Designer-Bakterien düngen mit

Synthetische Biologie soll die Bindung von Stickstoff aus der Luft auch für Pflanzen zugänglich machen, bei denen das von Natur aus nicht funktioniert. Von Bernd Schröder

  • Bernd Schröder
  • Lesedauer: 5 Min.

Die moderne Stickstoffdüngung übt sich im Spagat: Sie soll einerseits die Pflanzen kosteneffizient mit Nährstoffen versorgen, ohne dabei andererseits Umweltschäden durch Düngemittelausschwemmungen zu provozieren. Die künstliche Düngung mit mineralischen Stickstoffdüngern gilt als wesentliche Quelle der steigenden Nitratbelastung des Grundwassers. Außerdem ist ihre Herstellung energieintensiv: Drei Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen werden heute der Produktion von Stickstoffdüngemitteln zugerechnet.

Diesen Problemen will ein Mitte September gegründetes Gemeinschaftsunternehmen des deutschen Agrarchemiekonzerns Bayer und des US-Unternehmens Ginkgo Bioworks mit Hilfe der synthetischen Biologie zu Leibe rücken. Maßgeschneiderte Bodenbakterien sollen Pflanzen, die selber nicht dazu in der Lage sind, befähigen, ihre eigene Stickstoffdünger-Produktion zu etablieren. Mittel der Wahl: Knöllchenbakterien im Wurzelreich, die Stickstoff aus der Luft fixieren und in geeigneter Form an ihre Wirtspflanzen weiterreichen können. Doch Nutzpflanzen wie Mais, Weizen und Reis etwa sind für eine solche Symbiose nicht geeignet. Genau da soll das noch namenlose Start-up-Unternehmen Abhilfe schaffen. Die Bestrebungen sind Teil neuerer landwirtschaftlicher Forschungen, in deren Zentrum die Möglichkeiten von in Pflanzen und im Boden lebenden Mikroorganismen stehen. So sollen etwa die Erträge erhöht werden, bei einer gleichzeitigen Verminderung des Düngemittelaufwands. Im Erfolgsfalle würde das weltweite Geschäft mit Stickstoffdüngern auf den Kopf gestellt, das einen Umfang von 80 Milliarden US-Dollar jährlich ausmacht.

Die auf Naturbeobachtung basierende Anwendung der Stickstofffixierung zur Bodendüngung in der Landwirtschaft ist schon lange bekannt. So können Erbsen, Erdnüsse, Lupinen, Klee und Soja sowie eine Reihe weiterer Pflanzen Vorteile aus einer symbiotischen Beziehung mit bestimmten im Boden und im Pflanzengewebe lebenden Mikroorganismen erzielen. Doch erst die Agrarchemiker Hermann Hellriegel und Hermann Wilfarth entdeckten 1886 in Bernburg, wieso das so ist. Knöllchenbakterien an den Wurzeln von Hülsenfrüchtlern besitzen die Fähigkeit, freien Luftstickstoff zu binden, so dass er als Pflanzennährstoff verfügbar ist. Diese Entdeckung gilt als Sternstunde in der Chemie der Landwirtschaft - mit ihr hatten die lange beobachteten Stickstoffgewinne beim Leguminosenanbau endlich ihre Erklärung.

Der Mensch versucht seit langem, der Natur ihr Geheimnis für den Kunstgriff der Verwandlung von Luftstickstoff in Ammoniak zu entreißen und in ein praktikables Verfahren umzumünzen. Seine bisherige Lösung, die großindustrielle Ammoniaksynthese nach dem Haber-Bosch-Prozess, bedient heute fast den gesamten globalen Ammoniakbedarf, doch sie hat nicht die Eleganz ihres Ebenbildes aus der Natur: Das Verfahren arbeitet bei geradezu lebensfeindlichen Bedingungen, nämlich einem Druck von ca. 300 bar und einer Temperatur von 500° C.

Mikroorganismen machen den Luftstickstoff bei Zimmertemperatur und Normaldruck nutzbar. Sie bringen die für die Stickstofffixierung nötigen Enzyme mit. Am bekanntesten sind die symbiotisch mit höheren Pflanzen zusammenlebenden Mikroorganismen aus der Bakteriengruppe der Rhizobien, die in Leguminosen die bekannten Wurzelknöllchen bilden, oder Frankia-alni-Bakterien, die in den Wurzeln von beispielsweise Erle und Sanddorn die gleiche Funktion haben. Solche Symbionten binden schätzungsweise 50 bis 150 Kilogramm Luftstickstoff pro Hektar und Jahr. Frei lebende Stickstofffixierer wie Azotobacter oder Cyanobakterien schaffen zwischen einem und fünf Kilo Stickstoff.

