Die Welt im Kopf
Johannes Grützke im Museum Gunzenhauser in Chemnitz
Was er nie sein wollte: ein Schmuckelement für die Vorzimmer selbstgefälliger Repräsentanten. Johannes Grützke, der in diesem Jahr kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag starb, war ein Spieler, der mit immensem Ernst bei der Sache war. Er konnte anbeten und spotten zugleich, suchte die große Form, aber nicht ohne sie ironisch zu brechen.
Zwei Jahre lang bereitete das Chemnitzer Gunzenhauser-Museum um Kurator Stephan Dahme die große Grützke-Ausstellung vor, am Anfang noch zusammen mit dem Maler. Grützke, so sieht man in dieser Werkschau, war immer ein Ärgernis, aber eines, dem man mit Freude entgegensieht. Ein lustvoller Spötter, ein provokanter Regisseur seiner selbst - und ein Menschenfreund, der sich selbst zuerst als ein Stück Natur nimmt, das, während es die Götter nachahmt, zum Menschen wird. Aber ein allzeit groteskes Wesen, nicht zum Herrschen berufen, sondern dazu, die allzu selbstgefällig Herrschenden nach Maßgabe der Kunst dabei zu stören. Ein Ironiker mit Hang zur großen Form! So etwas ist selten.
Überhaupt, Grützke war eine durch und durch anachronistische Figur, nicht nur, wenn er, was häufig geschah, sich selbst malend in Szene setzte, sondern auch als Mensch. Aufgewachsen im zerstörten Nachkriegsberlin, kam er über die Trümmer jeglicher Macht zu den Fragen von Sinn und Bedeutung. Einen 68er kann man ihn, der als einer der wenigen Künstler im Westen an der gegenständlichen Malerei festhielt, durchaus nennen. Jedoch dabei niemals ein rechthaberischer Ideologe, sondern ein respektloser Schalk, der die Revolte lebenslang kultivierte, indem er ihr eine unverwechselbare Form gab. Pathos und Ironie schlossen sich bei ihm nie aus, verbanden sich zur Groteske.
So sind seine Bilder Kuriositäten mit einem tieferen Sinne. Werke im klassischen Sinne auch, große Gemälde darunter, aber immer mit jener spielerischen Selbstdistanz, die die Hierarchien so flach wie möglich hält. Grützke wusste, in jedem Machtinhaber steckt ein Mensch, der seinen Fall ins Nirgendwo noch vor sich hat - und jeder einfache Mensch darf ungestraft davon träumen, dass sein Wort einmal Gesetz sein wird. Diese gegenläufigen Bewegung gehören zur menschlichen Komödie und diese war das Lebensthema des Malers Johannes Grützke, mit sich selbst als Narrenkönig darin. Ein Nero, der weiß, was Kunst ist - und dennoch (oder gerade deswegen) nichts Besseres zu tun hat, als Rom in Brand zu stecken.
Ins Auge fällt einiges, so jenes seltsame große Ölgemälde von Walter Ulbricht aus dem Jahr 1970. Unmittelbar nach der Entstehung zog es heftige Reaktionen auf sich, die im Grunde daraus resultierten, dass man nicht verstand, warum ein Maler aus Westberlin ausgerechnet den »Spitzbart« malte. Ein Auftragswerk war es keineswegs - auch wenn Erich Honecker, nach Ulbrichts Tod, den Ankauf des Bildes angeregt haben soll. Warum? Um es in einem Depot verschwinden zu lassen? Oder um dieses wenig schmeichelhafte Bild bewusst auszustellen, weil es den eigenen Aversionen gegen den durch ihn selbst entmachteten Ersten Sekretär entsprach? Das Bild zeigt einen seltsam breit geratenen Ulbricht, der fast in seinem Anzug versinkt, in einer Art Volkstanzreigen mit vier gleichgekleideten Frauen, die auch sonst - bis ins lemurenhafte Lächeln - frappierend gleich aussehen. Auch Ulbricht lacht, die Hände zum Tanz erhoben - aber es wirkt seltsam synthetisch, wie in einem irren Rausch, für den es keinen Anlass gibt. Ist das das Gesicht der Zukunft? Oder die lächelnde Larve der Macht, all jener Versprechen, die immer gebrochen werden?
