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Als ob

Leo Fischer über den Journalismus des Herrn Gersemann, der die Ängste der Reichen versteht und Steueroasen nicht schlimmer findet als das Gesparte von Oma unter der Matratze

Olaf Gersemann ist ein anständiger Mensch. Als Wirtschaftsjournalist hat er sich herausragend qualifiziert, bei »Handelsblatt«, »Wirtschaftswoche« und »Financial Times«. Er hat pflichtbewusst die genau richtigen Journalistenpreise angenommen und zu Hause die genau richtige Anzahl Kinder in die Welt gesetzt.

Der Zeitung, der er nun als Wirtschaftschef präsidiert, der »Welt«, gibt er die genau richtige Meinung vor, auch im Hinblick auf die Paradise Papers: Die Häme gegen Steueroasen sei »billig«, denn auch reiche Menschen hätten ein »Schutzbedürfnis«. »Konten in Steueroasen sind im Grunde nichts anderes als das Bargeld des reichen Mannes«, im Grunde so harmlos wie Omas Hunderter unter der Matratze. Aber es gibt auch andere, wichtigere Gründe: »In Zeiten, da die Demografie die Finanzierung ausgedehnter Wohlfahrtsstaaten infrage stellt, tritt eine weitere Überlegung hinzu: Die Tendenz von Finanzministern, internationale Kartelle mit Mindeststeuersätzen zu bilden, denen niemand entrinnen kann, wird sich weiter verstärken.«

Gersemann hat sich nicht getraut, »Die Flüchtlinge sind schuld« zu schreiben, so als wäre das bei der »Welt« heute noch ein Problem. Jawohl, die Demografie, als da sind die Flüchtlinge, wollen Milliardären die Butter vom Brot nehmen, und die Finanzminister machen sich zu willfährigen Helfershelfern der Umvolkung - da ist Steuerflucht letztlich ein legitimes Mittel, das Vordringen der dunkelhäutigen Horden wo nicht abzuwehren, dann doch zu verlangsamen, wo man schon den Sozialstaat nicht ganz abschaffen kann.

Aber der Geschmacklosigkeit ist noch nicht genug: Das Schutzbedürfnis der Reichen sei da besonders stark, wo »sich autoritäre Regime wieder ausbreiten« - wer Geld auf die Seite schafft, dient also im letzten der Demokratie. Hier stellt Gersemann nolensvolens den schwulen Sänger, der gerade noch mit Leib und Leben aus Putins Tschetschenien flieht, auf eine Stufe mit dem gelangweilten deutschen Milliardär, der keine Lust mehr hat, Nafris durchzufüttern und ansonsten die Rechts- und Investitionssicherheit jener Systeme schätzt, die er lieber vom Pöbel finanzieren lässt.

Gegen Ende seines Artikels nickt Gersemann schnell noch der FDP zu: »Nur der Wettbewerbsdruck, den die Existenz von Steueroasen ausübt, wird auf Dauer verhindern, dass die Kassenwarte allzu übergriffig werden.« Wenn in vielen Kommunen schon die ganz normale Infrastruktur zusammenbricht, Busse nicht mehr fahren, Bibliotheken schließen, Senioren und Behinderte in ihren Wohnungen vermodern, sieht das Gersemann als legitime Strafe für einen Staat, der nicht spurt - so als leisteten sich die Milliardäre die einfachen Leute und nicht vielmehr umgekehrt. Tatsächlich reicht der »Wettbewerbsdruck« so weit, dass die Superreichen ihrem Geld schon hinterherziehen: Hört man doch neuerdings, dass der Kauf von privaten Inseln beim obersten einen Prozent hoch im Kurs steht. Der Anblick der Zustände, die man selbst geschaffen hat, schlägt dem einen oder anderen also immerhin noch aufs Gemüt - ein Quantum Trost.

Das große Rätsel ist, warum Journalisten diese Zustände auch noch vergolden. Es ist ja nicht so, als würden Gersemann durch seine Zutraulichkeit zum Kapital irgendwann von ihm geadelt, als würde ihm seiner schieren Anständigkeit wegen einmal Privatinsel und Milliardenschatz zur Verfügung gestellt. Wie so viele macht er einen Journalismus des »Als ob«: als würde die »Welt« im Wesentlichen von Topentscheidern und Millionären gelesen und nicht von ressentimentgeladenen Kleinbürgern, die ihre Abstiegsängste mit Hass aufs Soziale kompensieren. Es ist wie in den benachbarten Lifestyle-Kolumnen, wo Texte über die Qualität von jahrtausendealtem Whisky stehen, von Studierenden geschrieben in unbeheizten Dachzimmern und Backwerk-Shops, gelesen von verschwitzten Vertriebsangestellten, die überlegen, was sie dem Chef dieses Jahr zum Geburtstag schenken müssen. Zusammen mit Gersemann träumen sie von einer Welt, in der jeder schon ein potenzieller Millionär ist und nicht ein Würstchen, dem seine eigene Überflüssigkeit jeden Tag ins Gesicht gerieben wird.

In den sozialen Medien bittet Gersemann inzwischen darum, nicht verhöhnt zu werden für seine Ansichten. Als schaffte er das nicht vollkommen allein.

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