Kolumbiens Friedensprozess stockt

FARC-Guerilla beklagt ein Jahr nach dem Vertrag mit der Regierung uneingelöste Versprechen

  • David Graaff, Medellín
  • Lesedauer: 4 Min.

Luciano Marín steht auf einer Bühne in der kolumbianischen Großstadt Medellín. »Das Recht auf Frieden ist die Synthese aller Grundrechte: des Rechts auf würdevollen Wohnraum, kostenlose Bildung, auf Trinkwasser und Stromversorgung«, ruft er und die rund 300 Zuhörer applaudieren. Als Iván Márquez führte Marín die Delegation der FARC-Guerilla an, die vier Jahre lang in Havanna mit der Regierung die Friedensvereinbarungen ausgehandelt hat. Kommendes Jahr wird er einen der zehn Sitze im kolumbianischen Kongress belegen, die der Partei zustehen. Diese trägt noch immer den Namen FARC, dies steht jedoch mittlerweile für »Revolutionäre Alternative Kraft des Volkes« (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común) und nicht mehr Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia).

Die ehemals älteste Guerilla Lateinamerikas hat nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages ihre Waffen abgegeben und sich demobilisiert. Nun geht der Kampf mit den Worten weiter. Alte Klassenkampfrhetorik ist auch beim Ex-Comandante Márquez, der als Hardliner gilt, einem modernen politischen Diskurs gewichen. Doch zugleich wissen hier alle, dass der langfristige Erfolg des Friedensprozesses gefährdet ist. »Wir haben unsere Verpflichtungen erfüllt, jetzt müssen es auch die Regierung und die Behörden tun«, sagt Márquez mit Blick auf die schleppende Umsetzung des Vereinbarten. Erst vor wenigen Tagen haben der Oberste Gerichtshof und der Kongress der Sonderjustiz für den Frieden, ein zentrales Element des Friedensvertrages, die Flügel gestutzt.

Nicht nur bei der FARC fällt die Bilanz ein Jahr danach durchwachsen aus. Zwar ist laut der staatlichen Stelle für Opfer die Zahl der im bewaffneten Konflikt Getöteten von mehreren Tausend jährlich auf 78 dieses Jahr gesunken. Doch der Konflikt geht weiter, denn die sozialen und politischen Ursachen bestehen fort. Die in Havanna vereinbarten Programme zur landwirtschaftlichen Entwicklung und die Verteilung von Land an Kleinbauern laufen ebenso langsam an wie die Substitutionsprogramme für den Kokaanbau. Dies liegt zum einen an den langwierigen, besonders von konservativen Abgeordneten verzögerten Gesetzgebungsverfahren in den beiden Kammern des kolumbianischen Kongresses und zäher Bürokratie. Zum anderen wird es auch dadurch erschwert, dass paramilitärische Gruppen oder FARC-Dissidenten, von denen es laut Generalstaatsanwaltschaft bis zu 500 in zahlreichen Landesteilen gibt, um die illegalen, von den FARC hinterlassenen Geldquellen wie Drogenhandel und Bergbau kämpfen. Auf dem Rücken der Zivilbevölkerung.

»Obwohl die Zahl der getöteten Zivilisten zurückgegangen ist, bleibt der bewaffnete Konflikt im Großen und Ganzen für Millionen von Menschen im gesamten Leid eine Realität«, sagte der Generalsekretär von Amnesty International Salil Shetty anlässlich der Übermittlung einer Studie an Präsident Juan Manuel Santos zum Stand des Friedensprozesses. Besonders kritisch sei die Lage in der Pazifikregion Chocó. Dort sei die Regierung nicht in der Lage, die Zivilbevölkerung vor Paramilitärs und Guerillagruppen, gemeint ist die kleinere ELN-Guerilla, zu schützen. Claudio Moser, Referatsleiter Lateinamerika bei Caritas International, sagte, man beobachte mit großer Sorge, dass Vertreter der Zivilgesellschaft zunehmend zur Zielscheibe von Gewalt und Übergriffen würden, »weil sie aufgrund ihres Engagements für die Belange der Bevölkerung den Machtkämpfen bewaffneter Gruppen im Wege stehen. Die Staatsgewalt ist in vielen Landesteilen oft nicht präsent oder trägt selbst zur Gewalt bei.« Über 200 Aktivisten und Menschenrechtler sind seit 2016 getötet worden.

Die Sondermission der Vereinten Nationen in Kolumbien sieht vor allem in der mangelhaften Reintegration der FARC-Kämpfer ein Risiko für den Frieden. Weniger als die Hälfte der ehemaligen Guerilleros hält es nach UN-Schätzungen noch in einem der mehr als 20 Reintegrationscamps. Laut dem Chef der UN-Sondermission Jean Arnault vor allem deshalb, weil es ihnen dort an wirtschaftlichen Perspektiven fehle. In nur wenigen Zonen haben die Guerilleros mit Unterstützung lokaler Behörden und Universitäten selbst Produktivprojekte wie den Anbau von Agrarprodukten oder die Herstellung von Bekleidungsartikeln angeschoben. Ein einheitlicher Plan fehle, so der Diplomat. Er warnte eindringlich davor, dass sich desillusionierte Guerilleros illegalen bewaffneten Gruppen anschließen könnten und der Reintegrationsprozess scheitern könnte. 25 Ex-Rebellen sind dieses Jahr bereits ermordet worden.

Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete der Linken sprach angesichts der Entwicklungen vor einer drohenden Schwächung des Friedensprozesses, wie es nach in den 1980er und 1990er Jahren in Mittelamerika geschehen sei. »Es besteht die Gefahr, dass ein gesellschaftlicher Neustart in Kolumbien scheitert«, so Hänsel zum»nd« .

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