Ein anderes großes Gemälde heißt »Die Erziehung Alexanders« von 1978. Der künftige Herrscher stimmt sich - per Musen, die nackt zu seinen Füßen sitzen - auf die Rolle des unfehlbaren Führers ein. Die Verzückung, die ihn überfällt, reißt ihn davon - in weißer Toga, die Arme wie im Trance weit ausgebreitet, ist er körperlich zwar noch anwesend, aber der Geist ist bereits - wohin auch immer - von ihm gegangen.
Immer wieder sind da jene Selbstporträts, die die Versuchung zeigen, sich im Schöpferrausch zu verlieren. »Der Bildhauer und sein Modell« von 1974 zeigt jenes Szenario des Größenwahns, dem sich der Künstler auf Zeit überlässt. Er schöpft eine Welt nach seinem Ebenbild. Ein prometheischer Auftritt, jedoch wie auf einer Bühne, wo sich dem Betrachter der Vorhang kurz hebt. Der nackte Bildhauer steht breitbeinig zwischen zwei ebenfalls nackten Modellen, eines, an dem er mit weit ausholenden Bewegungen mit Hammer und Meißel arbeitet, und eines, das kokett dem Betrachter entgegenlächelt. Original und Kopie sind in dieser Welt ununterscheidbar geworden. Verzückung und Schein - wo beginnt und wo endet die Realität? Das sind die Fragen, die Grützke nicht loslassen.
Vielleicht sein wichtigstes Bild: »Adolf Hitler erhält das Angebot einer Elser-Büste« von 2010. Es zeigt, wie doppelbödig-raffiniert Gützkes Sicht auf die Geschichte zu sein vermochte. Hitler, mit dickem Pinsel gemalt, im weißen Unterhemd an einem Tisch unter einer tiefhängenden grünen Lampe sitzend: in aller ordinären Brutalität. Umgeben ist er von drei ihm ähnlichen Männern, einer von ihnen blickt den Betrachter aus den Augenwinkeln scheel an, als lasse er sich bei einem unsauberen Geschäft filmen. Und tatsächlich, aus Sicht Hitlers kann nicht koscher sein, was man ihm da über den Tisch schieben will: die Büste von Georg Elser, dem Hitler-Attentäter. Grützke hatte dessen Büste 2008 für einen Wettbewerb geschaffen, der Entwurf ist in der Ausstellung zu besichtigen. Irgendwie wurde aus Grützkes Entwurf dann nichts - nun also bietet er ihn auf diesem Bild Hitler selbst zu dessen Missvergnügen an.
Grützke also ist ein auf elementare Weise dialektischer Maler. Elementar heißt für ihn: Es ist höchste Lust und tiefste Pein zugleich. Das etwa entsprach dem Selbstverständnis der »Schule der neuen Prächtigkeit«, die Grützke initiierte. Er maltet jedoch nicht nur, er dichtete, spielte Theater und machte Musik. Die von ihm gegründeten »Erlebnisgeiger« verbinden auf gültige Weise Avantgarde und Jahrmarkt.
In diesem ewigen Dazwischen sah Grützke alle Kunst gefangen. Der Mensch ist nicht würdig, sondern lächerlich. Je würdiger er zu erscheinen versucht, desto lächerlicher. Und dennoch, nur der in seiner Selbstfeier gestörte Künstler hat uns etwas zu sagen. Und so mag ich »Bach, von seinen Kindern gestört« von 1975 am liebsten in dieser umfangreichen Grützke-Werkschau. Dieses Bild ist nicht bloß tief menschlich, sondern im Sinne Nietzsches allzu-menschlich. Nicht witzig, sondern voller bodenlosem Aberwitz.
Auf diesem Bild thront dann Johann Sebastian Bach mit seiner barocken Perücke und ernstem Gesicht wie auf der Spitze einer Pyramide von sieben frech durcheinanderstürzenden Leibern. Die Gesichter der selbst gezeugten Bach-Brut demonstrieren grenzenlosen Mutwillen zur Störung. Lauter kleine 68er, in denen Grützke sich selbst erkennt? Wer sich hier wie Bach-Vater dennoch erheben will, darf vor der Erniedrigung keine Angst haben. Er wird sie - eine eigene Welt im Kopf - vielleicht nicht einmal bemerken.
Johannes Grützke - »Kunst ist nicht modern, sondern immer!«, bis zum 14. Januar 2018 im Museum Gunzenhauser in Chemnitz.
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