»Weil es ungemütlich wird«

Matheus Hagedorny über Pseudorevolten, Schönwettergenossen und die neuen Rechten

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Am kommenden Wochenende veranstalten die »Salonkommunisten« einen Vortragsabend zur wachsenden Präsenz der sogenannten neuen Rechten. Wer sind denn die »Salonkommunisten«? Und was wird das zentrale Thema des Abends sein?

Die Salonkommunisten haben sich ganz klassisch im Internet kennengelernt. Die Idee zu dieser Zusammenkunft hat sich aus der Beobachtung dreier linker Tendenzen angesichts neurechter Bewegungen gebildet. Erstens hat sich die ideologische Formel, der Standort Deutschland habe die Krise gemeistert, selbst unter vielen Linken eingegraben. Davon zeugt das Desinteresse an Arbeitskämpfen bei gleichzeitiger Vorliebe für Pseudorevolten wie beim G20-Gipfel in Hamburg. Zweitens liefern jene Linken Anlass für den zweiten Vortrag, die von Klassenkampf durchaus noch etwas wissen, sich aber den Zulauf zu autoritären Heilsbringern nur über objektives Elend oder Medienmanipulation erklären wollen. Den dritten Teil, zur Kritik der Ideologiekritik, veranlassen jene, die von der offensichtlich notwendigen Kritik linker Ressentiments gegen Israel und der ebenso erforderlichen Kritik des Islam zur Nachsicht gegenüber oder gar Apologie von Rechtspopulisten fortgeschritten sind. Wir denken, man muss sich von allen drei Tendenzen abstoßen, um nicht irre zu werden. Dazu soll dieser Abend ein bescheidener Beitrag sein.

Zur Person
Matheus Hagedorny, Jahrgang 1986, studierte Philosophie, Neuere Geschichte sowie Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bonn. Er war zuletzt Lehrbeauftragter am Otto-Suhr- Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin und schrieb für die linke Wochenzeitung »Jungle World« über die sogenannte rechtsintellektuelle Szene.
Gemeinsam mit Konstantin Bethschneider und den nd-Autoren Arthur Buckow und Felix Bartels hat er den Vortragsabend »Bitte oszillieren Sie!« organisiert, der am Freitag in Berlin stattfindet. Mit Matheus Hagedorny sprach nd-Redakteur Thomas Blum.

Was veranlasst Sie, einen solchen Vortragsabend zu veranstalten? An wen richten Sie sich damit und was erwarten Sie sich?

Es wird politisch ungemütlich, und viele Genossen, die bei schönerem Wetter einen zauberhaften Humanismus verfochten haben, haben sich wieder nach Besitzstand und Herkunftsmilieu gruppiert, als wären Jahre bis Jahrzehnte ihrer politischen Bildung wie weggeblasen. Deutschland ist mental schon ein instabiles Land, und so auch seine Linken. Dabei folgt nach dem Niedergang der Sozialdemokratie mit reichlicher Verzögerung bloß das, was schon lange vorhergesagt war: die Renaissance der Rechten. Um auf Ihre Frage zu antworten: Wir richten uns an die Linken, die sich ein Denken unabhängig von Legislaturperioden erlauben. Was ich erwarte? Gesittete Reflexionen. Wir werden sehen, wie weit das führt.

Sie schreiben in Ihrer Ankündigung der Veranstaltung unter anderem: »Klassische politische Zuordnungen wie rechts, links, liberal, konservativ« seien heute »unzureichend«? Was ist damit gemeint? Ist es nicht bisher ein Konzept der Rechten, Zuordnungen wie »links« und »rechts« für angeblich unzeitgemäß zu erklären?

Die Zuordnungen sind nicht unzeitgemäß, aber unzureichend. Wenn die einen Sozialdemokraten gegen die materiellen Interessen von Lohnabhängigen und Arbeitslosen arbeiten, andere Sozialdemokratinnen das Asylrecht zum Gnadenrecht herunterbringen und die Rechten die Kritik am Islam aufs Infamste instrumentalisieren können, weil die Linke sie meidet wie der Teufel das Weihwasser, ist einiges ins Rutschen geraten. Der entscheidende Unterschied der beiden Diagnosen besteht darin, dass wir bestehende Differenzen pointieren möchten. Die Rechten schaffen in ihrem bewusstlosen Versuch, Unterschiede einzuebnen, doch immer nur neue, sofern sie den Widerspruch mitsamt seiner Urheber nicht gleich zum Schweigen bringen wollen.

Was sind die Gründe dafür, dass viele »Verunsicherte« und von Abstiegsangst Besessene nach unten treten, nach den noch Schwächeren, und rechte, nationalistische Parteien wählen, die ja am Ende die Situation der Betroffenen noch verschlimmern werden?

Für die einen sind arme Migranten eine Konkurrenz, die sie im Kampf um miese Jobs und Wohnungen gnadenlos wegbeißen möchten, für die anderen die Verkörperung dessen, was sie am meisten fürchten: Einkommen ohne Mühe. Bei der Frage, was an dieser Gesellschaft falsch ist, kommen die Wähler und Propagandisten immer nur zur Frage: Wer? Die Frage, was es ist, das sie unglücklich gemacht hat, bevor die Flüchtlinge kamen, stellen sie sich nicht.

Es wird also viel um die im Aufstieg begriffene sogenannte neue Rechte gehen. Warum setzen bisher jene, die man als die Reste der gesellschaftlichen Linken bezeichnen könnte, diesem Aufstieg kaum etwas entgegen?

Von der Linkspartei einer Wagenknecht fangen wir gar nicht erst an. Die gesellschaftliche Linke reagiert auf den Aufstieg der neuen Rechten wahlweise mit schrillem antifaschistischen Pathos, sozialpädagogischer Nachsicht für autoritäre Charaktere oder der Frage, ob die AfD nicht doch ein nützliches Brecheisen für EU-Skepsis, Kritik des Islam und die Solidarität mit Israel ist. Mit allen drei Richtungen scheint mir nicht mehr gewonnen als Aktionismus, Regression und Zynismus. So begegnet man den neuen Rechten am besten mit dem, was man als Salonkommunisten nun einmal kann: diskutieren.

Kommt irgendwann der Kommunismus oder kommt die Barbarei?

Ich bleibe vorsichtig optimistisch und sage: beides.

»Bitte oszillieren Sie!« Neurechte Morgenröte und ideologiekritische Abenddämmerung. Ein Vortragsabend der Salonkommunisten. 27.10., 19 Uhr, Humboldt-Universität zu Berlin, Hörsaal 2097. Programm unter: www.salonkommunisten.com.

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