Wie viel Islam kann der Feminismus?

Auf einer Veranstaltung diskutierten Muslima über Möglichkeiten der Frauenbefreiung in Zeiten von AfD und Islamhass

  • Anne-Beatrice Clasmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Das »Islam-Bashing« der AfD ärgert viele Muslime in Deutschland. Die Feministinnen unter ihnen empfinden die Verbalattacken der Rechtspopulisten als doppelt störend. Sie sagen: Die AfD behindert mit ihren ständigen Angriffen auf unsere Religion die innerislamische Debatte über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Aktivistinnen in Verbänden und Gemeinden würden inzwischen häufig mit dem Argument mundtot gemacht, ihre Kritik nutze der AfD.

»Die religions- und islamkritische öffentliche Atmosphäre in Deutschland erschwert es muslimischen Feministinnen, eine echte Patriarchatskritik nach innen zu formulieren«, klagt die Islamwissenschaftlerin Nimet Seker. Sie sagt: Wer Sexismus und Frauenfeindlichkeit thematisiere, gelte in dem aktuellen aufgeheizten Klima, in dem Frauen mit Kopftuch ausgegrenzt würden, »schnell als Verräter«.

Die Forscherin von der Universität Frankfurt trägt auch selbst Kopftuch. Sie sagt, es gehe ihr auf die Nerven, »dass sich in Debatten über den Islam in Deutschland immer alles direkt oder indirekt um den Körper der muslimischen Frau« drehe - und den Grad seiner Verhüllung. Einer Frau, die das Kopftuch ablege, werde von anderen Muslime oft unterstellt, sie habe sich vom Glauben abgewandt. Die nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft gehe automatisch davon aus, diese Frau habe sich von einem »rückständischen Islam« befreit.

Reyhan Sahin von der Universität Hamburg hat sich in ihrer Forschung mit der »Bedeutung des muslimischen Kopftuchs« und der »religiösen Selbstdarstellung junger Musliminnen in sozialen Netzwerken« befasst. Dabei stellte sie fest, dass das Kopftuch einigen Frauen als »Gruppenidentifikationsmerkmal« diene, anderen als Mittel der »Selbstdisziplinierung«. Gerade bei jüngeren Frauen sei die Kopfbedeckung nur selten als »Unterwerfungsgeste an patriarchalisch-muslimische Strukturen« zu verstehen. In Kombination mit auffällig modischer Kleidung könne es auch ein »muslimisch-feministisches Rebellionszeichen« sein.

Sahin kritisiert nicht-muslimische deutsche Feministinnen, die unter jedem Kopftuch eine unterdrückte Frau vermuten. Doch sie hält auch dagegen, wenn konservative Muslime leugnen, dass diese Frage überhaupt eine politische Dimension haben kann. Sahin erklärt: »Die Debatte wurde so geführt, dass das Kopftuch nur entpolitisiert wurde, schöngeredet wurde, dass diese verschiedenen Bedeutungsvarianten gar nicht richtig ausdifferenziert wurden.« Bei einer Veranstaltung der Jungen Islam Konferenz in Berlin fragte Sahin kürzlich anklagend: »Bietet das keine Vorlage für Rechtspopulismus?«

Sahin (37) trägt die Fingernägel lang und bunt. Sie wehrt sich als Wissenschaftlerin und Künstlerin gegen Klischees und »Fremdzuschreibungen«. Sahin sagt: »Ich bezeichne mich nicht als Feministin, ich bin eine bitch«. In der Hip-Hop-Szene ist die promovierte Sprachwissenschaftlerin unter dem Namen »Lady Bitch Ray« bekannt. Mit pornografischen Texten und dem Refrain »Deutscher Rap, du bist krank« sorgte sie früher für Schlagzeilen. Doch nicht nur die sexistischen Texte vieler männlicher Rapper gehen ihr gegen den Strich. Sahin ärgert sich auch über die »patriarchalischen Strukturen« der deutschen Islam-Verbände.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, will sich diesen Schuh nicht anziehen. Er sagt, für ihn sei der Begriff »Feminismus« positiv besetzt. Für die Frauen, die in den Islam-Verbänden aktiv seien, gelte: »Gemessen an dem, was die Feministinnen als Ziele ausgeben, gehören sie mit zur Spitze.« Dass ein Teil der deutschen Feministinnen das Kopftuch ausschließlich als »Zeichen der Unterwerfung« interpretiere, sei zwar bedauerlich. Seine wichtigsten Gegenspieler sieht Mazyek aber woanders. Er sagt: »Die härtesten Gegner sind diejenigen, die auf Basis des Islamhasses eine andere Republik schaffen wollen.«

Wie sich die AfD die »Befreiung« der muslimischen Frau vorstellt, hat im Bundestagswahlkampf das Neu-Parteimitglied Leyla Bilge vorgeführt. Bei Veranstaltungen mit Spitzenkandidat Alexander Gauland und anderen AfD-lern lieferte die Deutsche mit kurdischen Wurzeln eine schrille Performance: Mit langem Gewand und schwarzem Gesichtsschleier kommt sie auf die Bühne. Dann entschleiert sie sich. Zum Schluss steht sie in einem engen schwarz-rot-goldenen Kleid da.

Auch bei einer Kundgebung des islamfeindlichen Pegida-Bündnisses in Dresden hat Bilge ihren Schleier-Trick schon vollführt - und wurde dafür begeistert gefeiert. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.