Idylle und Irrsinn

Im Kino: »Suburbicon« von George Clooney

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist so löblich wie gefährlich, aktuelle politische Anliegen in ein Kunstwerk zu integrieren. Löblich, weil dadurch etwa die großen Budgets von Hollywoodfilmen genutzt werden können, um eine kritische oder humanistische Botschaft sehr breit zu streuen. Gefährlich ist es, weil jede Aktualität die Zeitlosigkeit des Kunstwerks einschränkt und weil das politische Anliegen als Moralpredigt empfunden werden kann und sich im schlimmsten Fall nicht mit dem Werk vereinigt, sondern als anmaßender Zeigefinger daneben oder gar im Wege steht. Manchmal ist also der Film ohne das direkte politische Anliegen politisch wirksamer (weil authentischer) als jener, der platt und laut die frohe oder kritische Botschaft verkündet. Das wurde schon Wim Wenders nicht müde zu betonen.

Man weiß nicht, was George Clooneys neuer Film »Suburbicon« für ein Werk geworden wäre, hätte der Regisseur darauf verzichtet, seine Thriller-Farce mit gut gemeinten Bezügen zum Rassismus anzureichern. Doch vermutlich wäre ein Film ohne die aufgesetzt wirkenden Anklagen der Fremdenfeindlichkeit der bessere, vielleicht sogar der politischere geworden. Denn die Darstellung des Rassenkonflikts in »Suburbicon« ist schlampig und plakativ und wird dem großen Thema einfach nicht gerecht.

Clooney hat mit »Suburbicon« ein Drehbuch der Coen-Brüder verfilmt - und das Ergebnis fühlt sich genau so an: als hätte Clooney ein Coen-Buch verfilmt. Denn die groteske und blutige Handlung korrespondiert einfach nicht mit Clooneys gewohnt brav-konventioneller Umsetzung. Solch eine betuliche Filmsprache mag in Clooneys Meisterstück »Good Night, And Good Luck« hervorragend funktioniert haben, in »Suburbicon« aber stehen sich die von den Coens erdachte Familienfarce und die Dramaturgie des Regisseurs unversöhnlich gegenüber. Und dort, wo Clooney versucht, den Coen-Brüdern in Sachen inszenatorischem Mut und bildsprachlicher Originalität nachzueifern, fliegt das sofort als Plagiatsversuch auf. Den größten Schaden aber richtet Clooney an, indem er (wie eingangs erwähnt) der Coen-Erzählung von den privaten Abgründen hinter polierten Fassaden ein drastisches Beispiel von Rudel-Rassismus anzuhängen versucht. Und so bleiben von dem vielversprechenden Film: eine tolle Ausstattung und großartige Darsteller, die aber - bis auf den vortrefflichen Oscar Isaac - unter ihren Möglichkeiten spielen.

Suburbicon ist die US-amerikanische Vorstadt schlechthin, die steingewordene Spießigkeit, ein Ausbund an oberflächlicher Freundlichkeit, eine propere Hölle der totalen sozialen Kontrolle. In den 1950er Jahren, in denen der Film spielt, empfand sich die komplett weiße Bevölkerung der Kleinstadt schon darum als vielfältig, weil die Bewohner aus so exotischen Ecken wie »New York, Ohio und sogar Mississippi« stammen. Ja, sie alle strömen nach Suburbicon. Und schließlich auch die erste jemals dort gesichtete schwarze Familie. Da ist es dann aber ruckzuck vorbei mit der Umarmung der Vielfalt.

Gardner Lodge (Matt Damon) lebt schon länger in dem Kaff als die sofort bedrängten und schließlich von der degenerierten Dorfjugend regelrecht belagerten Afroamerikaner. Lodge führt mit seinem Sohn, seiner nach einem Unfall gelähmten Frau (Julianne Moore) und ihrer Zwillingsschwester (ebenfalls Julianne Moore) einen Musterhaushalt, wie alle anderen in Suburbicon. Da bricht jäh das Verbrechen in Lodges Welt ein, es gibt Gewalt, Blut, Tote - und einen furchtbaren Verdacht, der den durchtriebenen, auf eigene Rechnung arbeitenden Versicherungsdetektiv Roger (Oscar Isaacs) auf den Plan ruft. Die Episode mit Roger ist die mit Abstand beste eines Films, der zwar noch die eine oder andere starke Wendung oder gelungene Einstellung bereit hält, der insgesamt aber fast keines der Versprechen halten kann, die Skript und Schauspieler-Ensemble geben.

Voll nach hinten los geht der gesamte (von Clooney der Coen-Geschichte hinzugefügte) Komplex, der sich mit der schwarzen Familie und den Dorf-Rassisten beschäftigt. Denn man lernt diese afroamerikanische Familie erst gar nicht kennen, wodurch sie auf ihr Schwarzsein und ihre Opferrolle beschränkt bleiben. Das ist fast schon selber ein rassistischer Akt. Außerdem zerstört es das Werk, da die eine Hälfte (zweier nicht korrespondierender Hälften) des Films Personen zeigt, die der Zuschauer nicht kennt und die ihm darum gleichgültig sind. Das gilt für die schwarze Familie, die nur grob aus der Distanz skizziert wird, ebenso wie für den namenlosen rassistischen Mob, der sich vor ihrem Haus versammelt.

Viele Kritiker fragen sich nun, wie der Film wohl geworden wäre, hätten die Coen-Brüder Regie geführt. Das lässt sich leicht beantworten, denn deren Meisterstück »Fargo« weist bereits alle prägenden Elemente von »Suburbicon« auf: Der Hintergrund einer idyllischen Kleinstadt, eine hinter der Fassade vollkommen zerrüttete Familie, ein fataler (schlechter) Plan, ein aus dem Ruder laufendes Verbrechen. Die Coens haben dabei aber der Versuchung widerstanden, dem Familienporträt, der Thrillerhandlung, den schrägen Verbrechertypen und der trügerischen Gemütlichkeit noch eine explizite politische Botschaft überzuhelfen.

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