Ein Joker gegen resistente Bakterien

In Deutschland bislang vernachlässigte Bakteriophagen-Forschung könnte Alternativen zu Antibiotika bieten

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Antibiotika werden zunehmend wirkungslos, Resistenzen entwickeln sich gegen immer mehr dieser Medikamente. Dringend wird nach Auswegen aus der medizinischen Misere gesucht. Ein sehr spezieller Ansatz exi-stiert schon fast 100 Jahre, allerdings nicht in Deutschland oder Westeuropa. Es geht um Bakteriophagen - das sind Viren, die Bakterien befallen und abtöten. Um mit den Forschungen voranzukommen und endlich von den Erfolgen speziell in Georgien zu lernen, organisierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim in der vergangenen Woche in Stuttgart das erste deutsche Bakteriophagen-Symposium, an dem auch Vertreter von Zulassungsbehörden und Pharmaunternehmen teilnahmen. Dabei wurde dann das Netzwerk »Nationales Forum Phagen« gegründet.

Schnupfen, Durchfall und Lungenentzündung - das dürften schon fast die leichteren Fälle für die Bakteriophagen sein. Für jedes Bakterium, das krank macht, gibt es passende Viren, die es zerstören können. Es müssen nur die richtigen gefunden werden, so der Mikrobiologe Wolfgang Beyer, der das Symposium leitete. Die speziellen Viren kommen nach heutigem Kenntnisstand unter anderem auf der Haut und im Darm vor, sie greifen aber keine anderen Zellen an, sondern ausschließlich Bakterien. Ein Zwischenschritt bei der therapeutischen Anwendung wären standardisierte Phagen-Mischungen, die es in Osteuropa schon rezeptfrei in Apotheken zu kaufen gibt. Eine aktuelle Studie in den Vereinigten Staaten zeigt, wie groß das Potential der Phagen ist. Hier wurden Patienten mit einem Phagen-Cocktail gegen Staphylococcus aureus behandelt. Das Bakterium ist einer der typischen, häufig resistenten Krankenhauskeime, die für geschwächte Menschen lebensbedrohlich werden können. Das Gewebe an den Zehen der Probanden zeigte bereits Wundbrand, war also schon am Absterben. Zwei Monate später waren die Wunden verheilt, Amputationen nicht nötig.

Das Problem für eine künftige Phagen-Therapie liegt in der Zulassung. Prinzipiell wären, wie bei jedem anderen Arzneimittel, teure und langwierige Studien notwendig. Gefordert wird dafür ein genau definiertes, identisches Ausgangsmaterial. Das ist bei den Phagen aber nicht möglich, weil sie spezifisch auf die Keime des einzelnen Patienten abgestimmt werden. Bei den Viren kommt hinzu, dass sie sich nicht nur vermehren, sondern auch verändern.

Geforscht wurde zu den Bakteriophagen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts am Pariser Institut Pasteur und ebenso in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Der Bakteriologe Georgi Eliava gilt als der eigentliche Pionier der Phagen-Forschung, das nach ihm benannte In-stitut in Tiflis existiert heute noch. Eliava gründete es zusammen mit dem kanadischen Mikrobiologen Félix Hubert d’Hérelle. Mit der Systemkonfrontation zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten kam auch die fast durchgängige Spaltung der Wissenschaftswelt. Der Siegeszug des Penizillin nach 1945 und der erfolgreiche Einsatz weiterer Antibiotika schienen die Phagen für den Westen schlicht überflüssig zu machen. Aktuelle hiesige Studien zu der Therapieform kamen nicht weit.

Immerhin gibt es heute am Leibniz-Institut in Braunschweig eine spezielle Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen, die auch Bakteriophagen erfasst, einen Teil auch in einer Phagen-Bank mit therapeutisch nutzbaren Viren. Bis jetzt sind hier Exemplare aufgenommen, die gegen Yersinien (Auslöser von Pest oder auch fieberhaften Darmentzündungen) oder Pseudomonaden vorgehen. Pseudomonaden sind für Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlich und befeuern bei diesen Wundinfektionen oder Lungenentzündungen. Eine spezialisierte ärztliche Phagen-Therapie gibt es zwar in Deutschland noch nicht, jedoch im polnischen Wroclaw, wo Ärzte nach ihren eigenen Angaben seit 1980 mehr als 1500 Patienten mit antibiotikaresistenten Keimen meist erfolgreich behandelten. In Georgien soll es aufgrund der erfolgreichen Phagen-Therapie keine Antibiotikaresistenzen geben.

Die Bakteriophagen können jedoch nicht nur in der Humanmedizin zum Einsatz kommen, sondern überall, wo es um schädliche Bakterien geht, also in Veterinärmedizin, Lebensmittelhygiene und Umweltsanierung. Die Forschung zu diesen Anwendungsbereichen will das »Nationale Forum Phagen« in Zukunft fördern.

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