Doch nicht alle Nutzpflanzen können eine Symbiose mit stickstofffixierenden Mikroorganismen eingehen. Sie sind für die Symbionten keine guten Gastgeber. Doch sie könnten künftig dazu gemacht werden - mit Hilfe von Stickstoff produzierenden Mikroben aus dem Labor. Ob diese Art von Starthilfe überhaupt funktioniert, ist noch unklar. Die Beantwortung dieser Frage gilt als eine der größten Herausforderungen des Vorhabens.

In der Erkundungsphase des Projekts durchsuchen Bayer-Wissenschaftler die Mikroben-Bibliothek nach passenden Kandidaten. Ziel: die Zusammenstellung einer abwechslungsreichen Gruppe von Stickstofffixierern, die anschließend bei Ginkgo Bioworks sequenziert werden. Die Wissenschaftler versprechen sich Auskünfte darüber, welche Gene für die Stickstoffbindung unerlässlich sind. Diese Information wiederum soll in das Design und die Synthese maßgeschneiderter DNA für neue Mikroorganismen fließen.

Denn die Stickstofffixierung ist ein komplizierter Prozess. Mindestens 20 Gene sind direkt an der Kodierung der Proteine beteiligt, die für die Umwandlung von Stickstoff in Ammoniak sorgen. Bisher ist so gut wie nichts über das Wechselspiel von Absonderungen keimender Saaten mit dem Boden bekannt, schon gar nicht, wenn sie zusätzlich mit Mikroben besiedelt sind. Denn die synthetisch erzeugten Zellen sollen dem Saatgut als Ummantelung mitgegeben werden. Eine Schwierigkeit: Die Beschichtung muss in der Lage sein, lange Zeit ohne Wasser auszukommen. Außerdem muss sie bei Kontakt mit Feuchtigkeit sofort aktivierbar sein. Die Mikroben müssen sich außerdem leicht in Petri-Schalen vermehren lassen - was bei vielen wild vorkommenden Stickstofffixierern nicht geht. Schon innerhalb der nächsten fünf Jahre sollen erste Saatgutproben mit Stickstofffixierern beschichtet werden. Wie die modifizierten Mikroorganismen reguliert werden, ist bisher jedoch völlig offen.

In Europa ist das Thema neuer, auf synthetischer Biologie beruhender Technologien Gegenstand anhaltender Debatten. Denn das absichtliche und nicht autorisierte Ausbringen von Lebewesen, die der EU-Gesetzgebung für gentechnisch veränderte Organismen unterliegen, ist illegal. Seit einiger Zeit wird eine Stellungnahme der EU-Kommission zum rechtlichen Status der neuen Technologien erwartet. Interessenverbände fordern eine Überarbeitung der dafür zuständigen Gesetzgebung in Europa, die sie angesichts des Charakters von Genome Editing als nicht mehr zeitgemäß befinden.

Die Forschungsarbeiten werden in Ginkgos Heimatstadt Boston und in Bayers Pflanzenbiologie-Forschungszentrum im kalifornischen West Sacramento durchgeführt. Bei Ginkgo Bioworks handelt es sich um einen Start-up, bei dem Genomforschung, maschinelle Lernverfahren und Automatisierung kombiniert werden - nach eigenen Angaben ist das Unternehmen der größte Verbraucher synthetischer DNA auf dem Planeten. Ginkgo (»The organism company«) hat 2015 rund 60 Prozent der weltweit produzierten synthetischen DNA gekauft. Die rasante Entwicklung auf dem Gebiet lässt die Preise von Roh-DNA immer weiter fallen, so dass das Konstruieren von patentierbaren Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen machbarer wird. Ginkgo war 2008 von Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology gegründet worden, erwartete Einnahmen 2017: 20 Millionen US-Dollar.

Bayer wiederum will über die Zusammenarbeit mit Ginkgo ein Unternehmen platzieren, das führend bei der Entwicklung transformativer, auf synthetischer Biologie basierender Landwirtschaftserzeugnisse wird. Das Projekt vereint Ginkgos Vorreiterrolle in der synthetischen Biologie mit Bayers Expertise in der Landwirtschaft und bei mikrobiellen Produkten.

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