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Ein schnelles Pferd und drei Tage Vorsprung

Bert Papenfuß nahm sich der bisher unveröffentlichten Memoiren des Sozialrebellen Norbert »Knofo« Kröcher an

  • Jochen Knoblauch
  • Lesedauer: 4 Min.

Er wurde von Freunden und Mitstreitern schlicht »Knofo« genannt: Norbert Kröcher (1950 - 2016). Sein Vorhaben, seine Memoiren auf den deutschen Buchmarkt zu bringen - sie sollten drei Bände umfas᠆sen - scheiterte am Desinteresse der Verlage. Sie waren lediglich bereit, seine Erlebnisse von 1967, dem Beginn seiner Politisierung, bis 1985, als er aus dem bundesdeutschen Knast entlassen wurde, zu drucken. Offenbar schienen ihnen lediglich Storys von Banküberfällen und anderen spektakulären Aktionen bzw. die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, für die »Knofo« acht Jahre abgesessen hat, verkaufsträchtig. Zum Glück fand sich ein kleiner Verlag, der sich posthum der Memoiren annahm und schon mal den ersten Band der auf zwei Bände reduzierten Autobiografie herausgab; 2018 soll die Fortsetzung folgen.

• Norbert »Knofo« Kröcher: K. und der Verkehr. Erinnerungen an bewegte Zeiten. Erster Teil 1950 – 1989.
Hg. v. Bert Papenfuß. BasisDruck, 496 S., geb., 28 €.

Schon in seiner Kindheit in Berlin verfügt Kröcher über einen erstaunlichen Aktionsradius, über Kreuzberg hinaus und nach Ostberlin hinein. Sein Vater war ein gutmütiger Mensch, der aus der Wehrmacht desertiert war, die Mutter Sympathisantin der KPD, für die sie in der NS-Zeit kleinere illegale Tätigkeiten erledigte. Als der 14-jährige Kröcher den Wunsch äußert, Polizist zu werden, redet ihm ein Familienrat das aus. Daraufhin beschließt er, Nazijäger zu werden. Seinen gleichfalls favorisierten Berufswunsch Feuerwehrmann wird er sich zum Lebensende, da er sich in das Oderbruch zurückgezogen hat, bei der Freiwilligen Feuerwehr in Malchow erfüllen.

Mit der ersten eigenen Wohnung 1967 in Kreuzberg politisiert sich Kröcher. Er trifft linke Studenten, liest Karl Marx, Michail Bakunin und Wilhelm Reich und gelangt zur Erkenntnis, dass es neben Haschisch, Bier und Sex in der kapitalistischen und Nazi-versifften bundesdeutschen Gesellschaft keine Freiheit ohne Kampf geben wird. Zumal vor allem in West-Berlin eine durch die Springerpresse aufgehetzte Bevölkerung gegen alle wütet, die sich nicht unterordnen wollen.

Vom aktionistischen »Zen-tralrat der umherschweifenden Haschrebellen« führt Kröchers Weg in die bewaffnete »Bewegung 2. Juni«, deren Gründungsmitglied er ist. Er gehört nun der militanten Szene an, die dem Staat und allen Autoritäten den Kampf ansagt.

Zur RAF, die vornehmlich aus Bürgerkindern bestand, hat die proletarische Bewegung »2. Juni« zwar, so Kröcher, ein »erotisches Verhältnis«, aber deren »haltloses Kauderwelsch« ist für ihn selbst nicht akzeptabel. Das schließt nicht aus, dass sich Kröcher im Knastalltag solidarisch zu Mitgefangenen auch anderer Linksfraktionen verhält. Ex-Genossen wie Genossinnen, die während der Haft mit Staatsorganen zusammenarbeiten, in seinen Augen also Verrat begehen, ignoriert er jedoch. Und so sorgt er auch für den Fall seines Todes vor: Er fertigt eine Liste an, auf der er verfügt, welche Personen an seiner Beerdigung und Trauerfeier nicht teilnehmen dürfen.

Linke, die nach seiner Meinung nur reden und schwafeln, waren ihm verhasst, seine Sprache war direkt und konkret, wie Herausgeber Bert Papenfuß urteilt: »... eine gut lesbare Mischung aus alter und neuer Rechtschreibung, geprägt von Wortspielen, Neologismen und Berlinerisch.«

Kröcher erzählte gerne Geschichten und schöpfte aus einem reichen Fundus selbst erlebter Abenteuer und Anekdoten. Geschichten über die »schönsten Banküberfälle« mögen nicht jedermanns Sache sein (unwillkürlich kommt einem die derzeitige Fahndung nach den drei RAF-»Rentnern« in den Sinn, die jüngst mehrere Banken überfielen). Kröcher verweist darauf, dass es heute gute Kenntnisse in der Computertechnik bedarf, um einen Coup erfolgreich durchzuführen. Die Ausraubung einer traditionellen Bank sei »Schnee von gestern«, stamme aus »Zeiten, da die Welt denen gehörte, die ein schnelles Pferd und drei Tage Vorsprung hatten«. Erinnert sei an dieser Stelle an Bertolt Brecht, der meinte: »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«

Wer von der Biografie eine komplette Geschichte des bewaffneten Widerstandes in der Bundesrepublik oder auch nur der »Bewegung 2. Juni« erwartet, wird enttäuscht. Denn Kröcher setzte sich rechtzeitig nach Schweden ab und war an Aktionen wie der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975 oder der Erschießung des V-Manns Ulrich Schmücker im Jahr zuvor nicht beteiligt. Sein Blick zurück ist außerdem ein individueller, rein subjektiver. Unversöhnlich gegenüber kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung blieb er zeitlebens. Sein proletarisches Ethos mutet heute antiquiert an, wo Klassenbewusstsein ein Fremdwort und Konsum der neue Gott ist sowie an Rebellion gegen die Verhältnisse immer weniger Menschen denken, ganz zu schweigen von einer ständigen Rebellion, wie sie sich Kröcher und Genossen vorstellten.

Er war vermutlich einer der letzten Sozialrebellen, die ihr gesamtes Leben der Gerechtigkeit und Solidarität widmeten und zugleich der Ansicht waren, dass Widerstand auch Spaß machen müsse.

Eine lesenswerte Biografie, die emotional aufwühlt und viele erschütternde, ja traurige Passagen enthält, etwa jene über den 14-jährigen »kleinen Bruder« Rudi Arnuth, der wegen eines banalen Diebstahls von einem gnadenlosen Richter zu Gefängnishaft verurteilt wurde und sich Ostern 1982 in seiner Zelle - nur wenige Meter vom inhaftierten Kröcher entfernt - erhängte.

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