Es gibt keine Liebe

Berliner Ensemble: Oliver Reese inszenierte »Die Wiedervereinigung der beiden Koreas« von Joël Pommerat

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Joël Pommerat auf der Brecht-Bühne - geht das? Ach stimmt, die ist ja keine solche mehr. Der große Dichter liegt gut einen Kilometer hinter seinem einstigen Theater begraben. Seine Erben haben lange Zeit die Friedenstaube von Picasso auf dem Vorhang aus Überzeugung nicht angerührt, bis auch die weg war.

Ab dieser Spielzeit unter Intendant Oliver Reese dürfen selbst Leute wie Joschka Fischer, grüner Außenminister zur Zeit des Jugoslawienkrieges 1999 und mit verantwortlich für die NATO-Bombardements auf Belgrad und weitere Städte, dort auftreten (mit Michel Friedman am 25. September).

Joël Pommerat und Brecht sind natürlich je eigene Welten. Der Franzose liebt die Psychologie wie deren Geschichten und besetzt sie mit Darstellern, die sich vorzugsweise gern selbst spielen. Die Geschichten, in diesem Fall geschöpft aus Liebesbeziehungen, können nicht diffizil genug sein. Brecht nutzte derlei, wenn nötig, als soziale Psychologie, er schaute lieber nach draußen in den kampfdurchtobten Zusammenhang der Individuen, als sich blödem Gezänk vor und hinter den Türen von Schlafzimmern auszusetzen.

Seine Schauspieler verkörpern das Chaos der Seelen nicht, sondern sie spielen Situationen und Haltungen durch. Als Individuum kannte Brecht Liebesbeziehungen noch und noch, eigene wie fremde. Auf der Bühne hatten sie nichts zu suchen. Mit »Baal«, dem provokanten, die Weibsbilder nur so wegwerfenden Jugendstück, hat er sich nicht identifiziert. Der Geschlechterkampf interessierte ihn insoweit, als darüber soziale Auskünfte zu erzielen waren. Etwas, das in einigen Szenen auch Pommerat verwirklicht.

»Die Wiedervereinigung der beiden Koreas«, uraufgeführt 2013 am Odéon - Théâtre de l’Europe in Paris, ist eine ältere Regiearbeit Reeses. Das Stück des international geschätzten französischen Autors, Schauspielers und Regisseurs inszenierte er schon für die Ruhrfestspiele 2015. Allseits gelobt wurde die Arbeit, als Inszenierung mit »Kultpotenzial« bezeichnet und mit ähnlich dummen Vokabeln besetzt. Jetzt kam es verändert als Premiere ans BE.

Mit den geografischen Koreas hat diese Szenenfolge über kuriose Liebesbeziehungen nichts zu tun. Der Titel steht metaphorisch für etwas, das lange getrennt war und sich nun wieder zusammenfügt zu einem Neuanfang. Ein Mann, träumend neben einer Frau, imaginiert sich dieses Wunschbild zurecht. Überraschend die erste Szene: Eine Frau mittleren Alters (Corinna Kirchhoff) gibt der jungen Reporterin am Parkettrand fast reglos Auskunft. Warum lasse sie sich von ihrem Manne scheiden, wo doch die Ehe schon lange währt und nichts Trennendes vorliegt? »Es gibt keine Liebe zwischen uns, hat es nie gegeben.«

Werden Sie einsam sein, nun, da die Kinder aus dem Haus sind? »Mir ist diese Einsamkeit lieber als das Fehlen von Liebe«, antwortet sie, nicht ein Fünkchen irritiert. Ihr Mann kümmere sich, er wolle die Ehe erhalten, aber es fehle die Liebe. Alles Weitere läuft auf diesen abgründigen Punkt hinaus. Die Frau ist fest entschlossen, kalt geht sie ab. Was dahinter ist, bleibt im Dunkeln.

