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Das tschechische Raumschiff

Jaroslav Kalfarˇ blickt von weit weg auf sein Land - herrlich ironisch und bitterernst zugleich

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Beobachtungsfenster glitt ein Schatten vorbei: kleine Hundeschnauze, gespitzte Ohren, weit aufgerissene schwarze Augen, »in denen sich die blinkenden Lichter der Unendlichkeit spiegelten«. Das konnte nur die Hündin Laika sein, »konserviert durch die Gunst des luftleeren Raums, der zersetzenden Wirkung des Sauerstoffs entzogen«.

Jaroslav Kalfar: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt.
Roman. A. d. Am. v. Barbara Heller. Tropen Verlag, 366 S., geb.,22 €.

Ob Jakub Procházka auch einmal so enden würde? Dass er sein Raumschiff »JanHus 1« bald wegen einer Havarie verlassen muss und der tschechische Staat ihm ein Denkmal setzen wird, weiß er im Moment noch nicht. Auch nicht, dass just im letzten Moment sich aus einem anderen Raumschiff helfende Hände strecken werden. Er wird gerettet, aber »Nascha Slawa 1« würde ihn nicht in sein Land zurückbringen, wo er seine Lenka wiederzutreffen hofft. Er würde wohl nach Russland gebracht, damit er seine Weltraumgeheimnisse preisgibt. Also wehrt er sich - sogar durch einen Mord ...

Von Jaroslav Kalfařs Roman »Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt« darf man eine Menge Action erwarten, allerdings auf die eher fröhliche, unterhaltsame Art. Das kann uns schon der Titel versprechen. Böhmische Raumfahrt? Das kann doch nicht ernst gemeint sein. Allerdings, verstehen kann man es schon, wenn ein Staatspräsident einer Raumfahrernation vorstehen möchte. Dem Patriotismus würde das Auftrieb geben. Immer geht es doch um solcherart höhere Ziele - ob im kommunistischen oder nationalistischen Sinne, immer sind einzelne Menschen nicht davor gefeit, von den jeweils Mächtigen dafür ausgenutzt zu werden. Man packt sie bei ihrem Idealismus, schickt sie auf eine gefährliche Mission wie Jakub oder verführt sie zu schrecklichen Taten wie seinen Vater.

Jakubs Vater hörte in seiner Freizeit Elvis-Platten und verhörte im Dienst »Staatsfeinde«. Gewaltsam. Einer der Gequälten erscheint eines Tages bei den Großeltern mit einem eisernen Schuh. Da sind die Eltern bereits tot, bei einem Seilbahnunglück ums Leben gekommen. Vorher aber hatte die »Samtene Revolution« sie »auf die falsche Seite der Geschichte« gerückt. »Meine Eltern haben sich ein gutes Leben für mich gewünscht: ein Leben in guter Kameradschaft mit meinem Land, ein Leben im Dienst der Welt, die sich im Sozialismus vereint«, denkt Jakub zu Beginn des Romans. Und ein paar Seiten später: »Ich bin ein Kind der Verliererseite.«

Wie oft mag es schon vorgekommen sein, dass jemand einen Makel in seiner Biografie zu kompensieren sucht? Nicht, dass Jakub Procházka erpresst worden wäre, aber er hat wohl einen besonderen Ehrgeiz entwickelt, seinem Land zu dienen.

Diese Handlungslinie allein hätte einen Roman tragen können. Man staunt, wie leichthin und dabei wie präzise gerecht Jaroslav Kalfař die Umbrüche in Tschechien seit 1989 erfasst. Vielleicht gelingt ihm das so gut, weil er von weit weg auf sein Land blickt. Er ist jetzt 28 Jahre alt und hat die sozialistische Zeit als Kind nur in ihren Nachbeben von 1989 erlebt. Als Teenager kam er in die USA, wo bereits seine Mutter lebte.

Sein Vater war, nach Bekunden des Autors, anders als der von Jakub im Buch, kein Kommunist. Weil er sich geweigert hatte, der Partei beizutreten, war er aus der Universität ausgeschlossen worden. Er arbeitete in einer Fabrik und schaute sich in seiner Freizeit mit dem Sohn Science-Fiction-Filme an. »Man könnte also sagen, ich habe schon mit fünf Jahren angefangen, für diesen Roman zu recherchieren«, so Kalfař, der inzwischen US-Bürger ist und an der New York University in Jonathan Safran Foer seinen Mentor fand.

Dabei wurzelt sein Talent nicht nur in seinem Einfallsreichtum, seiner Fabulierlust, seiner Sprachkraft, seinem Witz, sondern auch im Vermögen, ja im Bedürfnis, die Dinge von anderen Standpunkten als den eigenen, gewohnten aus zu sehen.

»Einen Vater zu haben, der urplötzlich von einem Helden zu einem Verbrecher wird«, diese Idee habe ihn fasziniert, meint Jaroslav Kalfař. Welchen Widerstreit ein Sohn da mit sich auszufechten hat, durchzieht das ganze Buch. Unrecht gebiert Unrecht. Ob das wohl immer so weitergeht?

Jakubs Weltraummission hat mit einem Politiker zu tun, der als einstiger Verfechter der Freiheit nun mit Hilfe der nationalen Idee auf Stimmenfang geht. Es gibt aber auch die Leidenschaft des Wissenschaftlers Jakub Procházka, die ominöse »Chopra-Wolke« zu erforschen, sein Verantwortungsgefühl, weil diese für die Erde eine Bedrohung ist.

Und es gibt ein Geheimnis. Was er vor der Bodenstation geheim hält: Ein seltsames Wesen ist im Raumschiff aufgetaucht, eine Riesenspinne, die Nutella liebt und großes Interesse an Jakubs Gedanken zu haben scheint. Bald kann er mit ihr kommunizieren. »Hanus« nennt er sie.

Ein Freund in der Einsamkeit, denn seine Lenka hat sich offenbar von ihm getrennt. Er weiß weder wieso, noch wo sie ist. Also stimmt er zu, dass sich der Geheimdienst auf ihre Spuren setzt. Also wieder Observierungsakten. Insofern hat Jaroslav Kalfař auch eine Liebesgeschichte geschrieben. Auch Männer, die sich nicht gerade auf Weltraummission begeben, sind in Gefahr, von ihren Liebsten verlassen zu werden. Einfach, weil sie gänzlich von ihren eigenen Interessen und Zielen beherrscht sind und die Frau an ihrer Seite schon kaum mehr wahrnehmen können.

Immer wieder dieses Pendeln zwischen Ironie und Ernst im Roman. »Ich fühle mit dir, dünner Mensch«, sagt »Hanus«. Dabei hat dieser »dünne Mensch« in der Angst vorm Tode mit nichts weniger als der Frage nach dem Sinn des Lebens zu tun. Zu viel gewollt und deshalb seine Liebe verloren? Was tut man nicht alles aus Furcht vor dem Chaos? Will alles regeln, alles kontrollieren.

Und was bleibt am Schluss? Vielleicht nur das eigene Ende. Oder das: ein zerfallenes Haus, ein verwilderter Garten und die Möglichkeit, »frei von Systemen« in einer eigenen kleinen Welt heimisch zu sein.

»Wir waren unsichtbar, und in diesem langsameren Leben waren wir unsere eigenen Götter.«

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