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Man soll fließen
Ambient, der nicht müde macht: Ein neues Album von Christian Fennes
Auf den Covern der Alben des Wiener Gitarren-Ozeanikers Christian Fennesz ist viel Wasser zu sehen. Aber das Wasser symbolisiert weder Idylle noch Wildheit, sondern abstrahiert und ist doch zugleich Teil der kulturalisierten Welt. Man sieht zum Beispiel auch mal ein Boot oder Licht schimmern. Die Musik aber ist ein Meer: Ambient nur mit der Gitarre und wahrscheinlich 28 Filtern und Modulatoren gespielt. Es geht auf und ab und will die Hörerin und den Hörer immer wieder in die Ruhe führen, ohne sie zu sedieren. Das ist ein Spagat. Der Grat, der die Musik von Fennesz von gefälligem Ambient trennt, ist schmal, aber doch unverrückbar. Die Wanderung auf diesem Grat gelingt Fennesz eigentlich immer.
Das Album der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau
Am Anfang war seine Musik, auf der EP »Instrument« und auf den Alben »Hotel Paral.lel« (1997) und »Plus Forty Seven Degrees 56' 37" Minus Sixteen Degrees 51' 08« (2000) noch noiseartig und auch ein wenig industriallastig. Es klirrte damals mitunter noch sehr metallisch. 2001 fand er dann auf »Endless Summer«, seinem bis heute besten Album, zu dem Sound, den er bis heute modifiziert. Kaum einer baut schönere Soundflächen als er. Und wenn man seine Musik live hört, in einer der Sache angemessenen, also sehr hohen Lautstärke, über eine Anlage, die den Raum füllen kann bis in die Winkel, dann kommt der Körper der Hörer*innen in einer Weise ins Schwingen, die ansonsten in dieser Form nicht zu haben ist.
Auf seinem neuen Album »Mosaic«, dem ersten seit fünf Jahren, ist das Fennesz wieder gelungen. Es wogt und fließt und wirkt trotzdem so roh und mit produktiven Zufällen und Glitches befüllt, dass sich doofe Wohligkeit nicht einstellen mag. Der meiste Ambient sonst will, das man die Umgebung als leicht und einfach und vorübergehend nicht-existent imaginieren kann. Die sechs fünf- bis neunminütigen Stücke auf »Mosaic« aber negieren nichts. Sie zielen direkt auf die Hörer*in, die die umgebende Welt betrachtet, und verstecken sich nicht hinter einer Soundtapete. Wer das hier hört, soll nicht in seiner Illusionsbildung angeregt werden, sondern sich bewegen, man könnte auch sagen: ins Fließen gebracht werden.
Und eben weil es hier keine Gefälligkeit gibt, hört man die Arbeit am und mit dem Material immer durchschimmern. Im Stück »Heliconia« haut es auf einmal einen Gitarrenakkord in die Flächen. In »Love and the Framed Insects« verschwindet der Sound kurz in einen Rauschgeräusch, um sich dann wieder zusammenzusetzen. »A Man Outside« dröhnt untergründig bedrohlich. Alles ist so gebaut, dass man sich verlieren kann, ohne dabei zu verblöden. Ambient, der ästhetische Erfahrungen nicht verhindert, sondern nur funktioniert, wenn man in die gegenläufigen und komplizierteren Schichtungen einsteigt, aus denen dieser Fluss sich hier zusammensetzt.
Klaus Theweleit entnimmt in den »Männerphantasien« den Gedichten Pablo Nerudas den schönen Gedanken, dass das meiste Geglückte – geglücktes Denken, geglückte Verbindungen zwischen Menschen, Liebesfähigkeit – mit Fließendem und Verflüssigungen, also mit Auflösungen zu tun hat. Dieser Gedanke jedenfalls findet in der Klangkunst von Fennesz eine musikalische Entsprechung.
Fennesz: »Mosaic« (Touch)
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