Wie Solidarität mit Migranten funktioniert
IG-Bau-Chef Feiger über politische Mittel gegen Ausländerfeindlichkeit, Lohndumping und Wohnungsnot
Herr Feiger, nationalistische Positionen haben hierzulande an Boden gewonnen: Bürger werden zu Fremden erklärt und ausgegrenzt. »Deutschland den Deutschen«, sagt beispielsweise der AfD-Politiker Poggenburg. Wie ist die Stimmung auf Baustellen, wo sehr viele Migranten arbeiten? Gibt es mehr Anfeindungen gegen Migranten als früher?
Das Problem in der Bauwirtschaft ist überhaupt nicht die Nationalität von Beschäftigten. Wir haben seit den 1960er Jahren hervorragende Erfahrungen gemacht mit der Integration von Menschen aus Italien, Spanien oder Portugal. Wenn Arbeitsmigranten zu regulären Bedingungen beschäftigt werden, läuft das alles vollkommen entspannt. Zu Unmut kommt es, wenn Betriebe die Beschäftigten als Lohndrücker missbrauchen. Und Migranten können einfacher als Lohndrücker missbraucht werden, weil sie die Gesetze nicht so gut kennen. Hinzu kommt, dass sich bei der Entsendung inzwischen eine organisierte Kriminalität breit macht, die Ausbeutung zum Geschäftsmodell hat. Das setzt andere unter Druck.
Inwiefern?
Wenn ein Unternehmen mit Niedrigstlöhnen kalkuliert, sagen andere Arbeitgeber schon mal: Wir müssen auch günstiger werden, damit wir noch an Aufträge herankommen.
Robert Feiger ist seit 2013 Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Der 54-Jährige arbeitet seit 1988 bei der IG BAU. Eva Roth hat ihn nach seinen Vorschlägen gegen Lohndumping und Wohnungsnot gefragt.
Wie ist Solidarität mit Arbeitsmigranten möglich?
Solidarität heißt in dieser Frage, dass wir innerhalb Europas dafür sorgen, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort gezahlt wird. Und zwar Tariflöhne, nicht nur der gesetzliche Mindestlohn oder der Branchenmindestlohn. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat vor einiger Zeit gesagt: Das mache ich zu meiner großen sozialpolitischen Aufgabe. Geändert hat sich seither aber nicht viel.
Der Branchenmindestlohn, den es im Baugewerbe seit 1997 gibt, wird häufig nicht gezahlt. Harald Schröer vom Arbeitgeberverband hat mir im vorigen Jahr gesagt, die Situation habe sich sogar verschlechtert: Tarifgebundene Betriebe hätten es immer öfter mit Wettbewerbern zu tun, die keinen Mindestlohn zahlen, oft auch keine Steuern und Sozialabgaben. Wie ist die Lage heute?
Ich fürchte, nicht besser als vor einem Jahr. Baustellen sind für illegale Beschäftigung viel anfälliger als stationäre Betriebe. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit hat allein in der ersten Hälfte dieses Jahres 2433 Ermittlungsverfahren wegen Mindestlohnverstößen eingeleitet. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Kollegen vom Zoll machen gute Arbeit. Sie haben aber gar keine Chance, mit ihrer Personalausstattung ihre Aufgabe wirklich ordentlich bewältigen zu können.
Seit 2015 gibt es nicht nur Mindestlöhne für einzelne Branchen, sondern auch den bundesweit geltenden gesetzlichen Mindestlohn …
Genau. Und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit muss auch prüfen, ob der gesetzliche Mindestlohn bezahlt wird. Von heute auf morgen sind so fünf Millionen Beschäftigte dazugekommen, für die die Finanzkontrolle jetzt zuständig ist. Deswegen sagen wir: Wir brauchen mindestens 10 000 Kontrolleure, damit die Kollegen ihren Job erledigen können.
Finanzminister Schäuble hat wegen des gesetzlichen Mindestlohns zusätzliches Personal in Aussicht gestellt. Sind die Leute schon eingestellt?
Leider nein. Momentan gibt es rund 6700 Planstellen, von denen jede Zehnte unbesetzt ist. Es ist jetzt wirklich mal Zeit, bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit richtig ins Personal und in die Ausbildung zu investieren. Schäuble weiß doch, dass sich die Leute selbst finanzieren, über Bußgeld und Nachzahlungen bei den Steuern und Sozialabgaben, die sie eintreiben. Die Branchenmindestlöhne sollen verhindern, dass der Wettbewerb über Dumpinglöhne ausgetragen wird. Es ist die Pflicht der Bundesregierung, dieses Prinzip durchzusetzen.
Mehr Kontrollen - reicht das, um dem Ziel näher zu kommen, anständige Arbeitsbedingungen auf Baustellen zu schaffen?
Nein. Wir erwarten, dass die neue Bundesregierung dafür sorgt, dass künftig alle öffentlichen Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden, die Tariflöhne zahlen.
Tariftreuegesetze gibt es schon.
Ja, aber nur in einzelnen Bundesländern. Der Bund muss sich selbst, die Bundesländer und die Kommunen dazu verpflichten, dass bei öffentlichen Aufträgen nur noch tarifgebundene Betriebe zum Zuge kommen.
