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»Wundervoller Spaziergang«

Eine attraktive Geschenkausgabe lädt zur Proust-Lektüre ein

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

In diesem Herbst hat der Schriftsteller Matthias Zschokke erzählt, wie er sich einen Sommer lang auf Marcel Proust (1871 - 1922) einließ. Er las seinen Roman »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«, alle sieben Bände. Aber eigentlich muss es heißen: Er quälte sich. Und hat, als alles überstanden war, auf vierundsechzig Druckseiten seines neuen Buches diese Qual in Worte gefasst. Nannte das Werk kurzerhand und nicht gerade zimperlich »absatzloses Endlosgelaber«, eitel, affig und hohl. Nun steht er in der Reihe der Proust-Verächter ganz vorn.

• Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Hg. v. Luzius Keller.
Suhrkamp, 3 Bände in Kassette, 5200 S., geb., 49,95 €.

Natürlich ist die Proustsche Schöpfung kein Werk, das man so leichthin, ganz nebenbei verschlingt. Nicht, dass es mit Hindernissen, hohen Schwierigkeiten gespickt wäre. Es verlangt nur einen langen Atem, Geduld und die Bereitschaft, sich auf die mondäne Welt, die hier unentwegt durchs Mikroskop betrachtet wird, auf die langen Satzperioden einzulassen. Es beschreibt das Leben eines Erzählers, der Marcel heißt wie der Autor, aber es beschreibt es nicht so, wie die großen Kollegen es vielleicht getan hätten. Nein, Proust erzählt es, wie der, der es erlebt hat, sich daran erinnert. Und die Erinnerung, einmal in Gang gesetzt, kennt keinen Anfang und kein Ende, schon gar keine Chronologie. Dieser Riesenroman beschreibt nichts anderes als die Suche nach den paradiesischen frühen Jahren, nach den Gerüchen und Begegnungen, dem Gute-Nacht-Kuss der Mutter, den Mädchen am Strand, nach der verlorenen Liebe und dem Glück, das es nur in der Kindheit gab - und jetzt, in den Momenten, da sich der Erzähler an die Kindheit erinnert.

Das, was man Handlung nennt, hat Proust nie interessiert, und es kann passieren, dass man, wenn die letzte Seite erreicht ist, schon nicht mehr weiß, wie der Roman begonnen hat. »Es ist keine Geschichte, deren Ausgang man schnell erfahren möchte«, meint die Herzogin von Clermont-Tonnerre, »sondern ein wundervoller Spaziergang von der Erde zum Himmel und hinab in die Tiefen des Ozeans.«

Zu diesem Spaziergang lädt Suhrkamp jetzt mit einer besonders preisgünstigen, auf hochwertigem Papier gedruckten Sonderausgabe ein, einer attraktiven Geschenkkassette, die die sieben Romane in drei Bänden bündelt. Der Text geht auf die nun schon klassische, von Herausgeber Luzius Keller und Sibylla Laemmel revidierte Übersetzung von Eva Rechel-Mertens zurück, wie sie in der feinen, von Kritik und Leserschaft geliebten Frankfurter Ausgabe vorliegt. Übernommen wurde auch Kellers Kommentar mit Nachwort, Anmerkungen, Bibliografie, Editionsbericht und Register, und der Verlag, dem man für sein jahrzehntelanges Proust-Engagement gar nicht genug danken kann, hat auch hier für die eindrucksvolle, im hellen Orange-, Blau- und Grünton gehaltene Ausstattung der Bände gesorgt. Schöner und kompakter kann man das betörende Werk für fünfzig Euro nicht haben.

Der schwedische Schriftsteller Olof Lagercrantz hat vor über zwanzig Jahren einen Wegweiser durch das Labyrinth des Romans veröffentlicht und sein Buch (1995 auch bei Suhrkamp) treffend überschrieben: »Marcel Proust oder Vom Glück des Lesens«. Und Hermann Hesse, einer der frühen Proust-Bewunderer, fuhr den Kritikern in Deutschland, die von einem schwächlichen Roman redeten, schon 1927 mit drastischen Worten in die Parade: »Möge den Kerls Schimmel auf der Zunge wachsen! Ich kümmere mich den Teufel um sie, ich bin froh, daß es etwas so beseelt Schönes, etwas so Warmes, Blumiges und Liebenswertes gibt wie die Gespinste dieses zarten Dichters …«

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