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Das war der Sound
The Jesus & Mary Chain spielen im Astra-Kulturhaus
Früher, das heißt vor über 30 Jahren - in der Popgeschichte ist das, wie man weiß, ein Zeitraum, der ungefähr der Ewigkeit gleichkommt -, waren die Gebrüder William und Jim Reid ein granteliges Jungmännerduo aus Glasgow, das bevorzugt schwarz gekleidet und mit dunklen Sonnenbrillen ausgestattet auf der Bühne stand und dem geneigten Jungmännerpublikum eine Musik präsentierte, die sich anhörte, als könnten deren Urheber sich nicht so recht entscheiden zwischen Beach-Boys-Harmonien und Auffahrunfallgeräuschen: The Jesus & Mary Chain nannte sich das Brüderpaar.
Die beiden trugen eindrucksvolle Wischmoppfrisuren, und es lag auf der Hand, dass sie nicht nur durch den Punkrock sozialisiert waren, sondern auch die alten Platten von Velvet Underground nicht gerade selten gehört hatten. Ihrem Publikum boten sie so etwas wie den Soundtrack zur herrschenden Orientierungslosigkeit: Wir sind diffus traurig und ratlos und verbittert und gelangweilt und wissen nicht, was auf uns zukommt, und es ist uns auch egal. Lass uns also Krach machen.
Ihr denkwürdiges und bis heute in sämtlichen einschlägigen Bestenlisten zu findendes Debütalbum »Psychocandy« (1985) klang, als würde man über die süßen, lieblichen Melodien mehrere Extratonspuren mit Flug- und Baustellenlärm gelegt haben. »Wir wollten einen abgefuckten, deformierten Sound, und wir hatten diese Pedale, die wir benutzten«, sagte Jim Reid vor zwei Jahren dem Magazin »Rolling Stone«. »Die machten die meiste Arbeit von ganz allein. Man schloss sie einfach an die Steckdose an, und es ging ein Kreischen los, das glaubst du gar nicht. Das war der Sound.«
Es war ein Sound, den in dieser Perfektion zu reproduzieren den beiden Brüdern auf ihren späteren Alben nie wieder gelingen sollte. Es war ein aus dem Nichteinverstandensein geborener Sound, der seinerzeit das verstörende Gegenstück bildete zu dem schmierigen Hitparadenschmalz, den etwa die neokonservativen New Romantics herstellten, die schlimme Fönfrisuren und kanariengelbe Pullunder trugen. Später würden Bands wie die Pixies, die Breeders oder My Bloody Valentine diesen Mischsound aus melodieverliebter Beschwingtheit und nach Kreissägen klingendem Gitarrenfeedbacklärm erfolgreich kopieren.
1999 löste die Band sich auf. Sein Bruder und er selbst hätten damals »keine fünf Minuten im selben Raum sein können«, ohne sich gegenseitig anzufallen, sagte Jim Reid vor Kurzem der »Berliner Zeitung«.
2007 fanden die Brüder wieder zusammen und begannen damit, wieder zu touren. Im Frühjahr haben die beiden nun ein neues Album veröffentlicht, das erste seit 18 Jahren, »Damage and Joy« heißt es. Darauf gibt es wieder schöne Textstellen. Eine geht beispielsweise so: »I hate my brother and my brother hates me/ That’s the way it’s supposed to be.«
In ihren Anfangsjahren kam es nicht selten dazu, dass die Brüder ihre Konzerte nach zwanzig Minuten abbrachen, aus Lustlosigkeit oder weil man begonnen hatte, sich auf der Bühne zu prügeln. Mal sehen, ob sie diese schöne alte Tradition beibehalten haben.
12.10., 20 Uhr, Kulturhaus Astra, Revaler Str. 99, Friedrichshain
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