damit kann man vorne und hinten nicht existieren«, selbst wenn man mehr Stunden arbeiten würde, sagt sie.
Besonders wütend macht sie, dass sie in Sachsen-Anhalt sogar noch einen Euro weniger als die Kollegen im Westen verdient. Eigentlich war lange vereinbart, dass ab 2019 kein Unterschied mehr gemacht wird. Doch die Unternehmer kündigten im vergangenen Jahr überraschend diese Zusage auf. »Dabei kostet meine Butter genauso viel wie die in Dortmund. Und auch die Mieten sind nicht billiger«, empört sich Fischer.
In der laufenden Tarifrunde will ihre Gewerkschaft die Anhebung der Löhne im Osten auf Westniveau erreichen. Für alle Glas- und Gebäudereiniger fordert die IG BAU einen Euro mehr pro Stunde sowie den Einstieg in ein Weihnachtsgeld. 16 Prozent mehr im Westen, 29 Prozent im Osten - das klingt saftig, aber Ausgangspunkt sind Niedriglöhne: »Unsere Leute sind von Armut bedroht, und mit den niedrigen Renten landen sie später in der Altersarmut«, warnt IG-BAU-Verhandlungsführerin Ulrike Laux. Am Dienstag traf sie in Essen bereits zum vierten Mal mit den Unternehmensvertretern zusammen. Doch diese boten lediglich einen Anstieg von 2,7 Prozent im Osten und 1,85 Prozent im Westen pro Jahr an. Es bliebe bei einer Ost-West-Lücke von acht Prozent. »Wir zahlen seit Jahren freiwillig einen tariflichen Mindestlohn, der deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt«, wies Christian Kloevekorn für die Tarifkommission des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks kürzlich höhere Forderungen zurück. Im Übrigen seien die Kunden schuld, die nur einen Billigpreis zahlen wollten.
Der niedrige Lohn ist das eine, der ständige Zeitdruck das andere. Kerstin Fischer betont: »Man muss ganz genau rechnen, wie man die Qua- dratmeter in der vorgegebenen Zeit schafft.« Früher hat sie 16 Klassenräume putzen müssen. Das bedeutete 33 Stühle aufstuhlen und abstuhlen, kehren, wischen. Bezahlt wurde aber nur das Wischen. »Man steht inzwischen mit der Stoppuhr im Büro«, sagt Fischer. Dabei bleibe auch die Qualität auf der Strecke. Am meisten leiden aber die Reinigungskräfte selbst. Der Job strapaziert Hände, Rücken, aber auch die Psyche, wenn man im Akkord arbeiten muss. Nicht nur für die Frau aus Halle ist eine Grenze erreicht.
Seit Wochen zieht sie zusammen mit einer Gewerkschaftssekretärin durch die Firmen in der Region, informiert über den Stand der Tarifrunde, mobilisiert zu Aktionen. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Gebäudereiniger arbeiten ja nicht dort, wo sie angestellt sind, sondern in Bürohäusern, Schulen, Kliniken - bei den Kunden. Und zwar oftmals allein, spät am Abend oder auch früh am Morgen, bevor die andere Arbeit beginnt. Deshalb gehen sie oft auch einfach auf Verdacht irgendwo hinein, in der Hoffnung, »die Unsichtbaren« anzutreffen.
Gemeinsam mit rund 100 Kolleginnen und Kollegen aus dem Osten fuhr Fischer am Dienstag ins Ruhrgebiet nach Essen zur Demonstration. Die meisten opferten dafür einen Urlaubstag. Während ihre Verhandlungskommission drinnen im Select-Hotel mit der Innung stritt, machten draußen etwa 600 Reinigungskräfte aus dem gesamten Bundesgebiet ihrem Unmut Luft. Eine Einigung kam nicht zustande. Ein Knackpunkt ist die Ost-West-Angleichung. Wenn sich auch beim nächsten Verhandlungstermin nichts bewegt, könnten Anfang des Jahres die ersten Flure schmutzig bleiben. Am 31. Dezember endet die Friedenspflicht.
Die Hallenserin Kerstin Fischer sieht einem Streik mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn meist bleibt der Dreck einfach nur liegen. Das Problem ist auch: Lohnzuwächse wurden in der Vergangenheit dadurch geschmälert, dass an der Zeitschraube gedreht wurde. Dennoch unterstützt Fischer die Proteste. »Es hilft ja nichts, den Kopf in den Sand zu stecken«, meint sie.
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