Haben Sie darüber mal mit der noch amtierenden Bundesregierung gesprochen?
Ja, wir sind aber nicht immer auf offene Ohren gestoßen.
Die neue Regierung könnte eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen werden. Glauben Sie wirklich, dass ausgerechnet dieses Bündnis Ihren Vorschlag umsetzt?
Ich bin ein gnadenloser Optimist.
Der Staat müsste mehr Geld für Bauarbeiten zahlen, wenn alle Beschäftigten Tariflohn erhalten.
Andererseits würde der Staat mehr Steuern und Sozialbeiträge einnehmen. Und es war doch die CDU, die mit dem Slogan »Für gute Arbeit und gute Löhne« Wahlkampf gemacht hat!
Seit einigen Jahren boomt die Baubranche, zuletzt ist der Umsatz um sechs Prozent gestiegen. Profitieren die Belegschaften davon?
Wir haben in den letzten Jahren sehr ordentliche tarifliche Reallohnsteigerungen vereinbart. Parallel dazu gibt es aber - wie gesagt - weiter zahlreiche Unternehmen, die sogar den Mindestlohn unterlaufen.
Wachstum führt also nicht automatisch zu besseren Arbeitsbedingungen für alle?
Nein, der Staat muss Regeln setzen und durchsetzen. Ebenso muss er darauf achten, dass tarifliche Vereinbarungen eingehalten werden.
Und die Unternehmen?
In der Baubranche klagen Betriebe schon einige Zeit darüber, dass sie zu wenig junge Fachkräfte finden. Dabei könnten sie selbst mehr tun, um Bauberufe attraktiver zu machen. Hier geht es nicht nur um den Monatslohn, sondern um Ausbildung, Weiterbildung, Aufstiegsmöglichkeiten. Es geht auch um gute Unterkünfte, wenn Beschäftigte auf Montage sind, um saubere sanitäre Einrichtungen, um eine gute Essensversorgung. In Schweden sind Bauarbeiter auf Montage in der Regel sehr gut untergebracht, oft wird ihnen warmes Essen auf die Baustelle gebracht. Die Arbeitsbedingungen am Bau sind dort vergleichbar mit stationären Betrieben. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Gerade öffentliche Bauherrn sind hier gefordert.
Nochmal zu den Löhnen: In der letzten Tarifrunde haben Sie 5,9 Prozent mehr Geld verlangt und 2,2 bis 2,9 Prozent vereinbart. Ende 2017 legen Sie Ihre neue Tarifforderung fest. Wollen Sie diesmal mehr durchsetzen?
Wir werden sicherlich eine höhere Prozentzahl fordern als in der vergangenen Tarifrunde, davon können Sie ausgehen. Das ist angesichts der guten wirtschaftlichen Bedingungen auch angemessen.
Was verdient eigentlich ein junger Facharbeiter am Bau?
Der Tariflohn für einen Maurer oder einen Straßenbauer auf der Baustelle liegt im Osten bei 18,15 Euro in der Stunde, in Berlin bei 19,27 Euro und im Westen bei 19,51 Euro.
Auf Ihrem Gewerkschaftskongress, der an diesem Montag beginnt, spielt auch der Mangel an bezahlbaren Wohnungen eine Rolle.
Ja, sogar eine wichtige. Die Wohnungsnot ist insbesondere in Großstädten und Ballungsräumen dramatisch. Der Markt funktioniert zwar im Hochpreissegment: Eine Wohnung für 25 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zu finden, ist kein Problem. Der Markt funktioniert aber nicht bei Wohnungen, die für Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen bezahlbar sind. Hier muss die Politik handeln. Wir brauchen zusätzlich eine Million Wohnungen mit bezahlbaren Mieten.
Was meinen Sie, wo diese herkommen könnten?
Nötig ist der Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau. Wir plädieren dafür, dass für Bauleistungen im sozialen Wohnungsbau ein reduzierter Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gilt. Das würde die Baukosten deutlich verringern. Außerdem sollten in Großstädten, in denen es wirklich brennt, die Abschreibungsmöglichkeiten verbessert werden. Unternehmen sollten jährlich vier Prozent der Baukosten steuerlich geltend machen können, bisher sind es nur zwei Prozent. Auch das sollte nur für Wohnungen mit einer Mietobergrenze gelten. Beides wäre ein Anreiz für Privatunternehmen, mehr preisgünstige Wohnungen zu bauen.
Auch hier hoffen Sie auf die neue Bundesregierung?
Wir werden diese Vorschläge einbringen, wenn die Koalitionsverhandlungen beginnen. Die Wohnungsnot hat sich derart verschärft, dass sich keine Regierung diesem Thema verweigern kann.
Auf welche Partei setzen Sie Ihre Hoffnungen, wenn es eine Jamaika-Koalition gibt?
Ich würde besonders auf die CDU und die Grünen hoffen.
Und die FDP kann nicht Nein sagen, wenn es um Steuersenkungen geht?
Das müssen Sie die FDP fragen!
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