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Hilfe für die Rote Hilfe
Bremer Verfassungsschutz muss nach Klage seinen Bericht aus dem Jahr 2016 an einer heiklen Stelle schwärzen
Wer auf die Website des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz schaut, gewinnt nicht unbedingt den Eindruck, die Behörde würde den sogenannten Linksextremismus als besonders heikles Problem einstufen. Auf der Startseite findet sich der umstrittene Begriff überhaupt nicht, erst in einem Glossar definiert die Sicherheitsbehörde, was sie darunter versteht. So gilt als linksextrem, wer sich etwa »zum Marxismus-Leninismus als ‘wissenschaftliche’ Anleitung zum Handeln« bekennt, wahlweise die Einführung der »Diktatur des Proletariats« oder einer »herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft« fordert. Soweit, so unkonkret.
Wirklich spannend ist dagegen ein Blick in den Menüpunkt, den der Bremer Verfassungsschutz (VS) unter »Öffentlichkeitsarbeit« versteht. Hier lassen sich die jährlichen Berichte der Behörde abrufen – oder besser gesagt, sie sollten hier vollständig zu finden sein. Denn ausgerechnet der aktuelle Bericht für das Jahr 2016 ist derzeit (Stand: 08.11.2017) nicht abrufbar. Und dafür gibt es einen guten Grund.
Die Behörde hat aus ihrer Perspektive eine schmerzhafte Klatsche kassiert. Das Bremer Verwaltungsgericht untersagte den Verfasssungsschützern Ende Oktober per einstweiliger Anordnung, den linken Solidaritäts- und Schutzverein Rote Hilfe e.V. als »gewaltorientierte Gruppierung« zu bezeichnen. In der derzeit zulässigen Fassung heißt es nun: »Die Rechts- und Hafthilfeorganisation ‚Rote Hilfe e.V.‘ (RH) ist eine linksextremistische Gruppierung, die ausschließlich im Bereich der ‚Antirepression‘ tätig ist.«
Kurz zusammengefasst erklärte das Gericht, der Verfassungsschutz habe keinerlei Belege für seine Behauptung angeführt, warum es sich bei der Roten Hilfe um eine »gewaltorientierte Gruppierung« handeln soll. Der Originalwortlaut liest sich wie eine Ohrfeige: »Aus dem Verfassungsschutzbericht geht nicht einmal ansatzweise hervor, aufgrund welcher tatsächlichen Anhaltspunkte der Antragsteller der ‘gewaltorientierten’ linksextremistischen Szene zuzuordnen wäre«.
Ein abschließendes Urteil ist in der Frage allerdings noch nicht gesprochen, die gerichtliche Anordnung gilt zunächst für drei Monate. Erst in einem Hauptklageverfahren werde geklärt, ob die Formulierung dauerhaft aus dem Verfassungsschutzbericht entfernt werden muss.
Inzwischen hat sich die Bremer LINKE in den Fall eingeschaltet. Auch ihr ist aufgefallen, dass im aktuellen VS-Bericht gegenüber dem Vorjahr eine »deutlich verschärfte Einschätzung linker Gruppierungen« vorgenommen werde, wie es in einer Kleinen Anfrage der Bremer Bürgerschaftsabgeordneten Kristina Vogt heißt. Von der Zuschreibung »gewaltorieniert« ist längst nicht nur die Rote Hilfe betroffen. Auch die Ortsgruppe der Interventionistischen Linken (IL) muss sich mit dem Vorwurf der Gewalttätigkeit auseinandersetzen. Im VS-Bericht 2015 war die Zuschreibung für beide Organisationen noch nicht getroffen worden.
Doch Vogt ist noch etwas anderes aufgefallen: Im jährlichen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden beide Vereinigungen nicht als »gewaltorientiert« bezeichnet. Warum kommt die Landesbehörde also zu einem anderen Urteil? Die LINKEN-Politikerin will es nun ganz genau wissen und fragt den Bremer Senat unter anderem, welche »gewalttätigen Aktivitäten der Roten Hilfe Bremen« für das Jahr 2016 konkret bekannt seien. Selbiges will Vogt auch im Fall der IL wissen. In dem Zusammenhang sei auch wichtig zu klären, welche Kriterien eine Organisation überhaupt erfüllen müsse, um als »gewaltorientiert« eingestuft zu werden.
Dass die Bremer Verfassungsschützer es mit der konkreten Sachlage offenbar nicht so genau nehmen, soll laut Vogt die Einordnung eines Vorfalls zeigen, der im VS-Bericht 2015 aufgeführt ist. Dabei geht es um einen Fall von Brandstiftung auf dem Gelände des Polizeireviers Bürgerpark, bei dem sechs Fahrzeuge in Flammen aufgingen. Im VS-Bericht wird der Brand im Kapitel über »Militante Aktionen« der linken Szene abgehandelt. Obwohl die Verfassungsschützer selbst zugeben, dass eine »Taterklärung zum Anschlag« nicht vorliege, wird ein Zusammenhang zur linken Szene angedeutet. Einzig aufgeführter, scheinbarer Beleg: Auf der linksradikalen Internetplattform »linksunten.indymedia« veröffentlichte Zeitungsberichte. Vogt weist in ihrer Anfrage allerdings daraufhin hin, dass es die Polizei selbst war, die in einer Sitzung der Deputation des Innensenators im Januar 2016 erklärte, dass die Brandstiftung wohl keinen politisch motivierten Hintergrund hatte.
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