Ungleichheit verstärkt Unterernährung
Welthungerindex: Bevölkerung vieler Staaten leidet unter Konflikten, Klimawandel und Benachteiligung
815 Millionen Menschen weltweit haben nicht genug zu essen. Die aktuellen Zahlen der UNO sind erschreckend, zeigen aber auch, dass schon einiges erreicht werden konnte. Zur Jahrtausendwende litten noch fast 30 Prozent der Weltbevölkerung unter Hunger, laut den aktuellen Zahlen von 2017 sind es derzeit noch 21,8 Prozent. Ein Erfolg, der auf wackeligen Füßen steht, wie Klaus von Grebmer, vom International Food Policy Research Institute am Donnerstag auf einer Pressekonferenz der Welthungerhilfe zugeben musste. Angesichts der weltpolitischen Lage mit vielen bewaffneten Konflikten - besonders in einigen Staaten Afrikas und des Nahen Ostens - sei zu befürchten, dass sich auch der Hunger wieder ausbreite, so der Wissenschaftler. Erste Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO zeigen einen Anstieg von Unterernährung. Derzeit sind 52 Staaten von Hunger betroffen, wobei es regionale Unterschiede gibt.
Eine Hauptursache für Hunger sind Konflikte aller Art, das zeigt der Welthungerindex 2017, den die Hilfsorganisation vorstellte. Am Besorgniserregendsten ist die Situation demnach in der Zentralafrikanischen Republik. Dort bekämpfen sich trotz eines Friedensvertrages christliche und muslimische Milizen, davon höre man in den Medien aber nur selten etwas, sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann. 58 Prozent der Einwohner des Landes hungern - genauso viele wie im Jahr 2000.
Ebenfalls hohe Raten an unterernährten Menschen, wachstumsverzögerten Kindern sowie eine sehr hohe Kindersterblichkeitsrate weisen Sambia, Sierra Leone, Liberia, Sudan, Tschad, Madagaskar und Jemen auf. Neu hinzugekommen ist Mali, die neuesten Zahlen aus dem westafrikanischen Land sind besorgniserregend. Der Bürgerkrieg im nahen Libyen führte in den vergangenen Jahren zu einem Wiederaufflammen der Kämpfe im Land, seitdem verschlechtert sich die Lage der Bevölkerung dramatisch. Die Folgen solcher Konflikte wirkten lange nach, das zeige sich in der täglichen Arbeit der Hilfsorganisation, so Dieckmann.
Nicht nur in Afrika ist die Situation teils dramatisch, auch in Asien haben viele Menschen nicht genug zu essen. In Indien, Pakistan, Afghanistan, Bangladesch oder Indonesien leiden zwischen 20 und 35 Prozent der Bevölkerung unter Hunger. Allerdings hätten einige Länder - etwa Kambodscha und Myanmar - mit internationaler Hilfe und neuer politischer Weichenstellung ihre Lage seit der Jahrtausendwende deutlich verbessern können, sagte von Grebmer. Das zeige, dass das Ziel der UNO, den Hunger bis 2030 auszurotten, zu erreichen sei, wenn man die richtigen Strategien anwende. Derzeit würden aber nicht genug Anstrengungen unternommen, so sein Fazit. Das bestehende Frühwarnsystem werde nicht ernst genug genommen.
Nicht nur Kriege führen zu mehr Hunger, sondern auch der Klimawandel mit verheerenden Dürren, Überschwemmungen, Erdbeben und Wirbelstürmen. Auch in dieser Hinsicht müsse sich die internationale Staatengemeinschaft mehr anstrengen, sagte Dieckmann - gerade weil sich mit den USA ein mächtiges Land aus dem Klimaabkommen verabschieden wolle.
In diesem Jahr liegt der Fokus des Welthungerindexes auf der weltweiten Ungleichheit, die eine der wichtigsten Ursachen für Hunger ist. »Weltweit gibt es eine himmelschreiende Ungleichheit bei der Verteilung von Lebenschancen und Einkommen«, so Dieckmann. Ganze Bevölkerungsgruppen - Frauen, ethnische Minderheiten, Indigene, aber auch große Teile der Landbevölkerung - seien aufgrund von struktureller Benachteiligung besonders von Hunger bedroht. Diese Ungleichheit könne nur mit Hilfe von Bildung bekämpft werden. Die Welthungerhilfe forderte in diesem Zusammenhang von der neuen Bundesregierung, ein starkes Entwicklungshilfeministerium zu schaffen und sich auf europäischer und internationaler Ebene stärker gegen Hunger und Ungerechtigkeit zu engagieren.
In den betroffenen Ländern müssten soziale Sicherungen, gerechte Steuer- und Wirtschaftssysteme geschaffen werden. Dazu könne eine gerechte Handels-, Agrar- und Energiepolitik sowie Investitionen der wirtschaftlich starken Länder beitragen. »Dafür müssen wir aber auch mal ein Stück unseres Reichtums abgeben«, lautete Dieckmanns Fazit.
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