• Politik
  • Pressefreiheit in Katalonien

»Die rote Linie wird überschritten«

Spanische Regierung will TV-Sender in Katalonien übernehmen

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Lluís Caelles steht dem Rat für Nachrichtensendungen im katalanischen Regionalfernsehen TV3 vor. Der Kontrollrat ist unabhängig von Parteien oder Gewerkschaften und sorgt für die Einhaltung journalistischer Grundsätze. Die spanische Regierung hat angekündigt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Katalonien unter Kontrolle Madrids zu stellen.

Was bedeutet der Paragraf 155 für den Sender TV3?
TV3 blickt auf eine 34-jährige Geschichte und wurde einst einstimmig vom katalanischen Parlament geschaffen. Wegen der Auflehnung Kataloniens soll es nun auch hier eine massive Intervention geben. Spätestens damit wird die rote Linie überschritten.

Wie soll die Kontrolle aussehen?
Das weiß niemand. Aber schauen wir auf RTVE: Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Spanien kontrolliert die Regierung von Mariano Rajoy schon. Es ist sicher kein Modell für Pluralität, Professionalität und Demokratie. Journalisten und der RTVE-Kontrollrat beschweren sich ständig über Einflussnahme. In der Rundfunkunion in Genf, wo verschiedene Sender kooperieren, wurde RTVE schon aus dem Nachrichtenkomitee geworfen, weil die Mindestanforderungen für Nachrichtenqualität nicht erfüllt werden. Die dafür Verantwortlichen sagen jetzt uns, wir seien parteiisch und unprofessionell.

Wie sehen Sie als Kontrolleur die Sendungen auf TV3?
Sicher machen wir nicht alles gut und richtig. Die Nachrichten sind ausgeglichen, bei Debatten sehe ich auch Unausgewogenheit. Verglichen aber mit anderen in Spanien, stehen wir gut da und es gibt keine Gründe zur Intervention. TV3 wird dafür verantwortlich gemacht, dass viele Katalanen Spanien verlassen wollen. Wie soll ein Medium, das einen Anteil von 11 Prozent hat, dafür verantwortlich sein? Die vier großen spanischen Sender haben eine Zuschauerquote von 80 Prozent.

Was erwarten Sie ab Freitag, wenn der spanische Senat die geplanten Maßnahmen durchwinkt?
Besonders ist am Paragrafen 155, dass er nie angewendet wurde und allgemein formuliert ist. Es ist also unklar, ob eine »Granate« oder eine »Atombombe« gezündet wird.

Die Verfassung soll doch auch die Pressefreiheit schützen. Kollidieren die angestrebten Maßnahmen nicht mit anderen Verfassungsartikeln?
Der Paragraf 155 kollidiert mit den demokratischen Grundsätzen und die geplanten Maßnahmen sind skandalös. Selbst wenn später vor nationalen oder internationalen Gerichten Recht bekommt, ist das Medium ruiniert.

Wie reagieren Kollegen in Europa?
Fantastisch. Wir bekommen viel Solidarität. Allen ist klar, dass hier Grenzen überschritten werden. Als ehemaliger Brüssel-Korrespondent hatte ich gedacht, die EU werde Spanien zur Räson rufen. Aber es passiert nichts. Ich denke, man schlägt einen weiteren Nagel in den eigenen Sarg. Ich verstehe, dass Staaten die Entstehung neuer Staaten nicht wollen. Man muss aber, das ist meine persönliche Meinung, eine saubere Lösung finden. Ein Referendum wie in Schottland wäre das, was hier eine große Mehrheit fordert. Doch die spanische Regierung nimmt die Haltung ein: Es wird nicht mit Katalonien verhandelt. Man verhandelte mit der baskischen Untergrundorganisation ETA, aber nicht mit friedlichen Menschen. Es sind bisher keine Journalisten inhaftiert, aber schon zwei Aktivisten, denen wegen Aufrufen zu Demonstrationen Aufruhr vorgeworfen wird.

Wie sehen die Reaktionen von spanischen Kollegen aus?
Wir bekommen viel Unterstützung auch von dort. Allerdings fallen auch Lücken auf. Aber der Druck in Spanien ist enorm groß, da das Narrativ lautet, dass das Land unteilbar sei.

Welche Reaktionen sind auf die Intervention geplant? Streik?
Zunächst wissen wir nicht, was passiert. Wird Carles Puigdemont die Unabhängigkeit erklären? Dann könnte unser Signal gekappt werden. Oder geht er einen Schritt zurück und setzt Neuwahlen an? Wir haben noch nichts beschlossen. Ein isolierter Streik von uns hätte das Problem, dass die Leute auf andere Kanäle umschalten. Debattiert wird auch darüber, sich Anordnungen einer neuen Sendeleitung zu widersetzen. Ich gehe davon aus, dass das Ziel der spanischen Regierung ist, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Katalonien zu schleifen, ihn ökonomisch auszutrocknen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.