Versteckspiel am Vulkan
Pilotanlage für Kraftwerk mit »negativen Emissionen«. Von Bernd Schröder
Das schweizerische Unternehmen Climeworks hat im Oktober 2017 auf der Hochebene Hellisheiði im Südwesten Islands eine Pilotanlage in Betrieb genommen, mit der Kohlendioxid direkt aus der Luft geholt und in unterirdische Gesteinsformationen verbracht werden soll. Auf dem Gelände des drittgrößten Geothermalkraftwerks der Welt am Fuße des Hengill-Vulkans installiert, fügt sich die neue Auffanganlage in das von Reykjavik Energy geleitete Projekt CarbFix2 ein, das maßgeblich aus dem EU-Forschungsprogramm »Horizon 2020« finanziert wird.
CarbFix2 ist eine Erweiterung des seit 2007 laufenden CarbFix-Projekts und soll die Erkenntnisse aus der Demonstrationsphase in eine weltweit anwendbare und wirtschaftliche CCS-Komplettlösung (carbon capture and storage - Kohlendioxid-Abscheidung und -Speicherung) überführen. Als wichtigste Speicheroptionen galten bisher tiefe, Salzwasser führende Grundwasserleiter (saline Aquifere), erschöpfte oder fast erschöpfte Erdöl- und Erdgaslagerstätten sowie tief liegende, nicht abbauwürdige Kohleflöze. Bei CarbFix wird erkundet, ob sich Kohlendioxid sicher, wirtschaftlich und einfach in unterirdischen Basalten speichern lässt.
Dafür werden Wasser und Kohlendioxid über getrennte Röhren in eine Tiefe von 360 Metern geführt, wo sie vereint und in den Zielhorizont weitergeleitet werden. Viel Wasser ist vonnöten: Bei einem Kohlendioxid-Druck von 25 bar werden 27 Tonnen reines Wasser zur Lösung einer Tonne des Gases gebraucht. Es entstammt dem örtlichen Grundwasser.
Eine erste Pilot-Injektion gab es 2012. Gegenwärtig können jährlich 10 000 Tonnen Kohlendioxid und 7000 Tonnen Schwefelwasserstoff über die Anlage in den Untergrund injiziert werden, in Tiefen zwischen 400 und 800 Metern. Das Gas entstammt der Wärmequelle des Kraftwerks, dem sich abkühlenden Magma.
Eine Lebensdauer der Ausrüstung von 30 Jahren vorausgesetzt, rechnet man bei CarbFix pro verklappte Tonne Kohlendioxid mit Kosten von 30 US-Dollar. Konventionellere CCS-Methoden kommen auf 60 bis 130 US-Dollar pro Tonne.
Die Climeworks-Anlage auf Hellisheiði holt das Kohlendioxid mit porösen Filtern aus der Luft, deren Granulat mit Aminen modifiziert wurde. Sind sie mit dem Gas gesättigt, werden sie mit der Abwärme des Geothermalkraftwerks auf 100 °C erhitzt. Das aus den Filtern freigesetzte Kohlendioxid wird in Wasser gelöst und in den Untergrund gepumpt. Dort sollen pro Jahr 50 Tonnen Kohlendioxid gelagert werden. Das ist allerdings nur so viel, wie ein einzelner US-Haushalt pro Jahr ausstößt.
Das Speicherprinzip bei CarbFix: Das Kohlendioxid soll nach seiner Einleitung mit den in den Basalten vorliegenden Kalzium-, Magnesium- und Eisensilikatmineralen reagieren, sodass feste Karbonate entstehen. Dieser Prozess verläuft um einiges schneller als zuvor angenommen, wie eine Studie aus dem Jahr 2016 zeigt. Ergebnis: Der Löwenanteil des eingeleiteten CO2 war demzufolge in weniger als zwei Jahren zu Karbonaten mineralisiert. Und die Umwandlung des Schwefelwasserstoffs zu Pyriten verläuft offenbar noch schneller.
Ein Kubikkilometer Durchschnitts-Basalt mit einem Magnesiumoxid-Gehalt von acht Prozent könnte geschätzte 260 Millionen Tonnen Kohlendioxid chemisch binden. Auf den bisherigen Forschungen basierende Schätzungen besagen, dass sich entlang der Hochtemperatur-Geothermie-Zone in der zentralen Riftzone Islands in Tiefen zwischen 500 bis 1000 Metern möglicherweise bis zu 50 Gigatonnen Kohlendioxid speichern ließen. Zum Vergleich: Die Menschheit bläst jährlich 36 Gigatonnen in die Atmosphäre.
