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Keine Kompromisse
Die Kunsthalle Rostock zeigt eine große Werkschau von Kate Diehn-Bitt
Noch vor 20 Jahren gehörte sie zu den Künstlerinnen, die in Gefahr waren, vergessen zu werden: Kate Diehn-Bitt, bedeutende Vertreterin der Neuen Sachlichkeit und eine, die immer ihrem eigenen Kompass folgte. Und eine, die nie etwas anderes sein konnte und wollte als eine Malerin. Geradezu unerschöpflich scheinen ihre Schaffenskraft, die Techniken, derer sie sich bediente. Diesen Eindruck gewinnt, wer sich die große Retrospektive anschaut, die die Kunsthalle Rostock ihr anlässlich ihres 125. Geburtstags widmet.
Dass die Werkschau »KünstlerinSEIN« in Rostock gezeigt wird, liegt nahe, denn Diehn-Bitt hat in der Hansestadt den größten Teil ihres Lebens verbracht, und zuletzt ist sie in der Kunsthalle im Jahr 2002 mit einer großen Ausstellung gewürdigt worden. Die aktuelle präsentiert in opulenter Weise einen chronologisch angelegten Überblick über Diehn-Bitts Gesamtwerk – im »Zusammenspiel« mit Skulpturen – überwiegend aus Holz – einer weiteren Rostocker Künstlerin: Susanne Rast, Jahrgang 1962. Die beiden passen insofern hervorragend zusammen, als Rasts Figuren ebenso besondere Charaktere zu sein scheinen wie die vielen von Diehn-Bitt Porträtierten: die einen zart, verloren, verwirrt, die anderen verschlossen und schroff.
Außerdem hat Rast die 1978 verstorbene Diehn-Bitt, geboren als Elise Hedwig Käthe Bitt in Berlin, aber schon als Kleinkind nach Bad Doberan bei Rostock gekommen, wo sie zunächst mit ihrer frisch geschiedenen Mutter bei den äußerst wohlhabenden Großeltern lebte, noch kennengelernt. Rast erinnert sich an die damals über 70-Jährige als »beeindruckende Frau, mit ihrer Zigarettenspitze, der tiefen Stimme«. Und daran, dass sie von den intensiven Bildern der Malerin von Anfang an fasziniert war.
Rast erinnert sich an die damals über 70-Jährige als »beeindruckende Frau, mit ihrer Zigarettenspitze, der tiefen Stimme«.
Es gab Umstände, die es Kate Diehn-Bitt erleichterten, ihrer Berufung zu folgen. Da war die gut situierte Familie, die ihr erste Zeichenstunden als 14-Jährige finanzierte. Und dann gab es die Liebe zu Peter Paul Diehn, Zahnarzt und wesentlich älter als die junge Frau, die bei der Hochzeit erst 19 Jahre alt war und ein Jahr später schon Mutter wurde. Diehn förderte immer die künstlerischen Ambitionen seiner Frau und finanzierte ihr ab 1928 ein Kunststudium in Dresden in einer privaten Akademie. Auch die Liebesbeziehung, die Kate in Dresden mit Hans Sieger, Sohn ihres früheren Zeichenlehrers, einging, tolerierte er. Ihren Sohn Jürnjakob betreut in den Studienjahren über weite Strecken Kates ältere Schwester Annemarie.
Man darf also davon ausgehen, dass diese ihr so nahestehenden Menschen die Ausnahmebegabung Kates erkannten und ihren künstlerischen Weg vorbehaltlos unterstützten. All das bewahrte die Malerin jedoch nicht vor der Ausgrenzung, die sie mit Beginn der Nazizeit zunehmend erfuhr. Ab 1935, kurz nach einer ersten größeren Ausstellung, hatte sie keine Möglichkeiten mehr, ihre Kunst zu präsentieren, die von den Nazis als »entartet« diffamiert wurde. Sie bekommt ein Berufsverbot, darf offiziell nicht einmal Arbeitsmaterialien wie Farben und Leinwand erwerben.
Schon Anfang 1934 teilt ihr ein Funktionär des »Kampfbundes für deutsche Kultur« mit, dass er ihre Kunst ablehne und ihre empfehle, »ihre Arbeiten daraufhin einmal einer strengen Selbstkritik zu unterziehen«. Dass sie etwas könne, sei unbestritten, schreibt der Mann (sein Brief ist im Anhang des Katalogs dokumentiert). Sie müsse aber »abkommen von dieser krankhaften, vollkommen im Intellekt schwimmenden Kunstäußerung, die sich vollkommen von der wahren naturgebundenen absondert«. Im »Nat. Soz. Staat« sei nun einmal »kein Platz für artfremde Kunst«.
