Wünsche an Jamaika
Sozialbündnis und Unternehmerverband legen steuerpolitische Forderungen an die Parteien vor
Berlin. Anlässlich der Sondierungsgespräche von Union, FDP und Grünen zu den Themen Haushalt, Finanzen und Steuern hat das Bündnis »Reichtum umverteilen - ein gerechtes Land für alle« einen steuerpolitischen Kurswechsel gefordert. Eine Neuausrichtung der Steuer- und Finanzpolitik sei zur solidarischen Finanzierung des Gemeinwesens und der Einhaltung sozialstaatlicher Verpflichtungen unumgänglich, heißt es in einem am Dienstag in Berlin veröffentlichen offenen Brief an die Parteivorsitzenden.
Die Bündnismitglieder fordern vor allem eine höhere Besteuerung sehr hoher Einkommen, von Vermögen und Erbschaften. Zudem soll Steuerbetrug schärfer geahndet werden. Das Geld soll unter anderem in die Infrastruktur fließen, in Bildungseinrichtungen, in das Gesundheitswesen und in die Pflege. Zudem soll Armut stärker bekämpft und die Integration in den Arbeitsmarkt gefördert werden.
»Die soziale Handlungsfähigkeit des Staates entscheidet sich letztlich auf der Einnahmenseite«, heißt es in dem Appell an die Parteien. Wenn der Staat seinen sozialstaatlichen Verpflichtungen nachkommen solle, brauche er zusätzliche Einnahmen. Dem Bündnis gehören mehr als 30 Organisationen an. Dazu gehören Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften sowie Umwelt- und Entwicklungsorganisationen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie forderte hingegen vor den Jamaika-Sondierungen »absoluten Vorrang für Investitionen«. Es müsse der künftigen Bundesregierung darum gehen, »Wachstum und Innovation zu befördern, anstatt sich wie bisher auf die Vermeidung von Steuerschlupflöchern und sozialpolitische Umverteilung zu konzentrieren«, erklärte der Präsident des Bundesverbands BDI, Dieter Kempf. Bei steigenden Energiekosten und Bürokratie müssten die Unternehmen entlastet werden, sagte Kempf. Geld solle unter anderem in Straßen, digitale Infrastruktur und Bildung fließen.
Im Wahlkampf hatten Union, FDP und Grüne Steuersenkungen versprochen. Gleichzeitig hatte etwa die Union jegliche Steuererhöhung - und damit eine Umverteilung von oben nach unten - abgelehnt. Und sie hatte betont, keine neuen Schulden aufnehmen zu wollen. Die Grünen sehen das etwas anders. Jürgen Trittin, der für die Grünen das Thema Finanzen koordiniert, erklärte am Dienstag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: »Niemandem nützt eine schwarze Null bei nicht mehr bezahlbarem Wohnraum oder bei Missständen im Pflegebereich.«
Auch die LINKE kritisierte, dem Vermeiden neuer Schulden die höchste Priorität einzuräumen. »Wem die Schuldenbremse und die steuerliche Entlastung der Reichen wichtiger sind als der Kampf gegen Kinderarmut, der versündigt sich an unserer Zukunft«, sagte Parteichefin Katja Kipping.
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung erklärte, trotz der scheinbar guten Haushaltslage fehle der Spielraum für Steuersenkungen. Der erwartete Überschuss von rund 35 Milliarden Euro in den öffentlichen Haushalten sei in großen Teilen der guten Konjunktur und Einmaleffekten geschuldet. Daher könnten die öffentlichen Haushalte schnell wieder ins Minus rutschen, wenn die kommenden Regierungsparteien größere Steuersenkungen beschlössen.
Die CDU will sich einem Zeitungsbericht zufolge auch von der Mietpreisbremse verabschieden. Ziel sei es, sich bei Gesprächen über eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP auf ein Auslaufen der Mietpreisbremse im Jahr 2020 zu verständigen, berichten die »Stuttgarter Nachrichten« unter Berufung auf Unionskreise. Ein Vorstoß zur raschen Abschaffung sei aber unwahrscheinlich. »Ich gehe von einer stillen Beerdigung der Mietpreisbremse aus«, sagte der Nürtinger CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich der Zeitung.
Die Mietpreisbremse soll helfen, sprunghafte Mieterhöhungen zu vermeiden. Dazu dürfen die Preise bei Wiedervermietungen in ausgewiesenen Gegenden nur noch maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Die Bundesländer legen fest, wo die Mietpreisbremse gilt. Die Mietpreisbremse gilt in vielen Gegenden aber als gescheitert, da die Mieten wegen Ausnahmeregelungen und juristischer Schlupflöcher weiter steigen. Es gibt deswegen auch Forderungen nach einer Verschärfung. Agenturen/nd
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