Die schnelle Vereinigung des Gases mit dem Untergrundgestein verringert die Risiken möglicher Lecks, wie sie in den konventionellen tiefen Sandstein-Aquiferen zum Problem werden können. In ihnen verbleibt das Gas aus Mangel an Reaktionspartnern über Tausende von Jahren zum großen Teil unverändert. Das stellt deshalb besondere Bedingungen an die Dichtheit dieser Speicherplätze. Die schnelle Mineralisierung in Basalten würde hingegen nur über relativ kurze Zeiträume von einigen Dekaden sichere Abdeckungen erfordern, außerdem würden die Kosten für ein Langzeitmonitoring der Speicher deutlich geringer ausfallen.
Für die Befürworter ist die Sicherheit der Methode damit geklärt. Doch die Reaktion ist umkehrbar, zum Beispiel dann, wenn Magma aufsteigen und die neu gebildeten Karbonate thermisch spalten würde - in einem vulkanisch aktiven Gebiet durchaus eine reale Möglichkeit.
Ein anderer Nachteil ist unmittelbar mit der hohen Untertage-Reaktivität des Kohlendioxids verbunden: Die schnelle Mineralisierung kann zu einer Verringerung der Durchlässigkeit des Speichergesteins führen, da sich die Poren zusetzen.
Auch andere Details des Verfahrens können zu Schwierigkeiten führen. Wiederholt hatte das Wasserpumpen auf Hellisheiði zu zusätzlicher seismischer Aktivität geführt. In wasserarmen Regionen wiederum würde der hohe Wasserbedarf einer großtechnischen Anwendung des Verfahrens im Wege stehen.
Mittlerweile werden die Flutbasalte in anderen Regionen der Erde auf ihre mögliche Eignung als Kohlendioxid-Endlager hin untersucht, zum Beispiel der Dekkan-Trapp und der Rajmahal-Trapp in Indien. Ebenfalls auf der Agenda: die Verpressung von Kohlendioxid in Tiefsee-Basaltformationen, in den USA beispielsweise in der vor der Westküste gelegenen Juan-de-Fuca-Platte. Die theoretische Speicherkapazität der Mineralien der Ozeanrücken des Planeten wird mit 100 000 bis 250 000 Gigatonnen Kohlendioxid angenommen - verglichen mit 18 500 Gigatonnen, die freigesetzt würden, würde man alle fossilen Energieträger der Erde verbrennen. Jedoch wird die Anzahl aussichtsreicher Standorte durch die jeweilige Entfernung zu großen Kohlendioxid-Punktquellen wie etwa Kohlekraftwerken oder Anlagen der Zement- und Stahlindustrie begrenzt. Nur hier lässt sich das Gas wirtschaftlich abscheiden, und nur bei einiger Nähe lassen sich die Transportkosten minimal halten.
Weltweit sind etwa ein Dutzend größere CCS-Projekte in Betrieb, doch auch nach zwanzig Jahren Forschung und Entwicklung sowie Milliardenausgaben an Fördermitteln steht ein genereller technologisch-wirtschaftlicher Machbarkeitsnachweis von CCS-Lösungen aus. Ein Bedarf danach wird aus den Zielen des Pariser Klimaabkommens abgeleitet. Im zugrundeliegenden Denken wird die Erde auf einen ziemlich großen Thermostaten reduziert, dessen Temperatur man nach Belieben auf eine Stelle hinterm Komma genau regulieren kann, je nach gewählten Klimaschutzmaßnahmen. Eine davon: »negative Emissionen«. Dahinter verbergen sich Verfahren, die auf ein dauerhaftes Entziehen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre abzielen.
Doch die weitere Entwicklung von CCS sieht sich mit Unwägbarkeiten konfrontiert: so im Umgang mit den Risiken, ungeklärten rechtlichen Fragen und den zu erwartenden Kosten, mit einem erhöhten Ressourcenbedarf aufgrund von Wirkungsgrad-Einbußen bei CCS-tauglich gemachten Kraftwerken in der Gesamtenergiebilanz und bei der Akzeptanz in der Bevölkerung. Beobachtern zufolge zersprengt letztendlich der vorgegebene Zeitrahmen jegliche Hoffnung auf einen Erfolg: Denn binnen Kürzestem müsste eine gigantische CCS-Industrie aus dem Boden gestampft werden, doch eine Transformation des Energiesektors in diesem Sinne ist derzeit nicht in Sicht.
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