Wer sich bewegt, der verliert

Jamaika-Parteien streiten neben der Migrationspolitik auch über Umwelt und Überwachung

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die Sondierer war es erneut ein langer Abend. Nachdem sie zwölf Stunden miteinander beraten hatten, hieß es am Dienstag wieder einmal, dass man sich vertage, um dann bei strittigen Themen endlich voranzukommen. Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen hatten vor allem über die Verkehrspolitik heftig gestritten. Die Debatte dauerte so lange, dass keine Zeit mehr für die Migrationspolitik blieb. Dieses ebenfalls heikle Thema wurde auf die Tagesordnung vom Mittwoch gesetzt.

Es gebe weiter erhebliche Differenzen mit den Grünen, verkündete CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nach den Gesprächen zu Verkehr und Mobilität. Seine Partei wolle nicht dabei mitmachen, den Diesel-Spritpreis zu erhöhen. Außerdem verlangen die Grünen das Ende des Verbrennungsmotors. Allerdings nennen sie inzwischen kein konkretes Ausstiegsdatum mehr.

In anderen Bereichen war mehr Bewegung zu erkennen. Der amtierende Landwirtschaftsminister Christian Schmidt sprach von Fortschritten im Agrarbereich. Das gelte für den Verbraucherschutz und für das Tierwohl, so der CSU-Politiker. Ein Tierwohllabel, das von der Großen Koalition geplant war und höhere Haltungsstandards anzeigen wird, soll zunächst freiwillig von den landwirtschaftlichen Betrieben genutzt werden können. »Ab einer gewissen Zeit« werde es dann verpflichtend eingeführt, sagte CDU-Vize Julia Klöckner. Zudem ist geplant, den Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft zu reduzieren und zunehmend biologische Wirkstoffe einzusetzen.

Klärungsbedarf gebe es in der Frage der Finanzierung der Förderung von Landwirten, hieß es. Die Grünen wollen mehr öffentliche Fördermittel etwa für eine artgerechte Haltung bereitstellen, was bei der CSU auf Skepsis stößt. Zudem erklärte der schleswig-holsteinische Agrarminister Robert Habeck, dass seine Grünen ein Sofortprogramm zum Schutz von Insekten und die Einstellung des Tötens von Eintagsküken forderten.

In der Energiepolitik sind die potenziellen Partner nach wie vor weit von einer Lösung entfernt. Die schwarz-gelb-grünen Parteien streiten darüber, wie viel Tonnen CO2-Ausstoß eingespart werden müssen, damit Deutschland seine Klimaziele noch erreicht. Union und FDP hatten den Grünen vorgeschlagen, dass zehn Kohlekraftwerke abgeschaltet werden könnten. Aber die Ökopartei blieb zunächst bei ihrer Haltung, dass 20 Blöcke möglichst schnell vom Netz müssten.

Argumente für die Grünen und gegen die schwarz-gelben Verhandler lieferte am Mittwoch das noch von der SPD geführte Bundeswirtschaftsministerium. »Der Großteil der Kohlekraftwerke hat heute eine belastende Wirkung auf das Netz«, heißt es in einem gemeinsamen Papier des Ministeriums und der Bundesnetzagentur. 2015 seien bei den Übertragungsnetzbetreibern über eine Milliarde Euro an Kosten angefallen, um Probleme im Stromnetz zu beheben. Das Abschalten von Kohlekraftwerken könne die Versorgungssicherheit im deutschen Stromnetz steigern.

Einigungen wurden bei innenpolitischen Themen erzielt. Die Parteien streben einen verbindlichen Bund-Länder-Pakt an. Es sollten »so schnell wie möglich zusätzliche Stellen für die polizeilichen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sowie für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)« geschaffen werden. Demnach müsse der Bund für Polizei und Sicherheit etwa 7500 zusätzliche Stellen schaffen. Weitere 2000 zusätzliche Stellen werden in der Justiz von Bund und Ländern für notwendig erachtet. Zudem wolle man die Digitalisierung der Justiz »mit einheitlichem Standard auf höchstem Sicherheits- und Datenschutzniveau vorantreiben«.

Strittig bleibt allerdings die Vorratsdatenspeicherung. Die Union setzt auf die massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten. FDP und Grüne warnen dagegen vor einer ausufernden Überwachung und meinen, dass es immer einen konkreten Verdacht geben müsse, um das Instrument einzusetzen. Sie wollen die Verbindungsdaten nicht generell erfassen, sondern nur die Daten eines bestimmten Personenkreises.

Obwohl diverse Themen noch immer strittig sind, wollen die Jamaika-Parteien schon bald Kompromisse vorlegen. Am Donnerstag beginnt die abschließende Sondierungsrunde, die bis tief in die Nacht dauern dürfte. Im Anschluss soll in einem gemeinsamen Papier festgehalten werden, ob Koalitionsgespräche aufgenommen werden sollten oder nicht.

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