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Antike endlich beenden!
Feiertage stehen zur Debatte. Und das ist gut so.
Von unerwarteter Seite hat die Aufklärung in Deutschland jetzt Schützenhilfe bekommen: Monika Schnitzer vom Hohen Rat der Wirtschaftsweisen, eine Frau mit einer aufsehenerregenden Brille, hat befunden: Es wäre ganz gut, wenn Deutschland einen Feiertag abschaffte. Recht hat Sie! Denn, Deutschland, erinnern wir uns: War das nicht dieses bedeutende Land in Kerneuropa, das Land der Dichterinnen und Denker, Bollwerk des Westens und seiner freiheitlichen Überzeugungen? Jenau. Und was feiert dieses schöne und kluge Land jährlich, um sich seiner selbst zu vergewissern?
Etwa im Frühjahr. Lebensfreude allenthalben, Duft, Krokusse, Angeplinker und Sonnenduscherei. Was feiern wir? Dass, einer wackligen antiken Überlieferung zufolge, ein paar Italiener mal einen jüdischen Sektenführer irgendwo angenagelt haben, oh Haupt voll Blut und Wunden, ehe dessen Leiche dann unter dubiosen Umständen verschwand. Oder, auch immer lustig, Pfingsten: Alle mal bitte Hand hoch und das »nd« abonnieren, die wissen, was an Pfingsten stattgefunden hat! Bis heute jedenfalls überliefert die Bibel den Spott, dass die Jünger wohl einfach ein paar Krüge Rotwein zu viel getrunken hatten ...
Es ist billig, sich über Religion lustig zu machen? Aber ja doch. Vor allem ist es für die Religionen billig. Denn das Amüsement löst jeden Widerspruch in verzeihendes Lächeln auf, und damit wäre das Thema dann vergessen. Fragen wir also mal ernst, ungefähr so ernst wie man seine sogenannten Werte nehmen sollte: Sind die kruden Märchen, die uns die gängigen monotheistischen Religionen servieren, bei irgendwas eine Hilfe? Erzählen sie uns von unserem eingeborenen Lebensrecht, unserer Freiheit?
Religion spaltet. Sie unterteilt die Menschheit in zwei Gruppen: die In-Group, die dem richtigen Kultführer folgt. Und dann den barbarischen Rest, die Dummen, die Bösen, Barbecue für den Satan. Religion funktioniert Top-down, sie erwartet das Zurückstellen des gesunden Menschenverstands, verlangt Unterwerfung unter einen eitlen, narzisstischen, gewaltbereiten Gott. Die größten Religionen sind die Struktur gewordene Verachtung von Frauen, sexuellen Minderheiten, Andersgläubigen, kurz gesagt: Menschen. Das Christentum, das sich massiv durchgeknallte Männer wie Paulus und Augustinus ausgedacht haben, feiert was an Ostern? Die schlechten, schlechten Menschen, sie haben den Heiland gekillt! Weihnachten: Die schlechten Menschen, jetzt kriegen sie einen Heiland geschenkt, verdient haben sie ihn nicht, kniet nieder! Solcherart sind unsere Feste, in einem Land voll leerer Kirchen. Einem Land, in dem die Atheisten längst die stärkste Konfession sind.
Künden diese Feste von Neugier, Wissensdrang, Solidarität, Menschenrechten, Gleichberechtigung, Demokratie, Witz, Freude und Freiheit? Nein? Dann brauchen wir sie nicht. Dann ist es Zeit für ein paar neue Feiertage, die uns nackte Primaten als etwas potenziell Gutes begreifen. 10. Dezember: Tag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. 22. Februar: Sophie-Scholl-Gedenktag. 23. Februar: Erich Kästners Geburtstag! (Oder gibt es irgendwen, der Erich Kästner nicht mag?) 18. Mai: Tag der Frankfurter Nationalversammlung. 24. Oktober: Tag des Westfälischen Friedens. Die Erfindung der Waschmaschine könnte man feiern, die Einführung allgemeinbildender Schulen, die Abschaffung der Leibeigenschaft. Es gäbe so viel, das uns jeden Tag freier, selbstbestimmter, glücklicher macht. Ach ja, und Weihnachten könnte aufrechterhalten werden, das Fest rund um ein begabtes Kind, das die Welt verändert und erleuchtet hat: 25. Dezember, Isaac Newtons Geburtstag.
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