Jamaika: Kein Traumziel für Gewerkschafter

Beschäftigtenvertreter beobachten die beginnenden Verhandlungen von Union, FDP und Grünen mit Sorge

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Veranstaltungen der großen Gewerkschaften sind für Christian Lindner keine Heimspiele. »Das ist mein zweiter Gewerkschaftstag«, sagt der FDP-Vorsitzende am Donnerstagabend im Hannover Congress Centrum. Eingeladen hat ihn die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Er sei auch schon mal bei der Bildungsgewerkschaft GEW gewesen, erzählt Lindner. »Aber ich glaube, dass ich mich hier politisch-inhaltlich von den Themen her noch mehr zu Hause fühle als dort.«

Die IG BCE hat den Kontakt mit der FDP nicht abgebrochen, als diese zwischenzeitlich nicht mehr im Bundestag vertreten war. Nun könnten diese Verbindungen von großer Bedeutung sein. Denn die Freien Demokraten werden, wenn sie die Verhandlungen mit Union und Grünen in den kommenden Wochen erfolgreich abschließen sollten, bald wieder in der Bundesregierung vertreten sein. Lindner wird dann mit großer Wahrscheinlichkeit einen Ministerposten übernehmen. Entsprechend freundlich wird der hohe Gast vom Vorsitzenden der IG BCE, Michael Vassiliadis, empfangen. Er interviewt Lindner auf der Bühne vor den rund 400 Delegierten und ist bereits dankbar, als der FDP-Chef ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft ablegt. Der Gewerkschaftsboss ist ein konservativer Sozialdemokrat. Mit Lindner versteht er sich offensichtlich besser als etwa mit Politikern der Linkspartei, die für ihn ein rotes Tuch sind.

Für Vassiliadis und andere Vorsitzende der DGB-Gewerkschaften ist eine Jamaika-Koalition aber alles andere als ein Wunschbündnis. Mit der Großen Koalition konnten sie einigermaßen gut leben, obwohl sich die Gewerkschafter etwa gewünscht hätten, dass die Regierung stärker gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse vorgegangen wäre. Andererseits bekamen die Koalitionäre von den Beschäftigtenvertretern großes Lob für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Kürzlich sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft, dass »die in vielen Bereichen positive Bilanz der Großen Koalition deutlich die Handschrift der SPD trug«. Hoffmann ist ebenso wie Vassiliadis selber Mitglied bei den Sozialdemokraten.

Ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen würde für die DGB-Gewerkschaften eine Reihe von Unwägbarkeiten bedeuten. Am Sonntag meldete DGB-Chef Hoffmann bei der Eröffnung des Kongresses der IG BCE, die mit rund 645 000 Mitgliedern die drittgrößte Einzelgewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund ist, erhebliche Zweifel an, dass Schwarz-Gelb-Grün den Interessen der Arbeitnehmer dienen werde.

Inhaltliche Differenzen mit der FDP werden bei der Tagung am Donnerstag deutlich. Auf der Bühne in Hannover bekräftigt Lindner, dass beim Thema Arbeitszeit mehr in den Betrieben entschieden werden sollte und weniger vom Gesetzgeber. Zudem kann der FDP-Vorsitzende in Werkverträgen, die aus Sicht der IG BCE ebenso wie die Leiharbeit zunehmend genutzt werden, um tarifliche und soziale Standards zu unterlaufen, gewisse Vorzüge sehen. Um seine These zu untermauern, erzählt Lindner von »hoch bezahlten Freelancern«, die an »IT-Projekten arbeiten«. Diese Menschen wollten keinen Anstellungsvertrag. Spätestens in diesem Moment dürften sich nicht wenige Delegierte bestätigt sehen. Eine Bekämpfung prekärer Beschäftigungsverhältnisse wird mit der FDP, die auf »Flexibilität« pocht, kaum möglich sein.

Etwas mehr Applaus erhält bei dem Gewerkschaftstag Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die CDU-Chefin hält am Donnerstagnachmittag eine Rede. Sie spricht sich für den »Erhalt der Sozialpartnerschaft« aus. »Deshalb werde ich alles dafür tun, die Tarifbindung in Deutschland wieder zu steigern und nicht noch weiter einzuschränken«, ergänzt die Kanzlerin.