Diehn-Bitt arbeitete weiter, heimlich unterstützt von Kollegen und Freunden. In der Ausstellung sind etliche ihrer in der Zeit nach 1935 bis zum Kriegsende entstandenen Werke in aufwendigen »Fensterrahmen« fixiert, sodass sie sich von beiden Seiten betrachten lassen. Der Grund: Der Materialmangel veranlasste sie dazu, auch die Rückseiten von Bildern zu bemalen.
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Dass die Nazis ihre Werke nicht mochten, ist nicht sonderlich überraschend: Sie sind streng und übersichtlich komponiert, die abgebildeten Personen wirken oft nicht sonderlich sympathisch, eher verschroben oder grob oder traurig. Die Farben in dieser Zeit: oft gedeckt, nichts Leuchtend-Heroisches dabei. Dazu Selbstdarstellungen wie jene als Halbakt – damals bei einer Frau noch unerhört und neu – oder jenes provozierend androgyne »Selbstbildnis als Malerin« mit Pinsel in der Hand.
Letzteres erinnert frappierend an Selbstporträts von Otto Dix, der während ihrer Studienzeit an der Dresdner Kunstakademie eine Professur innehatte und dessen Arbeiten sie kannte. Dix war einer der ersten Kunstprofessoren, die von den Nazis entlassen wurden, später wurden Bilder von ihm in der Propaganda-Ausstellung »Entartete Kunst« gezeigt. Auch er »überwinterte« mithilfe von Freunden.
In ihren Werken bis 1945 hält Diehn-Bitt die Zerstörung Rostocks durch alliierte Bombardements fest, malt Bilder von Frauen in Konzentrationslagern, von denen sie wusste, die sie aber nicht aus eigener Anschauung kannte. 1945 erkrankte sie schwer an Typhus. Sie überlebte und beteiligte sich später am Aufbau des Kulturbundes der DDR. Bereits 1946 war sie Mitbegründerin der Sparte Kultur beim Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und erstmals wieder in einer Kunstausstellung vertreten, in Dresden.
Aber bald erfährt sie wieder Ablehnung: Ihre Arbeiten bekommen den Stempel »nicht zukunftweisend und optimistisch« aufgedrückt. Erst in den 1960er Jahren wird sie neu »entdeckt«, auch durch die Bemühungen des Rostocker Bildhauers Jo Jastram (1928–2011), zu DDR-Zeiten eine Instanz – und Vater von Susanne Rast. Die Kunsthalle hat übrigens erst im vergangenen Herbst Jo Jastrams Ehefrau Inge – völlig zu Unrecht wesentlich weniger bekannt als er – anlässlich ihres 90. Geburtstages eine wunderbare Retrospektive gewidmet.
Kate Diehn-Bitt, die immer ihren eigenen Eingebungen folgte, arbeitete bis zu ihrem Tod 1978 unbeirrt und trotz fragiler Gesundheit nahezu ununterbrochen weiter. Viele Porträts, aber auch zahllose Bilder der rauen Küstenlandschaft, Zyklen von Reisen entstanden. Interessanterweise wird ihr Werk in den späten Jahren immer farbenfroher. Häufig stellte sie mit Buntpapier Collagen her, auch Filz- und Aquarellstifte kommen zum Einsatz, ebenso Pastellfarben. Auch mit Buntstiften schuf Diehn-Bitt außergewöhnliche Landschaftsbilder und Porträts, darunter ein sehr berührendes Doppelbildnis von sich und Peter Paul Diehn aus dem Jahr 1957.
Wiederholt schuf sie auch Collagen mit biblischen Motiven, etwa von Judith und Holofernes aus dem Alten Testament oder der Hochzeit von Kana aus dem Neuen Testament, bei der Jesus Wasser in Wein verwandelt. Ebenfalls in Rostock zu sehen: eine Serie großformatiger, teils geradezu knallbunter Gemälde zu Thomas Manns Romantetralogie »Joseph und seine Brüder«, Adaption der alttestamentarischen Geschichte eines Lieblingssohnes, der von seinen Brüdern verraten und verkauft wird und später zum Regierungsberater und Propheten in Ägypten aufsteigt.
Gut zu wissen, dass das Interesse an dieser Künstlerin wieder wächst, im Inland wie im Ausland. In den letzten beiden Jahren gab es Ausstellungen in Dänemark und im renommierten Wiener Leopold-Museum. Und ihr »Selbstbildnis mit Orange« ist derzeit in New York zu sehen und konnte deshalb nicht in Rostock gezeigt werden.
Kunsthalle Rostock, Hamburger Straße 40, Di–So, 11–18 Uhr, bis zum 21.4.
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