An die 20 kleine Szenen hat das Stück des französischen Autors, Schauspielers und Regisseurs Joël Pommerat und an die 30 Rollen. Die Zäsuren füllen französischsprachige Chansons, komponiert von Jörg Gollasch und gesungen von Josefin Platt. Unregelmäßig gehen die Türen, zehn an der Zahl. Die sehen alle gleich aus, obwohl dahinter Verschiedenstes zu vermuten ist: Büro, Bordell und sonstige Absteigen, Hotel oder Standesamt. Auch klappen gelegentlich Wohn- , Schlaf- und Arztzimmer aus den Wänden (Bühne: Hansjörg Hartung), worin kleine Tumulte oder ein Schweigen der Liebe statthaben. Kommen und Gehen, Reden und Lauschen, Zanken und Streiten in immer neuen Situationen über drei Stunden weg. Dem mehr oder minder aufmerksam gefolgt, schleicht irgendwann Verdruss sich ein.

Wenige Szenen seien herausgehoben. Das Weib, verrückt nach dem Gegenüber, sieht sich gehörnt und will zurückhaben, was sie ihm geschenkt. Das meint weder Geld noch Sachen, sondern sie ruft: Mein Teil ist in dir, du trägst ihn herum, ich will ihn zurückhaben. Dieses Verlangen geht bis zum Exzess.

Genüsslich ausgesponnen ist die Szene »Hochzeit«. Arthur Schnitzlers »Reigen« steht hier Modell. Gleich fünf Schwestern, rosa-weiß herausgeputzt, fallen über den verdutzten Bräutigam her, weil nach und nach herauskommt, dass der mit jeder einzelnen etwas hatte. Gift und Galle spritzen nur so. Kleine, freche, abgründige, hämische Scherze und gespieltes Entsetzen kommen aus den Mündern. Die Hochzeit platzt natürlich.

Überzeugend auch die Szene mit der dicken, aufgedonnerten, armseligen Hure, die sich dem Arbeiter anbietet, dessen Taschen leer sind. Am Ende erlaubt sie eine Fünf-Euro-Nummer. Stark die Szene »Liebe« vor der Pause. Der Lehrer (Marc Oliver Schulze) kümmerte sich um den Sohn, aber die Eltern beschweren sich. Je mehr herauskommt, dass er sich kümmert - er redet sich gut meinend um Kopf und Kragen -, wird er immer verdächtiger, als würde er den Jungen mit ins Bett genommen haben. Schon droht das Elternpaar mit der Polizei und nimmt schließlich faschistoide Züge an.

Nicht minder enthüllend die Szene »Krieg«. Ein Riss geht durch die Familien. Der Sohn soll zu einem Einsatz entsendet werden. Der Vater artikuliert Stolz darüber, redet von großen Aufgaben. Das ganze Gegenteil die Mutter. Ihr steigt der Zorn ins Gesicht, als ihr Sohn vor ihr Meldung macht, und sie ballert ihm eine. Entsetzt geht sie ab. Dramolett, das die Tragödie der Jetztzeit aufreißt. Die Szene »Schwanger« sei nicht ausgelassen. Im Arztzimmer, hinten eine starre Dame in weißem Kittel, sitzt die debile Schwangere (Franziska Junge) und besteht darauf, sie wolle ihr Baby kriegen. Sie liebe ihren Freund, von dem es ist, und er liebe sie. Sie freue sich auf die Geburt, sagt sie ungelenk. Der durch dauernde Telefonanrufe genervte, selber irgendwie geschädigte Psychologe (Marc Oliver Schulze) sucht ihr das mit den üblichen behindertenfeindlichen Argumenten auszureden. Vergeblich. Die Schwangere bleibt standhaft. Andere Dialoge blieben blass.

Alle Schauspielerinnen und Schauspieler scheinen mit Lust bei der Sache. Ein teils amüsanter, zuweilen nachdenklicher, die Konvention allerdings kaum überschreitender Abend.

Nächste Vorstellungen: 22. Oktober, 2. Dezember

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