Allerdings hat sich bereits ein Gesetz der Großen Koalition, mit dem Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die Tarifflucht von Unternehmen beenden wollte, als wirkungslos erwiesen. Denn darin wurde festgelegt, dass das Ministerium Tarifverträge nur für alle in der jeweiligen Branche verbindlich machen kann, wenn der sogenannte Tarifausschuss sich ebenfalls dafür ausspricht. Darin sitzen je drei Vertreter der Spitzenorganisationen der Unternehmer und der Beschäftigten. Die Unternehmer haben also ein Vetorecht. Dass sich ausgerechnet eine Jamaika-Koalition dafür einsetzen wird, Gesetze ohne solche Zusätze zu verabschieden, ist unwahrscheinlich.

Mit den Grünen können derzeit weder der DGB-Chef noch die großen Industriegewerkschaften IG Metall und IG BCE sonderlich viel anfangen. Die Partei wird in den Verhandlungen mit Union und FDP vor allem darauf pochen, dass diese ihr bei Ökologiethemen entgegenkommen. Dabei geht es hauptsächlich um den Ausstieg aus der Braunkohle sowie um das Ende des Verbrennungsmotors.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann ist grundsätzlich offen für Veränderungen hin zu einer umweltfreundlichen Mobilität. Von einem festen Datum, ab dem Verbrennungsmotoren verboten sind, hält er aber nichts. »Wir müssen technologieoffen bleiben. Nur aufs E-Auto zu setzen, ist Harakiri«, sagte Hofmann vor wenigen Wochen im Stuttgarter Wirtschaftspresse-Club. Die Grünen haben dagegen in ihr Programm einen klaren Zeitplan geschrieben. Ab dem Jahr 2030 sollen nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden.

Den Grünen fehle der Blick für die sozialen und wirtschaftlichen Folgen »ihres Feldzuges gegen die Braunkohle und den Verbrennungsmotor«, wetterte Reiner Hoffmann beim Kongress der IG BCE. Die Gewerkschaft vertritt auch die Interessen von Beschäftigten in den ostdeutschen Braunkohlerevieren, für die sie mehr Sicherheit fordert.

Der frühere Bundesumweltminister der Grünen, Jürgen Trittin, verteidigt am Donnerstag auf dem Gewerkschaftstag seine Abneigung gegenüber dem Kohlestrom. Zudem fordert er, dass »wir damit aufhören müssen, den Ausbau erneuerbarer Energien weiter zu bremsen. Das kostet nämlich Arbeitsplätze.« In der Autoindustrie hält Trittin nichts davon, »die Augen zu verschließen und zu hoffen, dass der Strukturwandel vorbeigeht«. Es gehe vielmehr darum, diesen Strukturwandel zu gestalten.

Noch ist nicht klar, ob und worauf sich die drei Parteien in den in der kommenden Woche beginnenden Gesprächen im Bund einigen werden. Einen Vorgeschmack auf die mögliche Jamaika-Koalition im Bund bekommt man aber mit Blick auf die Politik des Landes Schleswig-Holstein, das schon seit einigen Monaten von Schwarz-Gelb-Grün regiert wird.

Beschäftigte, die von niedrigen Löhnen leben müssen, haben im hohen Norden das Nachsehen. Denn die Kieler Koalition hat etwa beschlossen, den Landesmindestlohn, den die Vorgängerregierung aus SPD, Grünen und SSW eingeführt hat, bei 9,18 Euro einzufrieren und bis zum Jahr 2019 auslaufen zu lassen. Außerdem heißt es im Koalitionsvertrag, dass die Dokumentationspflichten zum Mindestlohngesetz »eine besondere Belastung des Mittelstandes« darstellen. Die drei Parteien versprechen, gemeinsam darauf hinzuwirken, diese Dokumentationspflichten »angemessen zu reduzieren«. Ein entsprechender Gesetzesantrag aus Schleswig-Holstein liegt mittlerweile beim Bundesrat vor.

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