Das Dienstverhältnis im Kopf

Literaturnobelpreis für den aus Japan stammenden Briten Kazuo Ishiguro

Es ist ein Science-Fiction-Roman, aber man merkt es nicht. Es ist ein Coming-of-Age-Roman, aber die jungen Leute entwickeln sich nicht. Es ist ein Gesellschaftsroman, aber die Gesellschaft bleibt unerwähnt. Es ist eine Liebesgeschichte, aber die Liebe kommt nicht zum Zuge. Es ist eine fast kitschige Geschichte, die ihre Leser verstört zurücklässt.

»Alles, was wir geben mussten« (Never let me go) von Kazuo Ishiguro ist eines dieser Bücher, über das man nur Rätselhaftes sagen kann, will man das Lesevergnügen des künftigen Lesers nicht schmälern. Ohnehin hätte die schlichte Zusammenfassung des Inhalts kaum etwas mit dem zu tun, was den Roman ausmacht. Die Geschichte von zwei Frauen und einem Mann, die ihre Schulzeit zusammen in einer Art Internat verbringen, ist in wunderschöner Sprache geschrieben, schnörkellos und doch beinahe poetisch. Sie ist ruhig erzählt und macht die Leserin doch schier wahnsinnig, weil darin gleichzeitig höchst Grausames verhandelt wird. Man möchte die Romanfiguren schütteln und sie zwingen, sich verflixt nochmal zu wehren, auszubrechen, zu fliehen. Aber genau das geht nicht; sie können nicht heraus aus ihrer Haut und nicht aus ihrer Welt.

Zuletzt hat Ishiguro mit dem 2015 erschienenen Roman »Der begrabene Riese« (The Buried Giant) gezeigt, dass es ihm nicht auf das Genre ankommt, ebenso wenig wie auf Ort und Zeit. Auch diese bezaubernde Geschichte von einem älteren Paar auf der Suche nach dem einzigen Sohn - eigentlich ein Fantasy-Roman, angesiedelt in düsterer britischer Vergangenheit - ist vor allem eine von Illusionen, Selbsttäuschungen, geschönten Erinnerungen, Zwängen und Pflichten. Sie ist mitreißend und zugleich so deprimierend, dass sie einem die Luft zum Atmen nimmt.

»Ich habe noch nie einen Roman begonnen, indem ich mir über den Schauplatz oder die Zeit Gedanken gemacht hätte«, sagte Ishiguro in einem Interview zu seiner Arbeitsweise. »Ich würde zum Beispiel nie sagen: ›Ich möchte jetzt unbedingt über die Flüchtlingskrise schreiben.‹ Ich gehe meist von abstrakteren Ideen aus, von einer Geschichte, die für mich und die heutige Welt eine Relevanz hat, und mache mich erst dann auf die Suche nach einem geeigneten Schauplatz.«

Für »seine Romane von starker emotionaler Kraft« werde Ishiguro mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, gab die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm bekannt. Er lege darin den Abgrund unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt bloß, hieß es weiter.

Kazuo Ishiguro, geboren 1954 in Nagasaki, zog als Fünfjähriger mit seiner Familie nach England und besuchte Japan erst als Erwachsener wieder. Seit 1982 arbeitet er als freier Schriftsteller und hat bisher acht Bücher mit Romanen und Erzählungen veröffentlich sowie Drehbücher für Film und Fernsehen.

Am bekanntesten in Deutschland dürfte James Ivorys Verfilmung aus dem Jahr 1993 von Ishiguros Romans »Was vom Tage übrig blieb« (The Remains of the Day) sein, mit Anthony Hopkins in der Rolle des Butlers Stevens, der noch zum Ende seines Berufslebens nicht in der Lage ist, sich im Kopf aus dem ewigen Dienstverhältnis zu befreien und sich zur Liebe seines Lebens zu bekennen.

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